Soziologe Knoblauch:"Die Leiche soll ästhetisch sein"

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Als Plastinat zu enden, ist für viele Menschen denkbar. Praktika am Seziertisch sind begehrt. Der Soziologe Knoblauch über den postmortalen Körperkult.

C. Weber

Seit November 2008 leitet der Soziologe Hubert Knoblauch von der Technischen Universität Berlin das Forschungsprojekt "Tod und toter Körper", das von der Volkswagen-Stiftung gefördert wird. 17 Wissenschaftler, darunter Mediziner, Philosophen und Rechtswissenschaftler, untersuchen am Beispiel der Sektion, wie sich der Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft ändert. Auf einer Konferenz in Berlin stellten sie jetzt erste Ergebnisse vor.

Angeblich bewerben sich viele Menschen für einen Platz in der "Körperwelten"-Ausstellung des Anatomen Gunther von Hagen. (Foto: Foto: AFP)

SZ: Rechtsmediziner in München berichten konsterniert, dass sich mittlerweile bereits 14-jährige Schülerinnen um Praktika im Obduktionssaal bewerben.

Knoblauch: Wenn diese Schülerinnen tatsächlich vorgelassen würden zum Seziertisch, dann wären sie wohl schockiert, wie Leichen in der Forensik aussehen können.

SZ: Womöglich haben sich die Mädchen ja mit Kriminalfilmen und gerichtsmedizinischen Sendungen wie CSI ein realitätsnahes Bild gemacht.

Knoblauch: Die ganze Wirklichkeit findet in diesen Sendungen auch nicht statt, eine von Würmern befallene Leiche sieht anders aus als das übliche Mordopfer im "Tatort". Aber es stimmt: Seit ungefähr 2000 wird der Tod deutlich realistischer gezeigt, als es noch vor wenigen Jahren vorstellbar war. Der tote Körper ist zum Modethema geworden.

SZ: Irrt also der viel zitierte französische Historiker Philippe Ariès, der seit dem Mittelalter ein Verschwinden des Todes aus dem Leben konstatiert hat?

Knoblauch: Es gibt widersprüchliche Entwicklungen, das ist unser Forschungsthema. Im öffentlichen Diskurs ist der Tod kein Tabu mehr. Es wird ununterbrochen über ihn geredet. Es gibt die Hospizbewegung und neue Begräbnisrituale. Aber dem realen Tod begegnen dennoch immer weniger Leute. Obwohl die Menschen von der Rechtsmedizin im Spielfilm fasziniert sind, lassen sie ihre Angehörigen nicht mehr obduzieren. In Österreich - wo die rechtlichen Regelungen sehr liberal sind - ist die Obduktionsrate dennoch binnen 20 Jahren von fast 100 auf gut 30 Prozent gesunken, in Deutschland sind es nur noch 2 bis 3 Prozent.

SZ: Warum sind Obduktionen überhaupt so wichtig?

Knoblauch: Nur so kann man eine brauchbare Todesursachenstatistik erstellen. Das ist wichtig für die Epidemiologie. Totenscheine nennen häufig die falsche Ursache. Hinzu kommt, dass nach Angaben von Rechtsmedizinern wegen fehlender Obduktionen jährlich mindestens 1200 Morde unentdeckt bleiben, vielleicht sogar doppelt so viele!

SZ: Man kann es verstehen, wenn es Menschen bei der Vorstellung graust, dass ihre nächsten Angehörigen aufgeschnitten werden.

Knoblauch: Freilich - dennoch stellt sich die Frage, wieso die Obduktionsbereitschaft gerade dann abnimmt, wenn man ansonsten eher unverkrampfter mit dem Tod umgeht. Zu einem Teil könnte es an den Strukturen in den Krankenhäusern liegen: Die Pathologie verliert zunehmend an Ansehen innerhalb der Medizin, und auch die finanzielle Erstattung macht die Sektion keineswegs besonders attraktiv für die Ärzte. Ich vermute allerdings, dass auch die Betroffenen ihre Einstellung geändert haben.

SZ: Könnte es vielleicht sein, dass Menschen sich zunehmend mit Simulationen auf dem Bildschirm begnügen, ohne Konsequenzen für ihr Leben zu ziehen? Viele Zuschauer von TV-Kochshows sitzen auf dem Sofa und vertilgen Tiefkühlpizza. Die zunehmende Akzeptanz von Pornographie führt angeblich zu einer Abnahme realer sexueller Kontakte.

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Knoblauch: Ich weiß nicht, ob das auch für den Umgang mit toten Körpern gilt. Aber natürlich erleben die Menschen etwa im Fernsehen den Tod in der dritten Person; es ist nicht ihr Tod.

SZ: Also der übliche kathartische Effekt: Man schaut sich das an, gruselt sich ein bisschen, verarbeitet die Angst und denkt insgeheim: Gut, dass es mich nicht erwischt hat.

Knoblauch: Diesen Effekt mag es geben. Aber noch mal: Er erklärt nicht, wieso die Obduktionsbereitschaft bei den Menschen in unseren Zeiten weiterhin abnimmt.

SZ: Ihre Hypothese?

Knoblauch: Ich vermute, es geht um die Weigerung, den Körper auszuliefern. Der eigene Körper ist zum Projekt geworden, man weiß, dass man ihn gestalten kann. Damit haben die Bodybuilder begonnen, gefolgt von den Schönheitschirurgen und Kosmetikern. Der Körper ist zu einem Ausdruck der Identität geworden, er soll ästhetisch sein auch nach dem Tod. Auch bei Nahtoderfahrungen erleben sich Menschen meist in der Gestalt, die ihnen am angenehmsten erscheint - häufig als 30-Jährige. Zu all diesen Vorstellungen passt es nicht, dass der Pathologe die Leiche mit dem Skalpell aufschneiden darf.

SZ: Andererseits bewerben sich angeblich viele Menschen für einen Stellplatz in der berühmt-berüchtigten "Körperwelten"-Ausstellung des Anatomen Gunther von Hagen. Sie wollen sich nach dem Tode plastifizieren lassen, ein massiver Eingriff in den Körper.

Knoblauch: Das bestätigt eher meine These: Die Angst vor der Verwesung ist am größten. Um sie zu bewältigen, kann man sich entweder verbrennen lassen, was ja auch zunimmt. Oder man lässt sich konservieren. Es ist doch die Vollendung des individuellen Körperprojektes, wenn man in ästhetisierter Gestalt im Museum wiederaufersteht.

SZ: Vielleicht hoffen manche Menschen auch, dass ein unversehrter Körper hilfreich sein könnte bei der leiblichen Auferstehung von den Toten, wie es zumindest in manchen Interpretationen der Bibel vorgesehen ist?

Knoblauch: Religiöse Bedenken sind unseren Erfahrungen nach weniger wichtig. Selbst katholische Theologen beschäftigen sich sehr selten mit der Frage, was "leibliche Auferstehung" im biblischen Sinne überhaupt bedeuten soll, und auch die Medizin blickt zumeist nur von der Seite des Lebens auf den Tod.

© SZ vom 24.07.2009/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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