Schweinegrippe:Die Sau ist raus

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Die Schweine können nichts dafür: Das Verhältnis des Menschen zu einem seiner ältesten Haustiere war schon immer voller Widersprüche - auch vor der Schweinegrippe.

Günter Beyer

Einem armen Schwein ist Mitleid immer gewiss. Da liegt es unter einer blütenweißen, mit feiner Spitze gesäumten Decke im weißlackierten Krankenhausbett. Nur der Rüssel der Porzellanfigur lugt hervor.

Dreckschwein oder Sympathieträger? Kaum ein anderes Tier vereint so viele Projektionen auf sich wie das Schwein. (Foto: Foto: Reuters)

Ob der rosa Patient sich das berüchtigte Schweinegrippevirus H1N1 eingefangen hat? Keineswegs. Er zählt zu jenen zahllosen Kitschmotiven, die das widerspruchsvolle Verhältnis des Menschen zu einem seiner ältesten Haustiere widerspiegeln: dem Schwein.

Kaum ein anderes Tier muss sich solch zahlreiche, so gegensätzliche Projektionen gefallen lassen wie jenes, auf das die derzeitige Pandemie ursprünglich zurückgeht. Es taugt zum Diktator Napoleon wie in George Orwells "Farm der Tiere" ebenso wie zum rosigen Sympathieträger à la Schweinchen Babe.

Wir haben "Schwein gehabt", wenn ein riskantes Unternehmen noch mal gut gegangen ist. Aber einen Zeitgenossen mit unappetitlichen Manieren stempeln wir entrüstet zum Ferkel ab, vom "Saupreußen" einmal ganz zu schweigen.

Über viele Jahrhunderte, bis tief ins 19. Jahrhundert hinein, liefen Schweine auf Bauernhöfen und sogar in vielen Stadtteilen frei herum wie Hunde, auf alten Ölgemälden ist das oft zu sehen. Sie waren, bei allen hygienischen Problemen des engen Zusammenlebens, Teil des Alltagsbildes.

Keine Schublade für das Schwein

Das Wort Hausschlachtung, mit dem traditionsstolze Gasthöfe gern noch werben, zeugt noch von der Zeit, als die Nutztiere mit dem Menschen unter einem Dach lebten - und unter demselben Dach getötet wurden, wenn die Zeit gekommen war.

Aus heutiger Sicht eine "schöne Schweinerei" - und genauso heißt die Ausstellung, die derzeit im Stader Schwedenspeicher-Museum zu sehen ist. Die 400 Eber, Säue und Ferkel türmen sich dort zu opulenten Sauhaufen aus aller Welt, machen es sich in roten, samtbezogenen Fauteuils saugemütlich, oder hecken hinter einem Vorhang derbste Schweinereien aus. "Zutritt für Jugendliche verboten!" steht, wohl ernst gemeint, auf einem Warnschild.

In der klassischen Fabel sind Tiere seit Äsops Zeiten eindeutig: der schlaue Fuchs, die dumme Gans, die diebische Elster. Die schweinische Identität dagegen passt in keine Schublade: Ist das rosa Säugetier nun ein willkommener Glücksbringer oder die perfekte Verkörperung des moralisch Verwerflichen schlechthin?

"Schwein-Haben ist positiv besetzt, Schwein-Sein ist eine ziemlich bösartige Verbalinjurie", beschreibt der Hamburger Graphiker Holger Matthies das Dilemma. Er sammelt seit 40 Jahren Schweine in allen Formen, Materialien und Größen. Für die Ausstellung hat er dem Stader Museum seinen Saustall leihweise überlassen.

Der Mann lässt die Sau raus

Vielleicht habe gerade die "semantische Doppeldeutigkeit des Schweins" ihn nicht mehr losgelassen, mutmaßt Matthies über die Triebkräfte seiner Leidenschaft. Das ständige Pendeln zwischen den Extremen Glücksschwein und Dreckschwein macht das Tier zur idealen Projektionsfläche schwankender postmoderner Befindlichkeiten.

"Das Schwein ist der Doppelgänger des Menschen", spitzt Matthies zu. Das allerdings wäre ungenau. Denn männliche Menschen scheinen dem Schwein doch entschieden wesensverwandter zu sein als Frauen.

Der schlicht herausgesungene Satz "Männer sind Schweine" blieb unwidersprochen, die Welle der Zustimmung katapultierte die Popgruppe "Die Ärzte" dereinst in die Charts. Und sind es nicht ganz überwiegend Männer, die Fanmeilen oder einschlägige Ballermann-Partys ansteuern, um dort "die Sau rauszulassen"?

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Dieser susologische Befund wäre auch unter Gender-Gesichtspunkten nicht ohne: Nicht nur das männliche Schwein, also der Eber, steckt im Manne, sondern offenbar auch die Sau. Überhaupt schreibt das Leben Geschichten, die wir kaum glauben würden, hätte nicht Holger Matthies den Beweis per Video parat.

Etwa die Sache mit Luise, der Wildsau, die der Hannoveraner Polizeibeamte Werner Franke einst zum Erschnüffeln von Drogen und Sprengstoff abrichtete. Luise machte ihre Sache saugut, sie und Werner wurden unzertrennlich, und als der Beamte in den Ruhestand ging, nahm er Luise mit. Die letzte Video-Sequenz zeigt die beiden auf gemeinsamer Pirsch in einem niedersächsischen Wildpark.

Sinnbild der Maßlosigkeit

Die Kehrseite der Schweineliebe ist die Verachtung des Schweins. Auf George Grosz´ gesellschaftskritischen Blättern aus den 1920er Jahren haben die fetten fracktragenden Kapitalisten oft Schweinsvisagen. Heute hat das Beschimpfungs- und Beleidigungspotential des Schweins seine politische Trennschärfe verloren, es beschert uns Stasischweine ebenso wie Nazischweine.

Juden und Moslems halten das Tier für unrein, der Verzehr von Schweinefleisch ist Gläubigen untersagt. Die Juden leiten die Vorschrift aus dem dritten Buch Mose ab, wo es heißt: "Ein Schwein spaltet wohl die Klauen, aber es wiederkäuet nicht, darum soll es euch unrein sein." Vermutlich haben die schwierigen Haltungsbedingungen für Schweine und die schnelle Verderblichkeit ihres Fleischs in den Trockenzonen des heiligen Landes das Verbot mitveranlasst.

Schweine haben keine Schweißdrüsen und benötigen auf ihrer Haut Feuchtigkeit. Fehlen Tümpel und Morast, wälzen Schweine sich in ihren eigenen Exkrementen und stinken. Die jüdische Schweine-Abstinenz wurde von Nichtjuden für diffamierende Tiefschläge benutzt. Seit dem Mittelalter verunglimpften christliche Illustratoren Juden oft mit Schweineköpfen.

Trotz seiner Vieldeutigkeit hat das Schwein Platz in der christlichen Ikonographie gefunden. Hieronymus Bosch stellte um 1505 auf seinem Antoniustriptychon einen Mann mit Laute und Schweinerüssel dar. Er war einer der sieben Todsünden, der Völlerei, verdächtig.

Allesfressende Schweine erschienen fortan hierzulande als Sinnbilder der Maßlosigkeit. "Ihre Gefräßigkeit ist bekannt; in ihr gehen eigentlich alle übrigen Eigenschaften unter", heißt es in "Brehms Tierleben".

Staubsauger und Toaster

Die Vorstellung von Gefräßigkeit, die vor nichts Halt macht, wirkt bis in unsere Tage fort. Vor Landgasthöfen sind manchmal Stellschilder zu sehen, auf denen eine Sau mit Kochmütze fröhlich die Speisekarte präsentiert. Das Schwein empfiehlt sich selbst: Kotelett, Haxe, Blut- und Leberwurst. Kaum ein anderes Tier wird von Gastronomen und Schildermalern als Kannibale vermarktet.

Ganz anders in China. Dort begeht man alle zwölf Jahre das "Jahr des Schweins". Borstenviecher gelten traditionell als besonders ehrliche Tiere. "Menschen, die in Schweinejahren geboren wurden, sollen sich durch Toleranz, Vertrauen, eine hohe Moral und ritterliche Tugenden auszeichnen", schreibt der Berliner Kulturhistoriker Thomas Macho.

Hoch angesehen sind Schweine auch beim Volk der Maring in Neuguinea. Sie sind heilige Tiere, in denen die Geister der Ahnen wohnen. Die Frauen kümmern sich hingebungsvoll um die Aufzucht der Ferkel, die sie gemeinsam mit ihren Kindern in den Armen wiegen. Sie bringen den Ferkeln bei, ihnen gehorsam nachzulaufen.

Alle zwölf Jahre feiern die Maring ein einjähriges Schweinefest, das mit einem großen Opferritual endet, bei dem drei Viertel der Eber und Säue geschlachtet werden. Beim Verzehren des Fleisches wandern die Geister der Ahnen in die Körper der Lebenden.

So viel Respekt ist selten. Bei uns geriert sich das Schwein als Meister der Verkleidung und endet regelmäßig in Design-Katastrophen. So viele Schweine, die sich in der Stader Ausstellung als Ventilator, Taschenlampe, Staubsauger oder Toaster nützlich machen wollen!

Die als masochistische Fußmatten mit eingewebtem Ferkelporträt und der Aufforderung "Sau mich ein!" auf dem Boden lümmeln. Seifen und Bürsten in Schweineform drängen in die Badezimmer.

Schweine haben eine komplexe Persönlichkeit, aber oft keine Lobby. In Ägypten wurden unlängst Tausende Schweine gekeult, weil die Behörden die Tiere fälschlich direkt für die um sich greifende Schweinegrippe verantwortlich machten. Längst ist das Problem aber, dass das modifizierte Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird.

Hierzulande weiß man zu unterscheiden. "Wir haben es jetzt mit einem menschlichen Krankheitsbild zu tun", sagt Werner Zwingmann, Chefveterinär im Bundeslandwirtschaftsministerium: "Die Schweine können nichts dafür."

© SZ Wochenende vom 20.06.2009/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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