Schwangerschaft:Die verbotene Frage nach dem Vater

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Das Gendiagnostikgesetz verbietet schwangeren Frauen, den Vater des werdenden Kindes mit Hilfe eines Gentests zu ermitteln. Experten fürchten, dass die Unsicherheit in Notlagen zu Abtreibungen führen kann.

Christina Berndt

Auch Menschen haben Kuckuckskinder. In jeder Schulklasse sitzt, statistisch betrachtet, ein solches Kind - gehegt und gepflegt vom falschen Vater, mit tausenden Mark und Euro vom Windelalter bis zum Berufsabschluss durchgefüttert.

Mit einer Genanalyse können sich zweifelnde Mütter schon vor der Geburt des Kindes Klarheit über die Vaterschaft verschaffen. (Foto: dpa)

Früher passierte es durchau regelmäßig, dass Frauen bei einem Seitensprung schwanger wurden und ihrem Partner heimlich das Kind des anderen Mannes unterschoben. Auch wenn manchmal die Farbe der Haare oder die Form der Nase auffällig war: Gemerkt hat es meist niemand. Zu unerhört war allein der Verdacht in sittenstrengen Zeiten.

Heute jedoch könnten Kuckuckskinder vom Aussterben bedroht sein. Sie entstehen zwar immer noch, weil das Leben auch im 21. Jahrhundert nicht immer nach Plan verläuft. Zur Welt aber kommen die Kuckuckskinder oft nicht mehr, fürchten Genetiker, Sozialarbeiter und Juristen. "Es kann sich keine Frau mehr leisten, einem Mann ein Kind unterzuschieben", sagt Monika Frommel, Professorin für Strafrecht an der Universität Kiel: "Das würde allzu schnell aufgedeckt."

Mit den modernen Methoden der Genanalyse lässt sich schnell und zweifelsfrei ermitteln, ob der vermeintliche Vater auch der wirkliche Vater ist. Dies herauszufinden bieten Gentestlabors im Internet schon für wenige hundert Euro an.

Und seit Kuckuckskinder in den Medien, im Kino und auch in deutschen Fernsehproduktionen regelmäßig zum Thema gemacht werden, ist das Misstrauen der Väter und Großeltern gewachsen. Groß ist deshalb die Not vieler Frauen, wenn sie schwanger sind, aber nicht wissen, von wem. So groß, dass manche von ihnen dem werdenden Leben noch im Mutterleib ein Ende setzen.

Dabei müsste die Ungewissheit nicht sein. Mit eben jenen Methoden der Genanalyse, mit denen sich zweifelnde Mütter und misstrauische Väter nach der Geburt Klarheit über die Erblinie des Babys verschaffen können, ließe sich diese auch schon während der Schwangerschaft feststellen. Frauenärzte entnehmen dazu Fruchtwasser oder Gewebe der Chorionzotten, wie dies häufig auch im Laufe der Schwangerschaft für vorgeburtliche Tests geschieht.

Die Gewebeentnahme ist nicht immer folgenlos - in einem von etwa zweihundert Fällen führt sie zu einem Abort -, aber das Ergebnis bietet Klarheit: Ein Vergleich des Erbguts mit einer Speichel- oder Blutprobe eines Mannes könnte zweifelsfrei dessen Vaterschaft belegen oder ausschließen. Seit Februar 2010 aber verbietet das Gendiagnostikgesetz eine pränatale Vaterschaftsfeststellung, die zuvor ungeregelt war. Schwangere Frauen dürfen nach Paragraph 17 Absatz 6 nicht herausfinden, wessen Baby sie austragen.

Dieser Absatz verstößt in den Augen der Strafrechtlerin Frommel gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und das Recht auf reproduktive Freiheit. "Ich halte ein solches Informationsverbot für evident rechtswidrig", sagt sie. "Frauen müssen schließlich schon vor der Geburt und nicht erst danach familienplanend tätig sein." Dazu gehöre es auch, mit dem werdenden Vater Gespräche zu führen. Beide Elternteile müssen sich darüber klar werden, ob sie miteinander eine Familie gründen wollen, ob sie vielleicht in eine gemeinsame Wohnung ziehen werden und ob der Vater überhaupt für sein Kind da sein wird - fürsorgend oder zumindest finanziell.

Wie aber soll das gehen, wenn unklar ist, welcher Mann Vater wird? Und wie soll sich die Frau für einen Mann entscheiden, wenn sie eben keinem sein Kind entziehen und auch keinem ein Kuckuckskind unterschieben will, was schließlich für alle Beteiligten eine Lebenslüge bedeuten würde? "Die Frau muss schlicht aus lebenspraktischen Gründen wissen, wer der Vater ihres Kindes ist", sagt Monika Frommel. Andernfalls werde sie handlungsunfähig. Und Vaterschaft an sich, betont sie, sei schließlich keine Diskriminierung, die zu verhindern der eigentliche Zweck des Gendiagnostikgesetzes ist.

Dass der pränatale Vaterschaftstest aber zur Diskriminierung genutzt würde, befürchtete der Gesetzgeber. Seine Sorge war es, dass sich Mütter aufgrund der vorgeburtlichen Diagnostik gegen einzelne Kinder entscheiden. "Der Gesetzgeber möchte nicht mithelfen, dass im Zweifelsfall ein Kind getötet wird", sagt der Heidelberger Humangenetiker Claus Bartram, der die Politik bei der Entstehung des Gesetzes beraten hat. "Das wäre doch die Konsequenz, dass Frauen sagen: ,Von dem will ich das Kind nicht' und dann eine Abtreibung vornehmen lassen."

Doch in der Realität hat das Gendiagnostikgesetz womöglich das Gegenteil bewirkt: Weil den Frauen die Wissensgrundlage für ihre Lebensplanung entzogen ist, entscheiden sie sich Fachleuten zufolge oft für den Abort. Zwar weiß niemand, wie viele Frauen ihr Kind trotz ungeklärter Vaterschaft zur Welt bringen, ohne je eine Beratungsstelle aufzusuchen. Auch ist unklar, wie viele Frauen sich für eine Abtreibung entscheiden, ohne nach einem Vaterschaftstest zu fragen.

Die Erfahrungen von Gentestlabors und Beratungsstellen aber zeigen einen klaren Trend: "Die meisten Frauen entscheiden sich für den Abbruch, weil sie mit der seelischen Belastung nicht zurechtkommen, nicht zu wissen, von wem das Kind ist", sagt Annette Rethemeier von Pro Familia in Hamburg. Claus Waldenmaier vom Gentestlabor Genedia in München bestätigt: "Wenn die Frauen erfahren, dass der Vaterschaftstest während der Schwangerschaft verboten ist, kommt es in den allermeisten Fällen zur Panikabtreibung". Das Gesetz biete den Ungeborenen keinen Schutz, sagt er, "und den Frauen sowieso nicht."

Manche Betroffene haben Angst, ein Kind, das durch einen unüberlegten Seitensprung entstand, in ihre Ehe oder stabile Beziehung hineinzugebären. Diese Frauen würden sich womöglich auch dann für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, wenn ihnen der Test erlaubt wäre und ihnen zeigte, dass das Kind "vom falschen Mann" ist. Die meisten aber wollen nach Claus Waldenmaiers Erfahrung vor allem wissen, mit welchem Mann sie reden müssen.

"Meistens wollen die Frauen ja das Kind", sagt er. Sonst würden sie gar nicht nach dem Test fragen. Von zehn Schwangeren, deren Kindsvater vor dem Erlass des Gendiagnostikgesetzes bei Genedia festgestellt wurde, bekamen acht das Baby. "Im Prinzip gehen die Frauen sehr ernst mit der Sache um", sagt Waldenmaier. "Das Gesetz würde also Abtreibungen verhindern, wenn es den pränatalen Vaterschaftstest zuließe."

Meist habe das Schicksal die Weichen ohnehin im Sinne der Frauen gestellt, erzählt Waldenmaiers Kollegin Hildegard Haas. "Elf von zwölf Frauen, die sich fragen, wer der Vater ihres Kindes ist, tragen das Kind von ihrem Wunschpartner in sich", sagt sie. "Es gibt keine exakte Erklärung für dieses Phänomen, aber die Psyche scheint bei der Empfängnis eine große Rolle zu spielen."

Der Abtreibungskonflikt entstehe erst durch das Testverbot, meint auch die Strafrechtlerin Frommel. Die Frauen wollten gar nicht unbedingt abtreiben, sie gerieten durch die ungeklärte Vaterschaft in Bedrängnis. "Nicht zu wissen, wer der Vater ist, ist eine Notlage", sagt Frommel. "Und die muss nicht sein." Denn wenn die Frauen mit beiden in Frage kommenden Vätern offen über die Situation sprechen, "sind meist beide Männer weg", sagt Eva Zattler, die als Beraterin bei Pro Familia in München mit solchen Konflikten zu tun hat. Auch deshalb "tendieren Frauen in dieser Situation dazu abzutreiben."

Die Juristin Frommel sieht im Gendiagnostikgesetz auch einen Moralisierungsversuch. Das Gesetz lässt nämlich unter einer Bedingung durchaus einen pränatalen Vaterschaftstest zu: wenn die Frau "nach ärztlicher Erkenntnis" vergewaltigt wurde "und dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf der Tat beruht".

Claus Bartram verteidigt den Paragraphen: Eine unklare Vaterschaft nach Vergewaltigung sei eine ganz andere Situation, in die sich die Frau ja nicht selbst gebracht habe, meint der Genetiker. Das Gesetz fordere zu Recht, dass eine Frau nach freiwilligem Geschlechtsverkehr die Sache "mit sich selbst ausmachen muss." Auch die Sozialarbeiterin Rethemeier hält die Unterscheidung "aus ethischen Gründen für richtig", obwohl sie die Frauen in dieser Konfliktsituation "als sehr belastet, oft sehr schuldbewusst" erlebt.

Für Monika Frommel ist das ein Rückschritt in längst vergangene Zeiten. "Wieso verlässt das Gendiagnostikgesetz von 2010 den bewusst offen gehaltenen Rahmen der mühsam erkämpften Abtreibungsreform von 1995?", fragt sie. "1995 war man sich einig, dass es die Notlage der Frau ist, die zählt. 2010 meint die Gesetzgebung, sie könne wieder differenzieren zwischen legitimen und selbst verschuldeten Notlagen."

Wie in vielen schwierigen Fragen rund um das Thema Embryonenschutz und Fortpflanzungsfreiheit bleibt deutschen Schwangeren auch bei der vorgeburtlichen Vaterschaftsfeststellung noch das Ausland. In den Niederlanden und Belgien, in Großbritannien und Österreich sind die Tests ohne Einschränkung erlaubt. Dort können Frauen den Test sogar ohne Wissen der potentiellen Väter vornehmen.

In Deutschland steckt dieses ganze Gebiet voller paternalistischer Bevormundung", sagt Monika Frommel. Der Gesetzgeber denke hierzulande zu sehr an Lebensschutz und zu wenig an Patientenrechte; dabei missachte er auch noch den Gleichbehandlungsgrundsatz, den das europäische Recht gebietet. Jeder Mensch habe das Recht auf Zugang zu einer verfügbaren und angemessenen Behandlung, so Frommel. "Wir können die Frauen nicht vor dieser Notlage schützen, also müssen wir ihnen wenigstens das Wissen ermöglichen, das sie benötigen, um sich selbst zu helfen."

© SZ vom 09.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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