Schädliche Insektizide:Pflanzenschutzmittel belasten weltweit die Gewässer

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Wo Äcker sind, sind meist auch Pestizide nicht fern. Das kann Gewässer in Landwirtschaftsgebieten gefährden - im Bild die Donau bei Deggendorf. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Insektizide aus der Landwirtschaft können das Leben in Flüssen und Seen empfindlich schädigen: Fast überall auf der Welt stellten Forscher zu hohe Konzentrationen der Gifte fest - und die neuen Mittel sind oft noch schlimmer als die alten.

Von Christian Gruber

In einem lebendigen Fluss geht es zu wie in einer Bahnhofshalle: Käfer wuseln am Ufer herum, Köcherfliegen und Libellen schwirren umher. Insekten sind wichtig für das Leben am Wasser; ohne sie kann das Ökosystem nicht funktionieren. In der Landwirtschaft dagegen sind viele von ihnen unerwünscht, und werden als Schädlinge bekämpft. Aber oft macht das Gift nicht an der Ackergrenze halt - sondern richtet auch in den nahen Gewässern Schaden an.

Sebastian Stehle und Ralf Schulz vom Institut für Umweltwissenschaften an der Universität Koblenz-Landau haben nun zum ersten Mal überhaupt untersucht, wie oft die erlaubten Schwellenwerte bei den 28 wichtigsten Insektiziden weltweit überschritten werden.

Über ihre Ergebnisse berichten sie im Fachmagazin PNAS: "In mehr als 40 Prozent der Fälle, in denen ein Insektizid in einem Gewässer weltweit nachgewiesen wurde, war die gefundene Konzentration höher als sie laut behördlichem Zulassungsverfahren sein dürfte", sagt Schulz. Bei den Gewässersedimenten, bei denen es noch kaum Richtwerte gibt, "waren sogar über 80 Prozent der Messwerte inakzeptabel hoch", so Schulz. Er hält das für "schockierend".

Umweltschützer kritisieren: Vorübergehende Schäden werden akzeptiert

Dabei sind schon die erlaubten Schwellenwerte oft eher willkürlich festgelegt. So gibt es keine wissenschaftlichen Grenzwerte dafür, wie viele Pestizide Gewässer problemlos vertragen - diese Spritzmitteldosen schätzen Unternehmen und Behörden nämlich ab. Oft seien die daraus resultierenden Schwellenwerte so festgelegt, dass vorübergehende Schäden in der Natur akzeptiert werden, kritisieren Umweltwissenschaftler. Und im Zulassungsverfahren müssen die Unternehmen zwar darlegen, dass diese Schwellenwerte nicht überschritten werden - aber wie die Studie zeigt, sieht es in der Praxis oft anders aus.

Etwa 20 000 Fachartikel haben die Landauer Forscher nach Daten zur Umweltbelastung durch Spritzmittel durchforstet. 838 Publikationen aus 73 Ländern und mehr als 10 000 Insektizidmessungen flossen schließlich in die Auswertung ein. Die Forscher verglichen die erlaubten Schwellenwerte mit den im Freiland gemessenen Konzentrationen.

Mehr als 2500 Gewässer in der Nähe von landwirtschaftlich genutzten Flächen wurden so erfasst. "Die Situation ist in Ländern mit hoch entwickelten Umweltstandards kaum besser als in Staaten mit wesentlich geringeren Standards", bemängelt Schulz. "Auch in den Ländern der EU oder in den USA haben die sehr aufwendigen Zulassungsverfahren, die es seit etwa 25 Jahren gibt, keine messbare Verringerung der Belastung mit Insektiziden in Gewässern gebracht."

Dass Insektizide so häufig in Gewässern auftauchen, und das in Konzentrationen, in denen sie Ökosysteme schädigen können, führen die Wissenschaftler auf mangelhafte Zulassungsverfahren zurück. Oder darauf, dass die Bauern Fehler machen und die vorgeschriebenen Ausbringungsprozeduren nicht einhalten.

Der Landauer Studie zufolge überschreiten die Insektizide der neueren Generation die akzeptierten Schwellenwerte deutlich häufiger als ältere Insektizide, die teilweise noch immer zum Einsatz kommen. Ein Grund könnte sein, dass moderne Insektenvernichtungsmittel spezifischer wirken, das heißt, man muss öfter unterschiedliche Mittel spritzen, um gegen verschiedene Schädlinge vorzugehen. Das ist umso problematischer, als viele Pflanzenschutzmittel Ökosysteme schon in geringsten Dosen schädigen können.

Dass Spritzmittel nicht auf dem Feld bleiben, sondern auch in die Umgebung gelangen, sei nicht einfach nachzuweisen, schreiben Stehle und Schulz. So ließen sich in gut 97 Prozent der Proben keine Insektizide nachweisen - das führen die Forscher aber vor allem darauf zurück, dass nur an wenigen Tagen im Jahr gespritzt wird; wer zu anderen Zeitpunkten misst, kann gar nicht fündig werden.

Pflanzenschutzmittel für mehr als 50 Milliarden Dollar

Sogar höhere Belastungen des Ökosystems seien häufig nur noch drei bis vier Stunden nach dem Einsatz nachweisbar, normalerweise im Frühjahr und im Sommer. Innerhalb dieser kurzen Zeit nehmen aber die Lebewesen im Wasser, für die die Insektizide eigentlich nicht gedacht sind, ihre Jahresdosis auf. Die Artenvielfalt wird so langfristig ausgedünnt, befürchten die Wissenschaftler.

Spritzmittel kommen mittlerweile rund um den Globus zum Einsatz: Um etwa 750 Prozent ist der gesamte Pflanzenschutzmarkt zwischen 1955 und 2000 gewachsen, auf geschätzt 50 Milliarden US-Dollar.

Die Auswertung deckt nur zehn Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche ab. Für Russland, einige Staaten der ehemaligen Sowjetunion, große Teile Afrikas oder für das nordwestliche Südamerika fehlen offenbar Messdaten. Ralf Schulz vermutet jedoch, dass die Auswirkungen auf Ökosysteme weltweit in der aktuellen Untersuchung eher unterschätzt werden. "Insgesamt stellt die Studie die Risikobewertung von Insektiziden ganz grundsätzlich in Frage", sagt er.

Bis zu 31 verschiedene Pestizide in einer Gewässerprobe

Zumal oft unklar ist, wie verschiedene Pestizide in der Natur zusammenwirken. Denn oft wird nicht ein einzelnes Insektizid auf den Feldern ausgebracht, sondern ein ganzer Spritzmittelcocktail aus mehreren Komponenten, der dann in die Gewässer oder Sedimente gelangt und dort die Falschen treffen. In den etwa 4000 Datensätzen, die Schulz und Stehle auf solche Cocktails untersuchten, entdeckten sie in mehr als 80 Prozent der Fälle Mixturen: Sie enthielten bis zu 31 verschiedene Pestizide.

Ebenfalls nicht ausreichend erforscht ist, inwieweit die Vegetation im Wasser die fehlgeleiteten Spritzmittel abfängt und so die Tierwelt schützen kann. Um die Umwelt zu schonen, raten die Forscher, bewährte Methoden der Biolandwirtschaft zu übernehmen, die die Schädlingsbelastung verringern - etwa bessere Fruchtfolgen. Auch sollten Landwirte Pestizide wirklich nur dort einsetzen, wo sie dringend gebraucht werden und sie wenn möglich mit neuester, präziser Agrartechnik auf die Felder bringen.

Durch den Klimawandel dürfte es in Zukunft noch wichtiger werden, Insektizide präzise und vorsichtig einzusetzen. Denn viel Spielraum für zusätzliche Ackerflächen bleibt nicht, so dass der Ertrag auf den vorhandenen eher steigen muss. In Zukunft aber könnten noch zusätzliche Schädlings-Attacken drohen, da viele Insekten es gerne warm haben. Wer darauf mit einfach immer noch mehr Spritzmitteln reagiert, setzt das Leben in Gewässern aufs Spiel.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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