Satellitenmanöver im All:Außerirdischer Abschleppdienst

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Müllentsorgung im Weltraum: Ingenieure konstruieren Roboter, die havarierte Satelliten flottmachen sollen.

Alexander Stirn

Behutsam bremst der Satellit ab, dreht sich leicht und setzt seinen Flug fort. Millimeter für Millimeter nähert er sich seinem Ziel. Auf dem Schwarzweiß-Bildschirm im Kontrollzentrum taucht schemenhaft ein zweiter Satellit auf. Die Umrisse werden deutlicher, ein Triebwerk ist zu erkennen, bald füllt es den ganzen Monitor aus. Dann geht alles ganz schnell: Ein leichter Ruck, ein unsichtbaren Zuschnappen, und der anvisierte Satellit hängt am Haken.

Weltraum-ADAC entsorgt fachgerecht

So wird es aussehen, wenn in einigen Jahren der Weltraum-ADAC ausrückt und im Orbit havarierte Satelliten wieder flott macht oder taumelnde Satelliten einfängt und fachgerecht entsorgt - damit sie nicht als Weltraumschrott enden oder auf die Erde stürzen.

Im Keller des Raumfahrtkontrollzentrums in Oberpfaffenhofen bei München trainieren Ingenieure bereits für solche Abschleppunternehmungen. Dass diese in Zukunft notwendiger werden könnten zeigte sich zum Beispiel im Februar dieses Jahres als ein Telefonsatellit auf einen ausgedienten russischen Späher prallte und beide Trabanten in Stücke riss. Weltraumexperten wollen unbedingt vermeiden, dass weiterhin ausgediente Satelliten durchs All taumeln und später als Schrott zur Gefahr werden - auch für bemannte Missionen.

Roboter simulieren Annäherung im All

In den vergangenen Monaten hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen einen ersten Teststand aufgebaut, auf dem Satellitenmanöver geprobt werden können. Noch sind es Roboter, die bei den Trockenübungen aufeinander zusteuern, sich gegenseitig erkennen und eine kontrollierte Annäherung simulieren - so wie es künftig im All passieren soll.

"Modernen Kommunikationssatelliten geht nach etwa 15 Jahren der Treibstoff aus, auch wenn sie ansonsten noch prächtig funktionieren", sagt Florian Sellmaier, der die Satelliten-Studien in Oberpfaffenhofen koordiniert. "Ein Service-Satellit könnte die Lebenszeit solcher Systeme locker um ein Dutzend Jahre verlängern." Die Idee: Während der eine Trabant weiter Telefongespräche oder Fernsehprogramme überträgt, übernimmt ein kleiner Schlepper das Steuer. Er korrigiert die Bahn und stabilisiert die Lage des orbitalen Gespanns.

Eine Düse als Abschlepphaken

Das Ganze ist jedoch nicht einfach. Die derzeit kreisenden Satelliten haben weder Haltegriffe noch Andockstutzen. Die einzige Gemeinsamkeit, die fast alle Satelliten aufweisen, ist eine Antriebsdüse, der so genannte Apogäumsmotor. Genau an dieser Stelle wollen die Ingenieure ansetzen: Die Düse könnte künftig als Abschlepphaken dienen. "Wie eine Zecke soll sich der kleine Satellit daran festbeißen", sagt Sellmaier.

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Dass das nicht so einfach ist, wird auf dem DLR-Teststand schnell deutlich. Ein Scheinwerfer mit 20 Kilowatt Leistung simuliert dort die Sonne. Das Licht wird von der goldenen Isolierfolie, die Satellitentriebwerke umhüllt, in alle Richtungen reflektiert. Die Kamera des anfliegenden Rettungssatelliten sieht nur ein Gewitter aus gleißenden Lichtschlieren.

Jürgen Bosse, Geschäftsführer der Firma Robo-Technology, klickt auf das Videobild. Ein Computer hebt den Rand der Düse farblich hervor. Er hat die Stelle erkannt, da eine Kante auf der einen Seite heller schimmert als der Hintergrund. Nun steuert er den Roboter direkt darauf zu. "Genau solche Verfahren sollen hier überprüft werden", sagt Bosse.

Steuerelektronik angleichen

Noch kann die Anlage, die im November offiziell eingeweiht werden soll, lediglich die letzten 25 Meter eines Anflugs nachspielen. Vom kommenden Jahr an soll auch das Andocken simuliert werden, inklusive der Kräfte und Drehmomente, die dabei auftreten. Damit sich das anfühlt wie in der Schwerelosigkeit, muss die Steuerelektronik der Roboter entsprechend angeglichen werden. "Die meisten Menschen haben schon auf der Erde Probleme, einen Faden in ein Nadelöhr zu bekommen", sagt DLR-Ingenieur Toralf Boge, einer der Entwickler des Teststands. "Wir versuchen ein orbitales Rendezvous, bei dem Nadel und Faden aus beweglichen, mehrere Tonnen schweren Kolossen bestehen."

Nur zwei Zentimeter breit ist die Satellitendüse an ihrer dünnsten Stelle, dort wo der Abschlepphaken einrasten soll. Schon die kleinste ungeplante Berührung kann in der Schwerelosigkeit unkalkulierbare Folgen haben. Die Ingenieure wollen dem Servicesatelliten daher beibringen, sich entlang der Wand der Düse Millimeter für Millimeter vorzutasten - wie ein Mensch in einem dunklen Tunnel.

Der grobe Ablauf einer solchen Rettungsmission steht dagegen so gut wie fest. Nach dem Start wird der etwa eineinhalb Tonnen schwere Satellitenschlepper zunächst die Erde in geringer Höhe umkreisen und anschließend sein Ionen-Triebwerk zünden. Das schleudert Xenon-Atome ins All und erzeugt einen kleinen, aber permanenten Schub. Da es ohne chemische Reaktion auskommt, ist ein Ionentriebwerk sechsmal so effizient wie ein herkömmlicher Antrieb. "Das hat den Vorteil, dass wir deutlich weniger Treibstoff mitnehmen müssen", sagt Florian Sellmaier. Der Nachteil: Die Reise zu einem geostationären Satelliten in knapp 36000 Kilometer Höhe dauert etwa 20 Wochen.

Entsorgung im Friedhofsorbit

Dort angekommen, sucht der Schlepper mithilfe eines Radarsystems nach seinem Ziel und dockt dann, wie in Oberpfaffenhofen trainiert, an den großen Satelliten an. Doch auch wenn das gelingt, sind noch nicht alle Probleme beseitigt: Um einen Satelliten mit einem angehängten Abschleppsatelliten steuern zu können, muss der Schub äußerst zielgenau eingesetzt werden. Andernfalls entstehen Drehmomente, und das Satellitengespann gerät ins Taumeln. "Das verlangt sehr trickreiche Steuermanöver", sagt Sellmaier. Gelingen diese, kann der orbitale Abschleppdienst jedoch die Kontrolle über den Satelliten übernehmen. Muss der große Satellit entsorgt werden, kann der Schlepper ihn in eine Art Friedhofsorbit bringen, und anschließend dem nächsten havarierten Satelliten zu Hilfe eilen.

Auf der nächsten Seite: Wann das erste Abschleppmanöver vollzogen wird

Auch in erdnahen Regionen sind derartige Einsätze denkbar - wenn zum Beispiel ein Erdbeobachtungssatellit außer Kontrolle gerät und auf bewohntes Gebiet abzustürzen droht. Bislang konnten solch taumelnde Riesen im Notfall mit einem amerikanischen Space Shuttle eingefangen werden; deren Einsatz kostet jedoch um die 400 Millionen Euro und nach der derzeitigen Planung sollen sie im kommenden Jahr eingemottet werden. Bliebe noch die Möglichkeit gefährliche Satelliten abzuschießen. Das ist allerdings höchst umstritten: Im vergangenen Jahr haben die USA einen ihrer Spionagesatelliten vom Himmel geschossen und damit die Angst vor einem "Krieg der Sterne" geschürt.

Unbemannte Satellitenfänger könnten so etwas deutlich eleganter lösen. Auch wenn das alles andere als einfach wird: In einer kürzlich fertiggestellten Studie kommt das DLR zu dem Schluss, dass die Beseitigung eines Schrott-Satelliten nur mit einem Greifarm zu bewältigen ist. Der soll den widerwilligen Satelliten an einer exponierten Stelle, zum Beispiel am Sonnensegel, packen und ihn dann über dem Südpazifik in den Abgrund reißen.

Erste Manöver in drei bis vier Jahren

Dass solche Aktionen prinzipiell machbar sind, hat die Forschungsabteilung des Pentagons vor zwei Jahren gezeigt. Im Rahmen des Projekts Orbital Express schossen die Amerikaner zwei speziell ausgerüstete Test-Satelliten ins All, die in einem erdnahen Orbit eine Reihe von Service-Manövern übten: Die Trabanten dockten automatisch an, tankten sich auf und wechselten mit ihrem Roboterarm sogar einzelne Bauteile aus. Möglich war das aber nur, weil die Satelliten extra für diese Übungen gebaut worden waren. "In der Praxis kann man so was erst mit der nächsten Generation von Satelliten machen, also in frühestens 20 Jahren", sagt Florian Sellmaier.

So lange wollen die DLR-Ingenieure nicht warten. Die Wissenschaftler hoffen, in drei bis vier Jahren erste Abschleppmanöver im Weltraum zu vollführen. Bis es soweit ist, müssen sich die Roboter im Keller von Oberpfaffenhofen allerdings noch viele Male als Satelliten ausgeben.

© SZ vom 15.09.2009/jug - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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