Rhein kürzer als gedacht:"Ein banaler Zahlendreher"

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Seit 50 Jahren wird der Rhein überschätzt. Ein Biologe fand heraus, dass der Fluss fast 100 Kilometer kürzer ist als überall angegeben. Wie konnte das passieren?

Berit Uhlmann

Bruno Kremer ist Biologe an der Universität Köln und hat eher zufällig herausgefunden, dass die Länge des Rheins seit 50 Jahren in allen relevanten Veröffentlichungen falsch angegeben wird.

SZ: Sie sind Biologe. Wie sind Sie darauf gekommen, die Länge des Rheins zu überprüfen?

Bruno Kremer: Ich arbeitete an einem Kompendium zum Rhein. Hauptsächlich sollte es darin um ökologische Aspekte gehen. Der Vollständigkeit halber wollte ich auch die Länge des Rheins erwähnen. Mir fiel auf, dass in Schriften, die vor 1960 verfasst wurden, der Rhein kürzer erscheint als heute: Seine Länge wurde einst mit etwa 1230 Kilometer angegeben. Moderne Lexika und zahlreiche Veröffentlichungen von Bundesbehörden geben aber eine Rheinlänge von zirka 1320 Kilometern an. Also habe ich weitergesucht und insgesamt mehr als 50 Literaturstellen zur Länge des Flusses überprüft. Sie teilen sich in diese zwei Lager. Das ließ mir keine Ruhe. Ich wollte eine Erklärung finden.

SZ: Der Mensch hat massiv in den Flussverlauf eingegriffen. Könnte dies nicht die unterschiedlichen Längen erklären?

Kremer: Das dachte ich zunächst. Doch die großen Rheinkorrekturen wurden im 19. Jahrhundert vorgenommen und nicht um 1960, als es zu der sprunghaften Längenänderung in der Literatur kam. Außerdem wurde der Fluss damals begradigt und somit verkürzt. Das kann also nicht erklären, warum die moderneren Angaben zur Rheinlänge höher liegen als die älteren.

SZ: Woher kommt also die Diskrepanz von 90 Kilometern?

Kremer: Die Zahlenangabe der modernen Nachschlagewerke ist schlicht falsch. Es muss sich um einen banalen Zahlendreher handeln. Irgendwann um 1960 wurde wohl aus 1230 eine 1320. Dieser Fehler perpetuierte sich, weil offenbar einer vom anderen abschrieb.

SZ:Wie können Sie so sicher sein, dass die 1320 Kilometer falsch sind?

Kremer: Mich hatte die Neugier gepackt und ich habe nachgemessen. Das ist so schwer nicht. Bei Konstanz steht die Kilometertafel 0, die Mündung des Rheins in Hoek van Holland liegt am Kilometer 1033. Diese Kilometerzählung gibt es seit 1939, und sie wird von niemandem bezweifelt - auch von mir nicht. Ich musste also nur noch den Bodensee und den Flussverlauf in der Schweiz nachmessen. Das habe ich mit Hilfe der neuesten amtlichen topografischen Karten getan. Ich kam auf eine Rheinlänge von insgesamt 1233 Kilometern - gemessen vom längsten Quell-Ast des Vorderrheins in Graubünden bis zur Mündung bei Hoek van Holland.

SZ: Das klingt nicht nach einer professionellen Vermessung. Sind Sie sicher, dass Sie keinen Fehler gemacht haben?

Kremer: Ich will nicht ausschließen, dass ich mich um ein bis zwei Kilometer vertan habe. Je nachdem welchen Punkt man als Rheinquelle definiert, können Messungen um rund fünf Kilometer schwanken. Doch eine Rheinlänge von 1320 Kilometer ergibt einfach keinen Sinn. In diesem Fall müssten Bodensee und Schweizer Teil zusammen eine Länge von fast 300 Kilometern aufweisen. Doch schon eine Abschätzung mit bloßem Auge im Atlas zeigt, dass dies nicht stimmen kann.

SZ: Haben Sie die Behörden und Lexikonverlage auf den Fehler aufmerksam gemacht?

Kremer: Zum Teil. Nicht alle reagierten erfreut. Mittlerweile bestätigen jedoch die Bundesanstalt für Gewässerkunde und das Rheinmuseum in Koblenz meine Erkenntnis. Auch der Brockhaus-Verlag will seinen Lexikon-Eintrag revidieren. Ich hoffe, dass die Verfasser anderer Veröffentlichungen nachziehen.

SZ: Im deutschsprachigen Online-Lexikon Wikipedia steht bereits die von ihnen ermittelte Längenangabe. Stecken Sie dahinter?

Kremer: Sicherlich steckt meine Arbeit dahinter, denn einige Interessierte haben durch eine kleinere Veröffentlichung davon erfahren. Ich selbst habe aber nichts auf Wikipedia verändert.

© SZ vom 27.3.2010/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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