Restrisiko der Atomkraftwerke:Mit Sicherheit ein ungutes Gefühl

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Nach Fukushima stellt sich die Frage: Kann es überhaupt ein sicheres Atomkraftwerk geben? Nein, sagen Experten, die Wahrscheinlichkeit eines GAUs lässt sich allenfalls verringern. Eine Katastrophe unter Kontrolle zu bringen, ist keine Frage kluger Planung - sondern eine des Glücks, der menschlichen Erfindungsgabe und Opferbereitschaft.

Christopher Schrader

Es war einmal ein Traum - er handelte von sicherer, sauberer, unbegrenzter und preiswerter Energie. Er stammt aus ferner Zeit. In den frühen 1950er-Jahren war die Welt geschockt von der Atombombe, verängstigt vom nuklearen Wettrüsten des kalten Krieges. Viele Physiker plagte ihr Gewissen, besonders solche aus dem Manhattan-Projekt, die die Atombomben für Hiroshima und Nagasaki gebaut hatten. Aber dann kam die Idee auf, die Kräfte der Kernphysik, die Robert Oppenheimer und seine Männer in Los Alamos entfesselt hatten, für friedliche Zwecke zu nutzen. Für die Wissenschaftler war es eine Wiedergutmachung und Balsam für die eigenen Seelen: Der Höhepunkt von 300 Jahren Physik sollte nicht eine schreckliche Waffe sein, wie es Isidor Rabi gegenüber Oppenheimer formuliert hatte, sondern saubere Energie.

Welches Unglück sich über einem Atomkraftwerk - hier der Meiler Biblis - zusammenbrauen könnte, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit vorausberechnen. (Foto: dpa)

Aus diesem Traum ist die Menschheit längst rüde geweckt worden, vor allem durch die Reaktorunfälle in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima. Jedes Mal ist die nach wie vor faszinierende Physik der Kernspaltung an den Mängeln ihrer technischen Umsetzung und der menschlichen Unzulänglichkeit von Planern und Betreibern gescheitert. Doch auch wenn Deutschland nun seinen Ausstieg aus der Nuklearenergie beschleunigen sollte, wenn Frankreich, Amerika, Indien und China Atompläne überdenken, werden noch lange Kernkraftwerke laufen.

Ja, es werden sogar noch neue Meiler gebaut und zukünftige Reaktoren nach ganz neuen Konzepten geplant, deren Prototypen frühestens in zwei Jahrzehnten Strom produzieren könnten. Viele Physiker und Ingenieure träumen ihn also noch, den Traum von der sicheren Kernenergie. Andere halten die Atommeiler für unverzichtbar, wenn man die Ziele der wirtschaftlichen Entwicklung und des Klimaschutzes gleichzeitig verfolgen wolle. Das ist eine eigene Debatte.

Vorher aber steht vor einer anderen Fragen, wer die künftige Energieversorgung rational durchdenkt: Lässt sich so etwas wie ein sicheres Kernkraftwerk überhaupt konstruieren? Die Antworten der Experten decken ein weites Spektrum ab. Ein pauschales "Ja" ist nicht darunter. "Das kann es gar nicht geben, weil man sich in jedem Fall die technische Umsetzung der Maßnahmen genau ansehen muss", sagt Christoph Pistner vom Ökoinstitut in Darmstadt. Manche Fachleute formulieren aber so etwas wie ein fundamentales "Nein": "Absolute Sicherheit kann man sich nicht vorstellen. Es gibt Naturkräfte, die dem widersprechen", sagt Wolfgang Liebert von der Forschungsstelle Ianus an der Technischen Universität Darmstadt. "Die Nachzerfallswärme, die jetzt auch in Fukushima die großen Probleme macht, ist nicht zu vermeiden."

Von anderen Experten ist als erstes die Gegenfrage zu hören, was denn bitte unter "sicher" zu verstehen sei. "Sicherheit ist keine absolute Größe oder absoluter Zustand", sagt Frank-Peter Weiß, Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, die der Bundesumweltminister als Gutachter in Nuklearfragen einsetzt - auch jetzt für den Stresstest der 17 deutschen Meiler. "Sicher ist eine Anlage, wenn ihr Risiko unter dem Grenzrisiko liegt, und das legt die Gesellschaft fest."

Eckart Laurin, Professor am Institut für Kernenergetik der Universität Stuttgart, ergänzt: "Ingenieure können das Sicherheitsniveau so hoch legen, wie es die Vorschriften bestimmen." Was darin stehe, müssten die Menschen des Landes und ihre Vertreter festlegen. "Es ist aber immer ein Fall denkbar, wie es zu einer massiven Freisetzung von Radioaktivität kommt, und sei es beim Einschlag eines Meteoriten."

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Am Ende ist Sicherheit auch eine Frage des Geldes. "Man kann sich theoretisch bestimmt vorstellen, einen Druckwasserreaktor inhärent sicher zu bauen, aber dann hat er jegliche Wirtschaftlichkeit verloren", sagt Hans-Josef Allelein, Professor für Reaktorsicherheit an der Technischen Hochschule Aachen. Das ist kein technokratisches Argument, es geht Allelein nicht darum, die Sicherheit der Menschen gegen die Profite der Elektrizitätskonzerne abzuwägen: Der Strom aus einem solchen Kraftwerk wäre unter keinen Umständen mehr konkurrenzfähig, die Anlage also überflüssig. Auch Wolfgang Liebert sagt: "Es gab mal die Pläne, Kernkraftwerke komplett unterirdisch zu bauen, aber das musste an den Kosten scheitern."

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In jedem Fall kennen Kernkraftexperten viele technische Kniffe, um die Sicherheit von Atommeilern weit über das Niveau von Anlagen wie Fukushima oder Brunsbüttel anzuheben. Viele davon haben sie in einem neuen Kraftwerkstyp zusammengebracht, der in Finnland und Frankreich gebaut wird, dem sogenannten European Pressure Reactor (EPR). Er hat zum Beispiel wesentlich besser geschützte, räumlich verteilte Kühlmittelpumpen. Der zentrale Unterschied zu bisherigen Designs aber sind die Vorbereitungen, die für das Schmelzen des Brennmaterials getroffen werden.

Kein bestehender Reaktor am Netz ist darauf auslegt, einen solchen Unfall sicher zu beherrschen; wenn es allen Widrigkeiten zum Trotz dennoch gelingt, nach einer teilweisen Kernschmelze die massive Freisetzung von Radioaktivität zu verhindern, ist das wie in Harrisburg und hoffentlich in Fukushima eine Frage des Glücks, vielleicht auch der menschlichen Erfindungsgabe und Opferbereitschaft, aber jedenfalls nicht eine Frage kluger Planung.

"Der EPR ist dafür ausgelegt, den geschmolzenen Kern innerhalb der Anlage aufzufangen und genügend zu kühlen", sagt der Stuttgarter Experte Laurin. Unter dem Druckbehälter ist eine große flache Wanne vorgesehen, in der sich die glühende Masse ausbreitet. Nur zehn Zentimeter hoch soll der Metallbrei darin stehen. Sogenannter Opferbeton unter ihm soll dann schmelzen und eingelagertes Wasser freisetzen, auch von oben soll kühlendes Wasser kommen. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist aber, dass die Wanne knochentrocken ist, wenn die Kernschmelze hineinläuft, wenden Kritiker ein. Bei einem Bruch von Kühlleitungen, wenn die Mannschaft im Kontrollraum schon lange um die Beherrschung der Anlage kämpft, könnte auch Wasser in die Auffangwanne geströmt sein, so dass der glühende Brei dort heftige Dampfexplosionen auslöst.

Solche fatalen Verkettungen von widrigen Umständen sind seit Fukushima besonders in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Auch der Test der 17 deutschen Atommeiler wird nun zum ersten Mal prüfen, "ob die Leute auf den Anlagen ihre geplanten Notfallmaßnahmen auch umsetzen können, wenn nicht nur im Reaktor Schäden aufgetreten sind und die Mannschaft reduziert ist, sondern auch draußen die Straßen zerstört sind, Helfer nicht durchkommen, kein LKW einen externen Stromgenerator bringen kann und eine Flutwelle die Ansaugstutzen für Kühlwasser zerstört hat", sagt GRS-Chef Weiß. Bisher hatten die berechneten Störfall-Szenarien vorausgesetzt, dass Schäden geordnet und einzeln auftreten, nicht gehäuft wie in Fukushima.

Die dabei verwendete Methode heißt Probabilisitische Sicherheitsanalyse. Die Planer überlegen sich dabei, wie wahrscheinlich die Ereignisse in jenen Ketten von Ereignissen sind, die zu schweren Unfällen führen könnten. Das ist bei einer komplizierten Maschinerie vielleicht auch nicht anders möglich, weil sich nicht jeder denkbare Zustand der Anlage deterministisch vorhersehen lässt. Trotzdem ist das Verfahren oft kritisiert worden, weil schließlich irgendwo ein Schlussstrich gezogen wird und die Vorbereitung auf ein sehr unwahrscheinliches Szenario unterbleibt. "Was aber, wenn die Berechnungen nicht alle Unwägbarkeiten berücksichtigen?", fragen die Statistik-Professoren Helmut Küchenhoff von der Universität München und Göran Kauermann von der Hochschule in Bielefeld in einem Gastbeitrag für die FAZ. Es sei ein "schwieriges, ja fast unlösbares Problem" für die Bestimmung von Unfallwahrscheinlichkeiten, wenn "Szenarien eintreten, die nicht im Kalkulationsmodell berücksichtigt worden sind".

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Reaktorphysiker versuchen deswegen, die Naturgesetze auf ihre Seite zu bringen. Das Wegkühlen der Nachwärme, die auch Frank-Peter Weiß als das zentrale Sicherheitsproblem ansieht, soll ohne Pumpen und Strom durch Konvektion und Verdunstung gelingen. Das ist ein Designprinzip beim von der Firma Areva entworfenen Reaktor Kerena, der früher SWR1000 hieß. Es ist die Weiterentwicklung des aus dem Jahr 1972 stammenden Konzepts der Siedewasserreaktoren in Gundremmingen. Im Kerena-Block sollen Wärmetauscher und Wasserbecken dem Meiler die Nachwärme entziehen und an die Umwelt abgeben, ohne dass eine Pumpe nötig ist. "Das einzige, was das Personal machen muss, ist ein Wasserbecken außerhalb des Sicherheitsbehälters immer wieder aufzufüllen", sagt Frank-Peter Weiß. Allerdings hängt diese Sicherheitsstrategie davon ab, dass dieses Becken nicht durch ein Erdbeben, eine Explosion beschädigt und der Wärmetauscher nicht zerstört worden ist.

Vielen Fachleuten fällt zum Thema "sicheres Kernkraftwerk" aber als erstes der sogenannte Hochtemperatur-Reaktor (HTR) ein. Das ist ein deutsches Design, ein Prototyp lief lange im Forschungszentrum Jülich. Der Kernbrennstoff, das Uran, ist hier in Form winziger Körnchen von Keramik-Schichten umgeben und in tennisballgroßen Graphitkugeln eingeschlossen. Diese liegen lose auf einem Haufen im Kern der Anlage. Helium strömt dazwischen hindurch, nimmt die produzierte Wärme auf und gibt sie an die Turbine sowie den Generator ab.

Die Auswahl der Materialien erlaubt es, mit weit höheren Temperaturen zu arbeiten, was den Wirkungsgrad erhöht. Sie diktiert zudem eine geringe Leistungsdichte, statt 1600 Megawatt Strom wie der EPR produziert ein gleich großer HTR etwa 160 Megawatt. Das macht ihn schon etwas sicherer in einem Krisenfall, weil er entsprechend weniger Nachwärme produziert. Wichtiger aber ist sein Verhalten beim Verlust des Kühlmittels. "Wenn das Helium nicht mehr da ist, geht die Kettenreaktion von allein aus, dann sinkt auch die Temperatur", sagt Eckart Laurin. Und selbst wenn die Urankörnchen schmelzen sollten, hält die Graphitmatrix der Kugel Experten zufolge der Hitze noch stand. Eine Kernschmelze gilt also als ausgeschlossen.

Die Gefahr ist aber ein Graphitbrand. Wenn das Helium ausströmt, kann vielleicht Luft und damit Sauerstoff an die Kugeln heran kommen. Ein Feuer könnte schließlich doch große Mengen des radioaktiven Inventars nach draußen tragen. "Es ist nicht heiß genug, die Keramikhüllen der Urankörner anzugreifen", sagt Laurin. Aber die ummantelten Körner würden in die Umwelt geraten, zusammen mit dem strahlenden Staub aus der Anlage und Metallpartikeln, die durch Kontakt mit den radioaktiven Inhalt selbst aktiviert worden sind.

Das Nachdenken über Reaktordesigns kann aber die prinzipielle Frage der Sicherheit nicht beantworten; kein Mensch weiß schließlich, ob die geniale Idee vielleicht nur einfach noch nicht gefunden worden ist. Darum kommt Wolfgang Liebert auf die Nachzerfallswärme zurück. "Das ist der einzige Aspekt der Kernspaltung, den man keinesfalls umgehen kann." Für den zuverlässigen Stopp der Kettenreaktion ließen sich vergleichsweise gut Mechanismen finden. Aber selbst im Endlager könnten gebrauchte Brennelemente durch die Wärmeentwicklung Probleme machen. "Die Freisetzungsproblematik begleitet uns dadurch bis ans Ende."

© SZ vom 02.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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