Reptilien:Einfühlsame Echsen

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Ein Pantherchamäleon im Zoo von Zürich - die Tiere brauchen soziale Nähe, um zu gedeihen (Foto: dpa)

Wachsen Chamäleons mit Geschwistern auf, werden sie mutig und erfolgreich. Isolierte Echsen verkümmern hingegen. Das Sozialleben der Reptilen ist verblüffend komplex, zeigt eine neue Studie.

Von Susanne Wedlich

Von wegen kalt und gefühllos, da ist eine Entschuldigung fällig. Seit jeher gelten Reptilien als Instinktmaschinen mit unveränderlich starren Verhaltensweisen. Dabei zeigen neue Forschungsarbeiten viele dieser Tiere als kompetente Problemlöser mit gutem Erinnerungsvermögen, als treue Partner, hingebungsvolle Eltern und als sozial lebende Wesen, die verwandte von fremden Artgenossen unterscheiden und individuelle Tiere erkennen können. Wie weich der Kern unter der schuppigen Schale ist, zeigt nun eine Studie der University of Sydney im Fachblatt Animal Behaviour. Demnach entwickeln junge Jemenchamäleons dramatisch veränderte Verhaltensweisen, wenn sie sozial isoliert aufwachsen. Normalerweise verbringen die Tiere die ersten Lebensmonate mit ihren Geschwistern - und profitieren davon überraschend stark.

In Cissy Ballens Labor in Sydney wurden einige Tiere alleine aufgezogen, während andere in Vierergruppen aufwuchsen. Nach zwei Monaten ließen die Forscher Einzel- und Gruppentiere vom gleichen Geschlecht paarweise aufeinander los. Abgesehen von wenigen Wochen nach dem Schlüpfen und der Paarungszeit sind Jemenchamäleons Einzelgänger und begegnen Artgenossen aggressiv. Dies war auch im Labor zu beobachten, wenn auch mit deutlichen Abweichungen: Die Einzeltiere zeigten sich unterwürfiger. Sie flohen eher oder rollten sich zusammen. Dabei nahmen sie eine schwarze Färbung an, die als Stresszeichen der Tiere gilt. Auch sonst zeugte das Farbspiel der isolierten Tiere von wenig Zuversicht: Während sich die geselligen Geschwister in leuchtenden Farben präsentierten, trugen die Einzelkinder dunkle und gedämpfte Töne.

Farbwechsel sollen Dominanz signalisieren

Für die Tiere ist dies keine Frage der Ästhetik, sondern des Überlebens. Chamäleons kommunizieren über Nuancen der Färbung, Muster und Leuchtkraft, die das menschliche Auge wohl gar nicht wahrnehmen kann. "Sie nutzen dramatische Farbwechsel, um Dominanz zu signalisieren", sagt Ballen. Das zeigte auch eine Studie, die kürzlich in den Biology Letters erschienen ist: Das Farbspiel der Männchen ist nicht Teil der Auseinandersetzung, sondern stellt oft den Kampf selbst dar.

Zeigt sich ein Rivale nur von Weitem, sind die Männchen zunächst einmal platt: Sie flachen ihre Körper vertikal ab, um ihr Farbspiel von jeder Seite auf maximaler Werbefläche zu präsentieren. Ihr Spektrum von leuchtend Grün bis zu Braun, Schwarz, Weiß, Gelb und Türkis wird in Streifen und Punkten in Szene gesetzt. Wer unter anderem im Kopfbereich besonders helle Farben schnell wechseln lässt, geht meist als Sieger hervor, ohne dass es zu einer körperlichen Konfrontation kommen muss. Hier erscheinen die isoliert aufgewachsenen Tiere klar im Nachteil, möglicherweise weil sie die Auseinandersetzung nicht von klein auf mit ihren Geschwistern trainieren konnten. Vergleichbare Fehlentwicklungen sind von Singvögeln bekannt. Allein aufgewachsene Männchen singen zwar, meistern häufig aber die komplexen Melodien der Balzgesänge nicht.

Die einsamen Echsen ziehen aber nicht nur in der sozialen Interaktion den Kürzeren. Wie Ballen und ihr Team beobachteten, sind sie zudem bei der Jagd langsamer und weniger erfolgreich. Auch hier fehlt möglicherweise der frühe Konkurrenzdruck: Wer nicht drei hungrige Geschwister am Hacken hat, kann sich einfach ein wenig mehr Zeit lassen.

"Reptilien sind in ihrem Verhalten sehr viel flexibler und komplexer als bislang angenommen, wobei sie durch ihre Gene und ihre Umwelt beeinflusst werden", sagt Ballen. "Interessant ist nun, welche Rolle soziale Interaktionen bei Arten spielen, die mehr Zeit als die Jemenchamäleons in Gruppen oder im Familienverband verbringen."

© SZ vom 25.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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