Psychologie:Zeitdruck macht Zeugenaussagen zuverlässiger

"Nehmen Sie sich Zeit" - diesen Rat sollten Polizisten Augenzeugen nicht geben, wenn diese einen Täter identifizieren sollen. Wie australische Psychologen berichten. kann man sich auf ihre Entscheidungen eher verlassen, wenn sie innerhalb von Sekunden getroffen werden.

Sebastian Herrmann

Zeugen sind notorisch unzuverlässig. Bei klassischen Gegenüberstellungen schießen sie sich manchmal auf Unschuldige ein und bezichtigen diese einer Tat, die sie nicht begangen haben.

Viele Fehlurteile beruhen auf falschen Zeugenaussagen. Australische Forscher berichten nun, dass Zeugen den wahren Täter eher identifizieren, wenn sie sich innerhalb von Sekunden entscheiden müssen. (Foto: http:// www.seyboldtpress.de)

Psychologen um Neil Brewer von der Flinders University berichten nun im Fachmagazin Psychological Science (online) von einer Methode, mit der sich die Zuverlässigkeit bei der Identifizierung eines Verdächtigen durch Zeugen erhöhen lässt: Die Probanden der Forscher mussten ihre Aussagen unter starkem Zeitdruck treffen und waren gezwungen, die Verdächtigen einzeln statt alle auf einmal zu bewerten.

Bei fast drei Viertel der Fälle, bei denen in den USA ein Verurteilter durch DNA-Beweise nachträglich entlastet wurde, hatte eine falsche Zeugenaussage zu dessen Schuldspruch geführt. Brewer und seine Kollegen testen nun mit mehr als 900 Probanden, ob ihr Verfahren die Fehlerquote verringern könnte.

Die Testteilnehmer sahen Filme, in denen Verbrechen begangen wurden und mussten anschließend auf Fotos die Täter identifizieren. Waren darauf alle Verdächtigen auf einmal abgebildet, lagen sie häufiger falsch, als wenn ihnen die Fotos einzeln und nacheinander vorgelegt wurden. Mussten sich die Probanden binnen Sekunden entscheiden, ob ein Foto den Täter zeigt oder nicht, lagen sie noch häufiger richtig.

In klassischen Gegenüberstellungen hätten Zeugen zu viel Zeit nachzudenken, sagt Brewer. Und je länger sie vor sich hingrübelten, desto mehr spielten externe Faktoren - etwa Hinweise auf die soziale Schicht der Verdächtigen, die Umstände im Polizeirevier - eine verzerrende Rolle.

© SZ vom 30.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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