Proteste in Boston:US-Wissenschaftler wagen den Aufstand gegen Trump

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Ein "Haufen Nerds": Am Wochenende demonstrierten hunderte Wissenschaftler gegen die Politik von Donald Trump. (Foto: dpa)

Die Trump-Regierung hält nicht viel von unabhängiger Forschung. US-Wissenschaftler leisten nun Widerstand, vor Gericht und auf der Straße. Doch der Gegner ist mächtig.

Von Christopher Schrader, Boston

Wow, ich habe noch nie solch einen Haufen Nerds gesehen", ruft Geoffrey Supran, Spitzenforscher am Massachusetts Institute of Technology, ins Mikrofon. Hunderte Wissenschaftler auf dem Copley Square in Boston quittieren das mit Jubel. Die Menge schwenkt Plakate und skandiert: " Stand up for science!". Die Forscher sind entsetzt über die neue Regierung von Präsident Donald Trump, die auf breiter Front wissenschaftsfeindliche Positionen vertritt.

Die Demonstration in Boston ist nur der Vorläufer einer großen Kundgebung im April in Washington und anderen Städten, an der - so hoffen die Organisatoren - Hunderttausende teilnehmen werden, der Scientists' March, der Aufmarsch der Wissenschaftler. Welch bessere Gelegenheit, dafür zu werben, könnte es geben, als die soeben abgehaltene Jahrestagung der größten Forschervereinigung der USA, der AAAS. Mehr als 10 000 Wissenschaftler, Lehrer und Journalisten aus 60 Ländern besuchten die Konferenz.

Klimaforschung als "weinerlicher Kult"

Viele Teilnehmer sind mit bösen Befürchtungen nach Neuengland gereist, was die kommenden vier Jahre unter Trump für Wissenschaftler und Wissenschaft bedeuten mögen. "Es gibt existenzielle Ängste, weil das, was wir Forscher tun, zunehmend unter Wert gehandelt wird", sagte bei der Eröffnung Christina Paxson, Präsidentin der Brown University in Rhode Island. "Unsere Währung sind nun einmal auf Belege gestützte Tatsachen, nicht alternative Fakten." John Holdren, Wissenschaftsberater von Barack Obama, warnte: "Uns könnte ein enormer Kulturwandel bevorstehen." Die AAAS hat sogar Anstecker ausgegeben, auf denen steht: "Ask for evidence" - Frag nach Belegen.

Wie wenig die neuen US-Machthaber von evidence halten, beweist William Happer von der Princeton University, Trumps Wissenschaftsberater in spe. Klimaforschung hat er als weinerlichen Kult bezeichnet, der von kollektivem Wahnsinn aufgerührt werde. Auch Forscher, die sich mit Impfstoffen, Salz und Zucker im Essen, Blei in der Umwelt, Waffenbesitz, Pestiziden und Gentechnik befassen, blicken in eine bange Zukunft. Interessengeleitete Behauptungen scheinen plötzlich in der öffentlichen Debatte mindestens so viel Gewicht zu haben wie ihre jahrelange Arbeit.

Auf der AAAS-Tagung war viel Galgenhumor zu hören. Zugleich gab es im Programm der riesigen Konferenz keinen Podiumssprecher, der die Positionen der neuen Regierung vertreten hätte, sofern diese überhaupt schon formuliert sind. Das trug zur Verunsicherung bei. "Viele Wissenschaftler haben üble Ahnungen und Gefühle der Unsicherheit. Besonders Angestellte der Bundesbehörden halten erst einmal still", bestätigt Michael Halpern von der Lobbygruppe Union of Concerned Scientists (UCS) in Washington, die einst gegründet wurde, um den Dialog zwischen Forschern und Öffentlichkeit zu fördern.

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Doch Halpern sieht auch einen gewaltigen Aufbruch: Trumps Wahlsieg, seine Rhetorik und vor allem seine Minister und Behördenchefs hätten viel Energie freigesetzt: "Die Tage, in denen Forscher in ihren Laboren blieben, sind vorbei. Heute gründen sie Facebook-Gruppen, bereiten große Demonstrationen vor, den Aufmarsch im April. Viele überlegen sogar, für ein politisches Amt zu kandidieren." Eine neue Organisation namens 314-Action unterstützt sie dabei; der Name ist eine Anspielung auf die Kreiszahl π.

Auch Rush Holt, Vorstandsvorsitzender der AAAS, erzählt, er bekomme viele Anrufe mit der Bitte um Rat. Der Physiker der Princeton University war 16 Jahre lang für die demokratische Partei Mitglied des Repräsentantenhauses. In dieser Zeit fuhren seine Anhänger stolz mit einem Aufkleber am Auto herum: "Mein Abgeordneter ist tatsächlich Raketen-Forscher" - in Amerika ein Synonym für superschlau. Kelly Fleming von der Gruppe 500 Women Scientists twitterte: "Wissenschaftler sehen sich gezwungen, füreinander und für die Suche nach Wahrheit aufzustehen." Bei der Demo am Sonntag ist die junge Frau heiser, so viel hat sie während des fünftägigen Kongresses für ihre Anliegen geworben.

Viele Organisationen, die sich auf Basis wissenschaftlicher Fakten um Wildtiere, bessere Luft, sauberes Wasser oder den Klimaschutz bemühen, berichten von deutlich gestiegenen Spenden. Der Sierra Club zum Beispiel hatte seine monatlichen Einnahmen nach Trumps Wahl fast vervierfacht. Ähnliches gilt für Gruppen wie die Bürgerrechts-Organisation American Civil Liberties Union oder Planned Parenthood, die Familienberatung und Abtreibungen anbietet. "Auch für uns ist Donald Trump ein großer Spendeneintreiber gewesen", scherzt Lauren Kurtz vom Climate Science Legal Defense Funds. Angesiedelt an der renommierten Jura-Fakultät der Columbia University in New York hilft ihre Organisation Klimaforschern, wenn sie von Kohle- oder Öllobbyisten verklagt werden.

Bei den Prozessen verlangen die Kläger oft von den Forschern, deren gesamte E-Mail-Korrespondenz herauszugeben. In etlichen Bundesstaaten kann das von Universitäten verlangt werden. Eigentlich soll es der Informationsfreiheit dienen, "doch geht es darum, die Forscher mit flapsigen Formulierungen bloßzustellen und Passagen aus dem Zusammenhang zu reißen", sagt Kurtz. Damit sollen sie diskreditiert werden. Die UCS warnt vor einer Zunahme solcher "missbräuchlicher Gerichtsverfahren" in Trumps Amtszeit. Das behindert die Arbeit der Forscher auf vielerlei Weise. Kollegen von privaten Universitäten, die nicht verklagt werden können, könnten ihre Kontakte mit staatlichen Unis zurückfahren, ebenso wie Industriepartner. Es schränke schließlich die wissenschaftliche Kooperation erheblich ein, so Kurtz, wenn man bei jeder E-Mail überlegen muss, wie ein Gegner den Inhalt möglicherweise verdrehen könnte.

Allerdings wird das gleiche Druckmittel nun auch gegen Scott Pruitt angewandt, Trumps Mann für den Chefposten der Umweltbehörde EPA. Die Organisation Center for Media and Democracy klagt derzeit auf Einsicht in Pruitts Korrespondenz, weil sie vermutet, dass der ehemalige Generalstaatsanwalt von Oklahoma einst Öl- und Gasfirmen bevorteilt habe.

"Die Angestellten der Bundesbehörden fühlen sich, als seien sie das Futter"

Zu den Sorgen der Wissenschaftler gehört auch die Frage, ob sie noch ihre Bürgerrechte ausüben können. Vor allem Forscher in Bundesbehörden, der Nasa oder der in der Klimaforschung weltbekannten Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA, rufen nervös in New York an und möchten wissen, ob sie an dem Scientists' March im April teilnehmen können. Kurtz rät ihnen, die Rolle als öffentlicher Angestellter klar von der als Bürger zu trennen. So sollten sie ihre Dienst-E-Mail nicht im Zusammenhang mit dem Protest nutzen, womöglich den Büro-Browser nicht nach Informationen über die Demonstration suchen lassen und sich auf Plakaten nicht als Wissenschaftler identifizieren.

Auf dem Kongress in Boston kündigten einige an, trotz möglicher Repressalien teilnehmen zu wollen. Mindestens für die Mitarbeiter der angesehenen Organisationen fühlt sich die Regierung Trump gerade an wie ein Polizeistaat. In vielen der Behörden gilt zudem ein Sprechverbot, bis die neuen Chefs im Amt sind.

Robert Cook-Deegan von der Arizona State University beschreibt die Situation metaphorisch: "Trumps Wahlkampfslogan war: Lasst uns den Sumpf Washington trockenlegen. Bisher ist der Pegel jedoch gestiegen, das Wasser ist schlammiger, und die neue Regierung wirft Alligatoren hinein, die acht Jahre lang gehungert haben. Die Angestellten der Bundesbehörden fühlen sich, als seien sie das Futter." Ein aktueller Gesetzentwurf der Demokraten, der die Regeln für wissenschaftliche Integrität in den Behörden wahren soll, hat da wenig Aussichten auf Erfolg.

Hinter den Kulissen gärt es, befürchten viele Wissenschaftler. Mindestens drei Entwicklungen könnten ihre Arbeitsbedingungen und das Land nachhaltig verändern. "Das Einfachste und zugleich Gefährlichste ist, die Finanzierung für unliebsame Forschung einzustellen", sagt Lauren Kurtz. Michael Halpern von der UCS weist auf ein zweites Druckmittel hin, den sogenannten Reins Act. Der Entwurf für dieses Gesetz war unter Obama gescheitert, aber jetzt sehen die Republikaner ihre Chance. Es sieht vor, dass jedes Paket behördlicher Regulierungen, das die amerikanische Wirtschaft mindestens 100 Millionen Dollar im Jahr kosten könnte, von beiden Häusern des Kongresses bestätigt werden muss. Passiert das nicht, darf die betroffene Behörde sich mit dem Thema bis zu zwei Jahre lang nicht mehr befassen.

Eine Reform von Trinkwasser-Richtlinien oder Abgaslimits, bei denen sich die Behörden oft in jahrelanger Arbeit auf wissenschaftlichen Rat stützen, hätte dann kaum noch eine Chance. "Der Kongress möchte ein wissenschaftliches Urteil durch ein politisches ersetzen", warnt Halpern. Das Parlament sage praktisch: Wir wissen besser als Forscher, welche Menge Ozon in der Luft sicher ist oder welches Medikament wirkt. Oder was beim Fracking mit dem Trinkwasser passiert.

Vor einer dritten Veränderung warnt Dan Kahan von der Yale University: Trump zerre wissenschaftliche Fragen über jene Grenze, wo die Haltung dazu ein politisches Glaubensbekenntnis wird. Bei Themen wie Klimawandel, Waffenbesitz und Evolutionslehre ist das bereits geschehen: Politische Couleur entscheidet hier zwischen ja und nein. Was nicht in die Ideologie passt, wird geleugnet.

Der neue Präsident kann unterdessen mit seinen Tweets weitere Themen politisieren, bei Impfstoffen hat er bereits vor Jahren damit begonnen. "Das ist keine Grippe unserer Gesellschaft mehr, sondern Krebs am Gewebe der aufgeklärten Demokratie", warnt Kahan, der Yale-Forscher. "Wir müssen damit aufhören, wissenschaftliche Fragen zu Wir-gegen-die-Themen zu machen, über die man nicht mehr ohne politisches Bekenntnis reden kann."

Oft genug geraten dann nämlich Wissenschaftler in die Schusslinie, sagt Naomi Oreskes. Die Wissenschafts-Historikerin von der Harvard University hielt in Boston einen bejubelten Vortrag über das gesellschaftliche Engagement von Wissenschaftlern. "Es ist nicht so, dass Forscher angegriffen werden, weil sie sich an die Öffentlichkeit begeben und politisch äußern. Sie werden angegriffen, weil sie zu Themen arbeiten, die politisch relevant sind, was sie zu öffentlichen Figuren macht." Sich wegzuducken, werde niemanden schützen, rief sie auch bei der Demonstration. Es sieht so aus, als hätten große Teile der amerikanischen Forscher-Gemeinde dies verstanden. "Wissenschaft zu betreiben", so einer der Slogans, "ist nicht Parteipolitik, sondern Patriotismus."

© SZ vom 21.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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