Projekt Iter:Die Geldverbrennungsmaschine der Physik

Projekt Iter: Wie eine kleine Stierkampfarena wirkt der Rohbau des Untergeschosses, in dem der Reaktor einmal stehen soll.

Wie eine kleine Stierkampfarena wirkt der Rohbau des Untergeschosses, in dem der Reaktor einmal stehen soll.

(Foto: PAI)

Teurer als fast alle anderen Experimente und langsamer als der Berliner Großflughafen: Der Forschungsreaktor Iter kommt nicht in Gang. Nun werden Fragen nach der Machbarkeit laut.

Von Patrick Illinger

Als die Sonne längst hinter den provenzalischen Hügeln verschwunden ist, kehrt auf der Baustelle noch lange keine Ruhe ein. Hämmern, Brummen und Sägen dringt hinüber zum Verwaltungsgebäude. Flutlichter an den Krantürmen tauchen das riesige Gelände in kaltes Licht. Neuerdings wird hier in Cadarache, eine Autostunde nördlich von Aix-en-Provence, so richtig geackert. In zwei Schichten sind die Arbeiter nun am Werk. Früher sei das alles ganz anders gewesen, sagen jene, die seit dem Spatenstich vor fast zehn Jahren dabei sind. Da rührte sich am Freitagnachmittag kein Kran mehr.

Inzwischen sind mehrere Gebäude fertig, und eine würfelförmige, 60 Meter hohe Montagehalle thront in der Mitte des Geschehens. Auch das kreisrunde Betonfundament, in dem einmal der Reaktor stehen soll, nimmt Formen an, wenngleich im Untergeschoss noch zentimetertief das Wasser steht und büschelweise Stahlstreben aus den Pfeilern ragen. Genau hier soll das Sonnenfeuer entfacht werden, sagen die Arbeiter, Ingenieure und Physiker, im "Tokamak", wie sie es nennen, das Herzstück des Reaktors. Was klingt wie eine Inka-Gottheit, ist für die Beteiligten tatsächlich eine Art Heiligtum. Der Tokamak, da sind sie sicher, wird die Energieprobleme der Welt lösen.

Ein Bericht der Bundesregierung enthüllt: Die Kosten werden noch stärker steigen als bisher bekannt

Der Tokamak, eine dem Russischen entlehnte Abkürzung, ist eine schwimmreifenförmige Brennkammer, in der Physiker zwei Varianten von Wasserstoffatomkernen, Deuterium und Tritium, mit Magnetfeldern in der Schwebe halten und mit Mikrowellen auf 100 Millionen Grad Celsius aufheizen wollen, sodass die Atomkerne verschmelzen. Bei einer solchen Fusion wird Energie frei, und es entsteht, anders als in einem herkömmlichen Atomkraftwerk, ungefährliches Helium. Es ist ein nuklearer Prozess, wie er auch im Mittelpunkt der Sonne abläuft. Und wie ihn die Supermächte nach dem zweiten Weltkrieg für die Wasserstoffbombe nutzten.

Seit 60 Jahren versuchen Physiker, die in der Theorie simpel klingende Kernfusion für friedliche Zwecke beherrschbar zu machen. Prinzipiell sollte es möglich sein, ein kleines Sonnenfeuer in einem Reaktor lodern zu lassen und mit der Abwärme Strom zu erzeugen. Doch während die ersten Versuchsreaktoren der 1950er-Jahre noch in ein Arbeitszimmer passten, erwies sich die Sache in den folgenden Jahrzehnten zunehmend als kompliziert.

Immer größer wurden die physikalischen Hürden, und mit ihnen die Versuchsreaktoren. So groß, dass 1985 die USA und die UdSSR beschlossen, auf diesem Gebiet zusammenzuarbeiten. Daraus wurde das Projekt Iter (International Thermonuclear Experimental Reactor), das nach langer Planung im Jahr 2006 in einen Völkervertrag mündete und heute neben Russland und den USA von Indien, Südkorea, China, Japan, und der EU getragen wird. Iter, derzeit noch eine riesige Baustelle in Südfrankreich, soll endgültig beweisen, dass die Kernfusion als Energiequelle taugt.

Es ist, abgesehen von der Internationalen Raumstation, das weltweit aufwendigste Experiment. Und vielleicht das umstrittenste. Nach Ansicht der Befürworter ist Kernfusion die einzig verbleibende Option, um den Energiebedarf der wachsenden Weltbevölkerung zu decken. Die Gegner sehen Iter als sinnlose Megainvestition in eine monströse Anlage, deren Funktionieren ungewiss ist, und die sich in Zeiten erneuerbarer Energien auf nukleare Träume von vorgestern stützt.

Den Kritikern spielt dabei in die Hände, dass der Projektverlauf in den vergangenen Jahren die Misere des Berliner Großflughafens weit übertroffen hat. Ursprünglich mit Baukosten von fünf Milliarden Euro veranschlagt, stiegen die Schätzungen schon kurz nach dem Baubeginn auf zehn Milliarden. Mittlerweile liegen die Hochrechnungen bis zum Lodern des ersten Fusionsfeuers bei mehr als 18 Milliarden Euro. Und auch das dürfte nicht reichen. Frühestens 2035 soll die Anlage nun Strom ausspucken, ursprünglich war die Zündung für dieses Jahr vorgesehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: