Iter-Chef Bernard Bigot:Ist Kernfusion noch zeitgemäß?

Bernard Bigot

Der 66-jährige Franzose Bernard Bigot ist Chemiker und Physiker. Von 2009 bis 2015 leitete er die französische Energiekomission CEA. Er trug wesentlich dazu bei, dass der Forschungsreaktor Iter in Frankreich gebaut wird.

(Foto: CEA)

Der neue Iter-Generaldirektor ist überzeugt, dass sich das Megaprojekt lohnt. Auch wenn die Kosten ständig steigen.

Interview von Patrick Illinger

SZ: Wachen Sie manchmal nachts auf und sagen sich: Mist, wir sollten lieber Solarparks in der Sahara bauen, statt weiter Milliarden in ein Experiment mit unsicherem Ergebnis zu stecken?

Bigot: Nein. Ich habe im Bereich der erneuerbaren Energien gearbeitet. Ich habe mir die Sahara angesehen. Schon die Probleme mit Staub sind beträchtlich. Es ist nicht so einfach. Wir sollten zumindest herausfinden, ob die Kernfusion eine Option ist.

Sollte ein Beitragszahler aussteigen: Würde das Projekt kollabieren?

Nein, außer mehrere Mitgliedstaaten, Korea, Indien oder andere, würden sich zurückziehen. Aber alle diese Länder haben so große Investitionen geleistet und Industrieverträge abgeschlossen, dass es ein beträchtlicher Einschnitt wäre. Dennoch muss man realistisch bleiben: So wie jede Partnerschaft, kann auch diese schiefgehen. Ich für meinen Teil versuche, die Beteiligten zufriedenzustellen.

Der US-Kongress hat bereits den Austritt erwogen. Könnte es ohne die USA weitergehen?

Jeder weiß, dass die USA wissenschaftlich und technologisch in vieler Hinsicht führend sind, daher wäre es nicht nur wegen der finanziellen Beiträge ein harter Schlag. Als Kongressmitglieder mich befragten, habe ich ihnen gesagt: Wenn das Projekt nicht richtig organisiert und geführt wird, ist es tatsächlich eine Geldverschwendung. Aber wenn wir es hinbekommen, dann bezahlt ihr nur neun Prozent der Gesamtkosten und bekommt 100 Prozent Zugang zu allen Ergebnissen. Im Alleingang würdet ihr so etwas nie schaffen. Das hat sie überzeugt.

Sollte Iter gebaut werden, könnte das Ergebnis in wissenschaftlicher Hinsicht sein, dass künstliche Fusion als Energiequelle unerreichbar ist?

Fusion klappt, das haben bisherige Forschungsreaktoren bereits bewiesen. Aber ja, es ist ein Forschungsprojekt mit offenen Fragen, sonst wäre es kein Forschungsprojekt. Angesichts der Computermodellierungen kann ich mir aber nicht vorstellen, dass es ein totaler Fehlschlag werden könnte. Vielleicht erzielen wir nicht die angepeilte Leistung von 500 Megawatt, sondern nur 400 oder was auch immer. Es ist Teil der Herausforderung. Extrem viel hängt von den Spulen ab, die das Magnetfeld erzeugen. Diese können übrigens auch besser funktionieren, als wir errechnet haben.

Kann die Fusion mit den Fortschritten der erneuerbaren Energien auf Dauer konkurrieren?

Wie Sie wissen, liefern erneuerbare Energien nicht kontinuierlich Strom. Es gibt zwar genug Sonnenstrahlen, aber nicht 24 Stunden am Tag. In diesem Sinne verstehe ich es als Komplementärtechnik. Wir leben in einer großen, zunehmend urbanisierten Welt. Wir brauchen massive, permanent verfügbare Energie.

Sollte es irgendwann Fusionskraftwerke geben, wären sie riesig. Was, wenn ein Reaktor ausfällt, der Millionen Menschen mit Strom versorgt?

Ein Land wie Frankreich würde ja nicht ein einziges Fusionskraftwerk betreiben, sondern vielleicht 20 oder 25. Wenn ein Reaktor ausfällt, verliert man ein paar Prozent Energie. Das lässt sich ausgleichen.

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