Kunststoff:Radikale Ideen gegen die Plastikkrise

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Etwa sechs Millonen Tonnen Plastikmüll fallen pro Jahr in Deutschland an. (Foto: imago images/STPP)
  • Laut Forschern der Europäischen Wissenschaftsakademien befindet sich die Welt in einer "Plastikkrise".
  • Die globale Plastikrecyclingquote liegt lediglich bei knapp über zehn Prozent. Daher soll der Plastikberg bis zum Jahr 2030 um weitere 80 Prozent wachsen.
  • Die Wissenschaftler fordern unter anderem eine höhere Bepreisung von Plastikprodukten.

Von Hanno Charisius

Die Menschheit hat den Planeten in eine "Plastikkrise" gestürzt, so lautet die alarmierende Diagnose einer Gruppe von europäischen Forscherinnen und Forschern. Für die Europäischen Akademien der Wissenschaften (Easac) hat die Gruppe einen Report über das Ausmaß des Problems verfasst und darin Lösungsansätze formuliert. Den Verbrauch reduzieren, mehr wiederverwerten und unbedingt verhindern, dass Plastik in die Umwelt gelangt, fordert die Gruppe in dem Papier, das am Mittwoch veröffentlicht werden soll und der SZ vorliegt.

Seit den 1960er Jahren ist die weltweite Plastikproduktion geschätzt von 1,5 Millionen auf 400 Millionen Tonnen pro Jahr gestiegen. Große Mengen davon gelangen in die Umwelt - mit unabsehbaren Folgen für Tiere, Pflanzen und Menschen. "Makro- und Mikroplastik findet sich überall, an Land, im Wasser und sogar in der Luft", sagt der Direktor des Easac-Umweltprogramms Michael Norton. Kunststoffe seien in der Umwelt so allgegenwärtig, dass die Menschen der Zukunft an das 21. Jahrhundert wahrscheinlich als das "Plastik-Zeitalter" zurückdenken würden.

Alle bisherigen Versuche, aus der Plastikkrise herauszukommen, sind gescheitert. Weltweit wird nur ein geringer Teil des Plastikmülls recycelt. Etwa 16 Prozent der Kunststoffabfälle werden für die materielle Wiederverwertung gesammelt. Nach Prozessverlusten liege die globale Plastikrecyclingquote knapp über zehn Prozent, heißt es ein einem Bericht der Unternehmensberatung McKinsey aus dem Jahr 2018. Und der Plastikberg werde bis zum Jahr 2030 um weitere 80 Prozent wachsen. Ein Viertel des Plastikmülls wurde zum Zeitpunkt der Studie laut McKinsey verbrannt, 40 Prozent landen auf Mülldeponien und knapp 20 Prozent würden "unreguliert" entsorgt. Was also nicht ohnehin von Deponien in die Landschaft geweht wird, gelangt auf illegalem Weg in die Natur.

Diese Zahlen illustrieren, wie Plastik zurzeit in einer "linearen Wirtschaft" behandelt wird, so nennt es der Easac-Bericht, den Wissenschaftsakademien aus 28 Europäischen Ländern unterzeichnet haben. Rohstoffe, meist aus fossilen Quellen, werden zu Produkten verwandelt und oft nach nur einer Benutzung als Müll entsorgt. Dieses Wirtschaftsmodell sei "fundamental fehlerhaft", schreiben die Autorinnen und Autoren. Es sei nicht zu vereinbaren mit diversen politischen Zielen im Bereich Umwelt- und Gesundheitsschutz oder einer nachhaltigen Lebensweise und außerdem ethisch problematisch, da reiche Länder ihren Wohlstandsmüll oft in ärmere Länder exportieren, wo er unter fragwürdigen Bedingungen verklappt, verbrannt und zu einem geringen Teil auch wiederverwertet wird.

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Ziel ist eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft

Dass es so nicht weitergehen kann, haben inzwischen selbst weite Teile der Industrie eingesehen. 66 Unternehmen und Organisationen haben sich in der vergangenen Woche mit 15 Regierungen zum European Plastics Pact zusammengefunden, mit dem Ziel, bis 2025 eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in Europa zu etablieren. Zwar sind die selbst gesetzten Ziele dieser Koalition weniger ambitioniert als die im Easac-Bericht skizzierten, doch für die Europäischen Akademien ist die Initiative immerhin ein Hinweis darauf, dass ein Umdenken eingesetzt hat - oder die Furcht vor gesetzlichen Vorgaben sehr groß ist.

Auch der Easac will den Europäern kein plastikfreies Leben verordnen. Doch das Ziel müsse sein, das kaputte, umwelt- und menschenfeindliche lineare System in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu überführen. Die Arbeitsgruppe macht Vorschläge, wie das gelingen könnte.

Dazu zählt ein Verbot von Müllexporten. Plastikmüll soll zudem nicht mehr deponiert werden dürfen, wie es noch in vielen Ländern Praxis ist. Die Hersteller und Händler sollten in die Pflicht genommen werden, dafür zu sorgen, dass Plastik nicht in die Umwelt gelangt. Freiwillige Vereinbarungen und Marktmechanismen genügen nach Ansicht der Wissenschaftler nicht. Der Gesetzgeber müsse strikte Regeln schaffen, um die Kreislaufwirtschaft in Gang zu bringen. Steuerreduzierungen für Recyclingware könnten dabei helfen.

Nach Ansicht der Europäischen Akademien werden auch Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen das Problem nicht lösen. Sie werden als umweltfreundlich und angeblich kompostierbar vermarktet. Doch Kompostieranlagen haben Probleme mit den Materialien und der Verbraucher hält an seiner Wegwerfmentalität fest im Glauben, etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Deshalb sollten irreführende Marketingaussagen zu diesen Produkten verboten werden.

Deutschland hat noch großen Verbesserungsbedarf beim Recycling

Auch die Recycling-Technik müsse verbessert werden. Priorität sollte das sogenannte Closed-Loop-Recycling haben, bei dem ein Produkt wieder zum selben Produkt verarbeitet wird, wie etwa bei PET-Flaschen üblich. Deutschland stehe beim Recycling im internationalen Vergleich zwar nicht schlecht da, sagt Franziska Krüger Recycling-Expertin vom Umweltbundesamt. Doch gebe es noch großen Verbesserungsbedarf.

Die nächsteForderung der Easac betrifft die Produktion. Hersteller sollten verpflichtet werden, ihre Produkte möglichst einfach zu halten und wenig Zusatzstoffe zu verwenden, die einerseits schädlich sein können, andererseits die Recyclingeigenschaften der Materialien beeinträchtigen. "Bereits beim Designen eines Produkts muss ans Recycling gedacht werden", sagt Franziska Krüger. Das fängt bei der chemischen Zusammensetzung an.

Schließlich müsse der Anteil von recyceltem Material in neuen Produkten gesetzlich festgelegt werden. Eine solche "Mindestrezyklatquote" will auch das Umweltbundesamt seit Jahren. Der Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie in Deutschland wehrt sich jedoch dagegen und sieht in dem "starken Eingriff in den Markt" eine Gefahr für Produktsicherheit und Rohstoffpreise und plädiert für "nicht-gesetzliche Maßnahmen".

Zuletzt fordern die Europäischen Akademien, die Folgekosten der Plastikprodukte für die Umwelt und die Gesellschaft beim Preis zu berücksichtigen. Rezyklatquote und Bepreisung der Schäden würden zu einem Kostenanstieg führen. Und der Preis sei der beste Hebel, um das Verhalten der Menschen zu beeinflussen.

© SZ vom 10.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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