Archäologie:Die Steinzeit-Europäer aßen Algen

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Algen sind heute vor allem Teil der asiatischen Küche - wie hier Wakame-Seetang in einer Schale mit japanischen Udon-Nudeln. (Foto: Imago/Panthermedia)

Seetang wird heute hauptsächlich in Asien gegessen. Dabei zeigen Analysen fossiler Zähne: In der Steinzeit standen Algen auch in Europa auf dem Speisezettel.

Von Sina Metz

Sie stecken in Lebensmitteln, in Kosmetik oder Nahrungsergänzungsmitteln. Was in vielen asiatischen Küchen seit Jahrhunderten auf den Tellern landet, wurde hierzulande lange vernachlässigt: Algen. Gesund, nachhaltig, der Nachfolger des Grünkohls, heißt es, ein mutmaßliches Superfood.

Dabei ist Algen zu essen selbst in Europa nicht neu. Unsere Vorfahren waren dem Trend weit voraus, zeigen Archäologinnen und Archäologen der University of Glasgow und der University of York. Sie haben für sie eindeutige Beweise dafür gefunden, dass Menschen in Europa bereits vor 8000 Jahren Algen und andere einheimische Süßwasserpflanzen gegessen haben - und das bis ins frühe Mittelalter. Die Studie ist jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.

Die Hinweise fanden die Forscherinnen und Forscher im Zahnstein. Sie untersuchten die abgelagerten Zahnbeläge von 74 Individuen aus 28 archäologischen Stätten von vor ungefähr 8500 Jahren bis ins zwölfte Jahrhundert in ganz Europa - von Nordschottland bis Südspanien, Schweden und Estland. Chemische Analysen lieferten Biomarker, molekulare Beweise dafür, dass die meisten Menschen Rot-, Grün- und Braunalgen oder andere Süßwasserpflanzen gekaut und damit wohl verzehrt haben mussten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden außerdem Spuren von Fleisch und Fisch, Milchprodukten und Wildpflanzen. Die Zahnsteinanalysen lieferten Hinweise darauf, dass manche Nahrungsmittel Feuer ausgesetzt waren.

Seetang ist ein gesundes und nachhaltiges Nahrungsmittel

Die Jungsteinzeit gilt als der Zeitraum, in dem die Menschen damit anfingen, Landwirtschaft zu betreiben, Nutzpflanzen anzubauen und Tiere zu halten. Anders als gedacht scheint jedoch auch der Ackerbau Algen nicht vom Speiseplan verdrängt zu haben. Bisher ging man davon aus, dass Menschen diese nach der sogenannten neolithischen Revolution vor allem als Brennstoff, Dünger oder Verpackungsmaterial für Nahrungsmittel genutzt haben.

Heute seien Algen in der westlichen Ernährung praktisch nicht mehr vorhanden, sagt Karen Hardy, Professorin für prähistorische Archäologie an der University of Glasgow, die das Projekt leitete, laut einer Pressemitteilung. Die Ergebnisse sieht sie als Anstoß, Algen als regionale und nachhaltige Nahrungsquelle wiederzuentdecken, um "die negativen gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen der übermäßigen Abhängigkeit von einigen wenigen landwirtschaftlichen Massenprodukten zu bekämpfen, die einen Großteil der heutigen westlichen Ernährung ausmachen".

Weltweit gibt es etwa 10 000 verschiedene Algenarten. Knapp 150 Arten davon landen auf Tellern, hauptsächlich in asiatischen Ländern. Allein in Japan essen Menschen mehr als zehnmal so viele Tonnen Algen als in ganz Europa, obwohl auf diesem Kontinent im Vergleich zum asiatischen Land fast sechsmal so viele Menschen leben.

Laut einem Bericht der internationalen United Nations University von 2016 sind Algen längst ein Multi-Milliarden-Dollar-Geschäft. Der Wert der Ernte übersteigt bereits den Wert von zum Beispiel Zitronen und Limetten weltweit. Meeresalgen-Farmen boomen. Doch Seetang landet nicht nur in Form von Nori-Blättern in Sushi: Der Markt für Kosmetik und Nahrungsergänzungsmittel auf Algenbasis wächst. Die chemische Industrie verarbeitet Algenbestandteile zu Klebstoffen, Farben oder Kunststoffalternativen. Viele handeln sie auch als neue Chance, Treibhausgase in Algenfarmen zu binden. Denn sie nehmen Kohlenstoffdioxid auf, um zu wachsen.

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