Neue Pläne der Nasa:Mitflugzentrale für das Weltall

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Die Nasa will neue Raumschiffe für Astronauten nicht mehr selbst bauen, sondern das privaten Firmen überlassen - auch wegen des Konflikts mit Russland. Die Raumfahrtindustrie hofft auf überirdische Profite, Weltraumtouristen könnten günstiger abheben.

Von Christopher Schrader

Sie fliegen längst wieder - im Computer zumindest. Da starten die Raketen in Florida, rasen über dem Atlantik in die Höhe, dann nähern sich die Kapseln der Raumstation ISS und docken dort an, als ob man ein Fahrrad in den Ständer schiebt. Bisher erlauben das nur die Künste der Grafiker und Trickfilmer, die sich den Flug der Raumschiffe ausmalen, pseudorealistisch bis hin zu fünfeckigen Blendenflecken, also Lichtreflexen, die bei Gegenlicht im Objektiv von Spiegelreflexkameras auftreten können.

Die Ingenieure hingegen mussten Jahre warten auf ihre Chance, einen solchen Flug Realität werden zu lassen. Seit mehr als drei Jahren ist kein amerikanischer Astronaut von seinem Heimatland aus ins All gestartet - in drei Jahren soll diese schmähliche Phase Vergangenheit sein. Die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa hat am Dienstag verkündet, dass bis 2017 zwei Firmen neue Raumkapseln für den Transport von Astronauten zur ISS bauen sollen. 6,8 Milliarden Dollar (umgerechnet 5,25 Milliarden Euro) will sie dafür ausgeben; Geld, das sie noch gar nicht hat, das der Kongress erst noch bewilligen muss. Die Abgeordneten waren in jüngster Zeit allerdings wenig geneigt, der Nasa all ihre Wünsche zu erfüllen.

Von den Milliarden bekommt der etablierte Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing 4,2 Milliarden Dollar, und die Newcomer von Elon Musks Firma SpaceX erhalten 2,6 Milliarden. In beiden Fällen ist es nach den Worten einer Nasa-Sprecherin das, was die Unternehmen verlangt haben. Dafür bauen sie die Kapseln, richten einen Erprobungsflug mit mindestens einem Nasa-Astronauten an Bord aus sowie zwei bis sechs Taxiflüge mit vier Raumfahrern zur ISS. "Wir bereiten das ehrgeizigste und aufregendste Kapitel in der Geschichte der Nasa und der bemannten Raumfahrt vor", schwärmte Charles Bolden, der Chef der US-Weltraumbehörde, als er die Vergabe der Aufträge bekannt gab. "Die großartigste Nation der Welt darf sich nicht auf irgendeine andere Nation verlassen, um den Weltraum zu erreichen."

Frostige Beziehungen zwischen USA und Russland auch im Weltall

Seit Ende der Shuttle-Flüge 2011 kommen amerikanische Astronauten nur mit russischen Sojus-Raumschiffen vom kasachischen Baikonur aus zur ISS und zurück zur Erde. Das kostet die Nasa geschätzte 50 bis 60 Millionen Euro pro Flug. Doch auch in der Raumfahrt sind die Beziehungen zwischen Washington und Moskau empfindlich abgekühlt. Der Weiterbetrieb der ISS über 2020 hinaus, die Lieferung von Raketentriebwerken, die Einrichtung von Bodenstationen des jeweiligen nationalen Satellitennavigations-Netzwerks auf dem Boden des anderen Staates, all das ist zum Konflikt geworden. Da wirkt Boldens, allerdings seit Jahren vorbereitete, Ankündigung eigener amerikanischer Raumschiffe wie eine Art neuer kosmischer Unabhängigkeitserklärung.

Beide bestellten Kapseln sollen bis zu sieben Astronauten in eine untere Umlaufbahn bringen können, auf die Höhe der ISS in ungefähr 400 Kilometern. Beide sollen zehnmal benutzt werden können. Die Nasa will die Raumschiffe nicht mehr kaufen, sondern mieten, keine Hardware bezahlen, sondern eine Dienstleistung. Beiden Firmen ist es ausdrücklich erlaubt, Plätze zu verkaufen: an Raumfahrer anderer Nationen, an Forscher im Auftrag von Privatfirmen, an wohlhabende Touristen. Boeing zum Beispiel kooperiert mit der Firma Bigelow, die eine Art Weltraumhotel in die Umlaufbahn schicken möchte, wo sie Labore und Zimmer mit Schwerelosigkeit und grandioser Aussicht vermieten will.

SpaceX-Chef Elon Musk vor der Raumkapsel Dragon V2 (Foto: AP)

Technisch ist die Boeing-Kapsel CST-100 das konservativere Produkt. Sie ist etwas größer als die Apollo-Raumschiffe der 1960er-Jahre. Landen soll sie an einem Fallschirm und mit Luftkissen auch an Land. Boeing hat bereits eine lange Checkliste abgearbeitet, die die Nasa für potenzielle Hersteller ihrer Crew-Kapseln ausgestellt hatte. Eine gewisse Unsicherheit umgibt den Startmodus. Für die Reise in den Orbit wird die Kapsel auf der Spitze einer amerikanischen Atlas-5-Rakete befestigt, Stückpreis 150 Millionen Dollar (116 Millionen Euro). Sie verwendet allerdings russische Raketenmotoren. Die Amerikaner selbst hätten nichts Vergleichbares, sagen Raumfahrtexperten. Das gibt der Konkurrenz bei SpaceX die Gelegenheit, ein unvorteilhaftes Licht auf Boeing zu werfen. Elon Musks Firma hat die Verwendung der russischen Bauteile schon vor Gericht überprüfen lassen, ob die Einfuhr nicht gegen die Sanktionen gegen Russland verstößt.

Landen mit der Präzision eines Helikopters

SpaceX will hingegen ein Raumschiff namens Dragon V2 zur Serienreife entwickeln. Es basiert auf einer unbemannten Kapsel, die schon mehrmals mit Fracht zur ISS geflogen ist. Diese Erfahrung hat die Nasa den Ingenieuren von Musks Firma offenbar angerechnet, auch wenn sie die Checkliste nicht abgearbeitet haben. SpaceX fertigt seine eigenen Raketen, die Falcon 9 heißen und 60 Millionen Dollar (46 Millionen Euro) kosten. Vor Kurzem musste das Unternehmen allerdings einen Fehlschlag verkraften, als ein experimentelles Gerät abstürzte, mit dem die Ingenieure den Gedanken der Wiederverwendbarkeit auf andere Raketenmodule ausdehnen wollten. Bisher ist nur geplant, dass die Kapsel mehrere Flüge absolvieren kann.

Die Dragon V2 sieht mit ihren großen Fenstern und den sanften Rundungen ganz anders aus als frühere Raumschiffe. Sie soll mit Bremsraketen an praktisch jeden Landeort mit der Präzision eines Helikopters aufsetzen können; nur für Notfälle gibt es noch einen Fallschirm.

Aus dem Rennen geflogen ist der Rüstungskonzern Sierra Nevada, der seinen Dream Chaser angeboten hatte: eine Art Raumflugzeug, das auf einer Atlas-Rakete starten und nach dem Wiedereintritt in die Atmosphäre gleitend landen sollte - so ähnlich wie ursprünglich das Space Shuttle, aber weiterentwickelt und deutlich kleiner. Die Macher hatten weder Erfahrung mit Flügen zur ISS noch ihre Checkliste fertig. Aufgeben wollen sie nicht, sondern erst die Begründung der Nasa abwarten.

Alle drei Firmen lockt offenbar die Aussicht, zu Pionieren im Zukunftsgeschäft Weltraumtourismus zu werden. Der britische Milliardär Richard Branson ist hier schon aktiv und wird vermutlich mit seiner Firma Virgin Galactic als einer der Ersten Flüge an die Grenze des Weltraums anbieten. Bei den anderen Herstellern erklären Ingenieure voller Enthusiasmus, in 30 Jahren wären Flüge in den Orbit so selbstverständlich wie heute Interkontinentalflüge. Paare, die 2044 heiraten, könnten sich dann fragen: Hochzeitsreise in die Karibik oder ins Weltraumhotel?

© SZ vom 18.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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