Mitten in der Pampa: Das hört sich von München aus gesehen nach einem Ort auf dem platten Land an, nach Wurmannsquick, Rotthalmünster oder Schmarrnzell. Die Pampa ist in der Umgangssprache ein trostloser Ort, weit weg vom nächsten Schnellimbiss, ohne Handyempfang, S-Bahn-Anschluss und Einkaufszentrum. Für Ingo Arndt bedeutet "mitten in der Pampa" dagegen "mitten im Geschehen".
Der Naturfotograf ist zwei Jahre lang durch Graslandschaften gereist, er war so richtig in der Pampa. Die gleichnamige Landschaft liegt nicht in Niederbayern oder Ostfriesland, sondern in Wirklichkeit im südöstlichen Südamerika, ihr wissenschaftlicher Name lautet auch "patagonische Steppe". Sie erscheint nur auf den ersten Blick monoton und wird von Guanakos, Nandus, Pumas und Vikunjas besiedelt, Tierarten, die sich an das Leben in der trockenen Region angepasst haben.
Arndt reiste auch durch die nordamerikanische Prärie, wo er Präriehund-Kolonien beobachtete, Bisonherden beim Grasen begleitete und Klapperschlangen beim Klappern zuhörte. Er fuhr durch die afrikanische Savanne, kämpfte sich durch den "Fluss aus Gras" in den Everglades, besuchte den Shunan-Bambuswald in China und schipperte durch das größte Schilfgebiet der Erde, das Donaudelta in Rumänien.
Ingo Arndt hat genau hingesehen, er hört sozusagen das Gras wachsen
Wozu so eine umfangreiche Foto-Safari ins Gras? Orchideen, Rosen und Lilien werden bewundert, ein Grashalm wirkt erst mal unspektakulär. Keine prachtvollen Blüten, keine plakativen Farben, keine unnötigen Verzierungen. Gräser machen kein Riesen-Tamtam, sie sind reduziert auf das Lebensnotwendige: Wurzel, Halm, Fruchtknoten, Staubbeutel. Keine andere Pflanze wird dermaßen unterschätzt. Dabei bedecken Gräser mehr als ein Drittel der Erdoberfläche und nehmen damit so viel Raum ein wie alle Waldgebiete zusammen. Neben den Meeren und Wäldern sind Grasgebiete die wichtigsten Ökosysteme unseres Planeten. Wiederkäuer und viele Insektenarten könnten ohne sie nicht existieren. Der Mensch nimmt Gras oft nur als Fläche wahr. Aber wenn man genau hinschaut, sind Graspflanzen an Schönheit und Vielfalt kaum zu übertreffen.
Ingo Arndt hat genau hingesehen, er hört sozusagen das Gras wachsen. Er porträtiert in seinem neuen Buch "GrasArt" (Knesebeck Verlag) die Vielfalt von Grassorten und Grasland-Bewohnern. In aufwendig gemachten Nahaufnahmen, die in einem Freiluftstudio vor einem weißen Hintergrund entstanden sind, reduziert Arndt die Motive auf das Wesentliche und inszeniert die Pflanzen als Kunstwerke der Natur. Aus biologischer Sicht sind die Gräser "Fotosynthese-Hochleistungsmaschinen", wie Jürgen Tautz in der Einleitung zu dem Fotoband schreibt. Der deutsche Soziobiologe erklärt, wie sich Grasflächen über alle Klimazonen hinweg spezialisiert haben, von den widerstandsfähigen Pflanzen der sibirischen Tundra bis hin zu den gewaltigen Bambus-Wäldern in China.
Auf europäischem Trockenrasen wachsen mehr Arten pro Quadratmeter als im Regenwald
Gräser sind echte Überlebenskünstler: Sie werden abgefressen, niedergetrampelt, gemäht, überflutet und ausgetrocknet, und trotzdem bleiben sie bestehen. Ohne geschlechtliche Vermehrung entstehen durch unterirdische Ausläufer riesige Teppiche, die vielleicht nicht so poppig aussehen wie ein tropischer Urwald, aber ihren eigenen optischen Reiz haben. Neben der ästhetischen Qualität offenbart das Buch auch die enorme Bedeutung von Grasflächen für das ökologische Gleichgewicht der Erde. Und dabei geht es nicht immer nur um exotische Schauplätze.
Denn die Biodiversität ist auch auf einer gewöhnlichen Wiese verblüffend hoch. Ein Team von Biowissenschaftlern fand heraus, dass nirgendwo so viele Gefäßpflanzenarten wachsen wie auf europäischem Trockenrasen. Der Biodiversitätsforscher Jürgen Dengler von der Universität Hamburg verglich Flächen zwischen einem Quadratmillimeter und einem Hektar in aller Welt auf ihren Artenreichtum hin und stellte fest: Auf nährstoffarmen europäischen Trockenrasenflächen, die kleiner als 100 Quadratmeter sind, wachsen wesentlich mehr Pflanzenarten als auf einer vergleichbaren Fläche im tropischen Regenwald. Diese Art von Graswurzel-Forschung zeigt: Die Pampa kann auch in Deutschland äußerst spannend sein.