Psychologie:Der Schulterblick der Mona Lisa

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Mona Lisas zurückhaltendes Lächeln fasziniert die Menschen seit Jahrhunderten. (Foto: AFP)
  • Viele Betrachter glauben, Mona Lisa sehe ihnen direkt in die Augen.
  • Das ist Wuschdenken, sagen zwei Psychologen, die nachgemessen haben.
  • Der Blick zielt demnach rechts am Kopf des Gegenübers vorbei.

Von Patrick Illinger

Seinem Gegenüber in die Augen zu blicken, gehört bekanntlich zu den Regeln der Höflichkeit. Doch raten Kommunikationsexperten auch dazu, vom direkten Blick in die Augen abzuweichen. Dem Gesprächspartner auf die Stirn zu schauen, vermeidet demnach den Eindruck des Anstarrens.

Andersherum lässt sich angeblich je nach Blickrichtung deuten, was in einem Gegenüber vorgeht. Kundenberatern wird beigebracht, dass ein nach links blickender Gesprächspartner an die Zukunft denkt, während ein Blick nach rechts unten auf Abwägen hindeutet. Vieles davon ist nicht wissenschaftlich bewiesen. Doch den wohl berühmtesten Blickkontakt der Weltgeschichte haben Forscher der Universität Bielefeld nun genau untersucht.

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Die Dame auf Leonardo da Vincis Gemälde "La Gioconda", die Mona Lisa, ist sowohl für ihr vielsagendes Lächeln berüchtigt als auch für den betörenden, schwer einzuschätzenden Blick. Ein viel diskutiertes Phänomen des Bildes ist, dass es Betrachtern das Gefühl gibt, Mona Lisa blicke einen an, selbst wenn man das Gemälde von der Seite aus betrachtet. In einer aufwendigen Versuchsreihe mit zwei Dutzend Probanden entdeckten die Kognitionsforscher Sebastian Loth und Gernot Horstmann nun Erstaunliches: Mona Lisa blickt ihren Betrachtern nicht in die Augen, sondern über die rechte Schulter. Für ihre Experimente (Fachjournal: i-Perception) verwendeten die Forscher eine hoch aufgelöste, 7479 mal 11 146 Bildpunkte große Digitalversion des Gemäldes.

Die Forscher stellten den Probanden nicht die Frage, ob sie sich von La Gioconda in die Augen geblickt fühlten. Sie positionierten vielmehr ein Lineal zwischen dem Bild und dem Betrachter - quer zur Blickrichtung und in verschiedenen Abständen zum Monitor. Die Probanden sollten angeben, auf welchen Punkt des Lineals die berühmte Frau blickt. Um sicherzugehen, dass sich Versuchspersonen nicht auf einen Messwert versteifen, wurde das Porträt zwischendurch leicht verschoben. Mehr als 2000 Messwerte sammelten Loth und Horstmann auf diesem Weg.

Würde Mona Lisa ihren Betrachtern direkt in die Augen sehen, müssten Probanden ungefähr den Wert auf dem Lineal angeben, der auf ihrer eigenen Blickrichtung, also zwischen den eigenen und Mona Lisas Augen liegt. Es zeigte sich jedoch konsistent eine Abweichung. Mona Lisa schaut dem Betrachter demnach nicht in die Augen, sondern auf einen Punkt, der 15,4 Grad rechts vom Betrachter liegt.

Der oft zitierte "Mona-Lisa-Effekt" funktioniert nach Ansicht des Psychologen Horstmann ausgerechnet im Fall des berühmten Leonardo-Porträts nicht. Für ihn stehe fest: "Der Begriff Mona-Lisa-Effekt ist ein Misnomer - eine Falschbezeichnung. Der Begriff veranschaulicht das starke menschliche Bedürfnis, im Zentrum der Aufmerksamkeit anderer Menschen zu stehen - also jemandem wichtig zu sein, auch wenn man diese Person überhaupt nicht kennt."

© SZ vom 11.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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