Spring City, Stadt der Quellen, wirbt das große Werbeschild, darauf ein idyllischer See und ein chinesisches Pagodentürmchen. Dahinter wartet die Tristesse. Ein künstlicher Teich aus Beton ist knöcheltief mit dunklem Wasser gefüllt, gelbe Tretboote für Kinder ankern in einer Ecke. Goldfische driften von einer Seite zur anderen, die meisten mit dem Bauch nach oben. Doch die Hauptattraktion des "Yellow River Parks" in der chinesischen Stadt Jinan kommt noch: Hinter einem haushohen Deich fließt eine braune Brühe, breit wie ein Dorf. Träge wälzt sie sich an schlammigen Ufern voller Plastikmüll vorbei. Ein paar Einwohner der Millionenstadt haben sich zum Grillen neben Abfallhaufen und abgewrackten Fischerbooten verabredet, aus Lautsprechern ertönt asiatische Popmusik. Willkommen am Gelben Fluss, einem der verdrecktesten Gewässer Chinas.
Einst nannten die Chinesen diesen Strom voller Stolz "Mutterfluss" und "Wiege der chinesischen Zivilisation". Auf 5464 Kilometern durchquert der "Huang He" das gesamte Land, von seiner Quelle im Hochland von Qinghai im Westen bis zur Mündung im Pazifik versorgt er etwa 150 Millionen Menschen und 15 Prozent der Felder des Landes mit Wasser. "Wer immer den Gelben Fluss kontrolliert, der kontrolliert China", dieser Ausspruch wird dem legendären Herrscher Yü dem Großen zugeschrieben, der 2200 Jahre vor Christus gelebt haben soll.
Die mittlere Route des "Süd-Nord-Wassertransferprojekts" führt Trinkwasser durch die Metropole Jiaozuo in Zentralchina bis nach Peking.
(Foto: Xinhua/Xinhua Press/Corbis)Heute kontrolliert der Dreck den Gelben Fluss. Ungefähr vier Milliarden Tonnen Abwässer fließen pro Jahr hinein, so lautet eine Schätzung; neun Provinzen sind daran beteiligt. Mancher entsorgt Gülle, anderer Klärschlamm, Gerbstoffe, Bleichmittel, Chemikalien aus der Kohleindustrie. An der Mündung in der Provinz Shandong, in der Jinan liegt, ist das Wasser kaum mehr für Industriezwecke zu gebrauchen, geschweige denn zum Trinken.
Noch gravierender als die Luftverschmutzung
In manchen Jahren trocknet der Fluss ganz aus, bevor er den Pazifik erreicht. In Shandong wie im ganzen Norden Chinas ist das Wasser deshalb nicht nur verschmutzt, sondern auch knapp. Daher entnimmt China immer mehr Grundwasser, doch auch das geht nicht mehr gut. In Jinan ist es mit dem Ehrentitel "Stadt der Quellen" nicht mehr weit her - letzten Sommer versiegte die "Schwarze Tiger"-Quelle, die der Stadt ihren Beinamen gibt und von der viele Bewohner bislang ihr Trinkwasser bezogen.
In einem Hochhauskomplex im Diplomatenviertel Pekings sitzt der Umweltschützer Ma Jun im zehnten Stock und blickt an seinem Bildschirm auf eine Karte von China, sie zeigt die Wasseradern des Landes. "Die Verschmutzung zerstört unsere knappen Wasserressourcen", sagt Ma. "Und im Norden ist das Wasser ohnehin knapp. Die Kombination aus diesen Faktoren macht die Lage ziemlich ernst." Ma hat die Umweltorganisation "Institute of Public and Environmental Affairs" (IPE) gegründet, eine Art chinesischer Umwelthilfe. Als einer der Ersten warnte er vor mehr als 15 Jahren vor Chinas Wasserkrise. Ma hält sie für ein noch gravierenderes Umweltproblem als die Luftverschmutzung, die immerhin 1,2 Millionen Chinesen jedes Jahr das Leben kostet. Seit seiner Warnung ist viel Zeit verstrichen, und die Probleme sind größer geworden. Das Umweltministerium bewertet mittlerweile 60 Prozent des chinesischen Grundwassers als "ziemlich schlecht" oder "sehr schlecht", in jedem Fall sei der Kontakt damit für Menschen nicht ratsam.
Ein gewaltiges Infrastrukturprojekt, das noch die Handschrift des großen Vorsitzenden Mao Zedong trägt, soll die Lage jetzt entschärfen. Nur ein paar Kilometer südlich des "Yellow River Parks" in Jinan haben Arbeiter Betonteile in die Erde getrieben und im Untergrund zu einem Kanal geformt. Er bildet einen Arm des "Süd-Nord-Wassertransferprojekts": ein Netzwerk aus Pipelines, Tunnels und Aquädukten, die sich ebenerdig, unterirdisch oder einige Meter über der Erde Tausende Kilometer weit durch China ziehen. Zwölf Jahre wird bereits daran gebaut, drei Routen soll es am Ende geben, eine östliche, mittlere und westliche. Allein die östliche Route, die Wasser aus der Nähe von Shanghai in wasserarme Regionen wie Shandong und Peking bringt, ist mehr als 1500 Kilometer lang, so weit wie der Weg von Dänemark nach Italien.
70 Milliarden Euro kostete das Bauwerk bereits, 300 000 Menschen wurden umgesiedelt
Auch der mittlere Abschnitt, der das Wasser des Jangtse-Flusses in der zentralen Provinz Hubei anzapft, transportiert seit Kurzem Wasser bis nach Peking. Gemeinsam mit der westlichen Route, die erst noch gebaut wird, soll dieses Netzwerk laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua dereinst rund 44,8 Milliarden Kubikmeter Wasser im Jahr bewegen. "Das ist so, als würde man jedes Jahr den halben Nil von Kairo in den Norden Syriens umleiten", sagt die US-Geografin Britt Crow-Miller, die den Bau des Aquädukts mehrere Jahre beobachtet hat. "Es ist das größte Wasserkontrollprojekt der Menschheitsgeschichte."
Fertiggestellte und geplante Kanäle
Das Problem, das mit der Megalomanie gelöst werden soll: Chinas Wasser ist äußerst ungleichmäßig verteilt. Der Norden ist staubtrocken und durstig, allein die 23 Millionen Einwohner Pekings verbrauchen mit 3,6 Milliarden Kubikmetern Wasser im Jahr etwa 50 Prozent mehr, als Flüsse und Boden bereitstellen können. Da die Metropole in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewachsen ist, gilt sie inzwischen als eine der trockensten Hauptstädte der Welt. Zugleich zapfen Stahlwerke und Kohleindustrie die Flüsse des Nordens an. Der Süden dagegen ist feucht, regnerisch und wird regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht. "Ein bisschen Wasser auszuleihen wäre gut", erklärte daher Mao Zedong Anfang der 1950er-Jahre. Doch erst nachdem Peking Anfang des Jahrtausends die Olympischen Sommerspiele zugesprochen bekommen hatte, begannen die Bauarbeiten.
Da war Mao längst tot, doch sein Größenwahn lebt in den Dimensionen des "Süd-Nord-Wassertransferprojekts" weiter. Etwa 70 Milliarden Euro hat der Bau der Pipelines bereits verschlungen, mehr als 300 000 Menschen sind umgesiedelt worden, weil sie dem Wasser im Weg standen. 3500 Kilometer überbrückt das Aquädukt. Mehr als ein Dutzend Flüsse überwindet oder unterquert das Bauwerk. Um den Gelben Fluss zu passieren, ließen die Ingenieure einen 7,2 Kilometer langen Tunnel graben. Mit einem zwölf Kilometer langen Bogen, der einen Fluss in der Henan-Provinz überspannt, stellen sie nebenbei einen neuen Längenweltrekord für oberirdische Aquädukte auf.