Medizin-Nobelpreis 2010:Keine Monster

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Längst ist klar, dass künstliche Befruchtung keine Monster hervorbringt, wie Kritiker einst befürchteten. Retortenbabys sind so normal und gesund wie andere Kinder. Viele haben inzwischen selbst Kinder bekommen. Louise Brown, die heute als Postangestellte in Bristol arbeitet, ist Mutter eines Sohnes - der auf natürlichem Wege gezeugt wurde.

Inzwischen hat die Lösung des Problems allerdings neue Probleme heraufbeschworen: Künstliche Befruchtungsversuche sind psychisch wie körperlich belastend. Und um die Erfolgschancen zu erhöhen, werden meist mehrere Embryonen übertragen. So kommt es häufiger zu Mehrlingsschwangerschaften. Diese bedeuten in vielen Fällen schwerwiegende Probleme für die Gesundheit von Mutter und Kindern, selbst wenn es nur Zwillingsschwangerschaften sind.

Bevor sich der gelernte Biochemiker Edwards des Problems annahm, konnte die Medizin Menschen quasi gar nicht helfen, wenn sich ihr Wunsch nach einem Kind nicht erfüllte. Für viele war die Kinderlosigkeit ein lebenslanges Problem. Edwards erkannte den Krankheitswert der Kinderlosigkeit und tat diese nicht als Lifestyle-Frage ab. Schon in den 1950er Jahren war Edwards überzeugt, dass eine Befruchtung auch außerhalb des Körpers möglich sein müsste.

Kollegen von ihm hatten dies bereits bei Kaninchen gezeigt. Doch Kaninchen gehören bekanntlich nicht zu den Spezies mit den größten Fortpflanzungsproblemen, und beim Menschen stellte sich vieles anders dar. Edwards musste zunächst herausfinden, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen Eizellen von Frauen am ehesten bereit waren, männliches Sperma aufzunehmen. Auch mit seinem eigenen Sperma habe er experimentiert, gesteht Edwards. "Aber nur im Notfall."

Ein Toto-Gewinn brachte schließlich das Glück zu Edwards und Steptoe. 800 Pfund hatte der Lastwagenfahrer John Brown aus Bristol im Fußball-Toto gewonnen, als er 1976 beschloss, mit diesem Geld einen letzten Versuch zu starten, doch noch Vater zu werden. Neun Jahre lang hatten er und seine Freu Lesley zuvor vergeblich versucht, ein Kind zu zeugen, aber auf natürlichem Wege wollte es nicht klappen.

Schnell wurden sich die Browns mit Edwards einig, eine künstliche Befruchtung zu versuchen. Allerdings sagte der sonst in ethischen Fragen so anspruchsvolle Edwards dem Ehepaar nicht, dass auf diese Art nie zuvor ein Baby entstanden war. Als John Brown seine Geschichte im Pub erzählte, war es mit der ungetrübten Freude über seine Vaterschaft vorbei. Reporter belagerten die werdende Familie, so dass Patrick Steptoe die schwangere Lesley Brown schließlich bei seiner Schwester auf dem Land versteckte.

Heute wird Robert Edwards selbst abgeschirmt. Interviews will und kann er, der noch als 80-Jähriger Kongresse besuchte und laut Christian Thaler "das Feld mit seinen Ideen bereichert hat", keine mehr geben. Auch zur Preisverleihung am 10. Dezember, sagen Vertraute, wird er es kaum nach Stockholm schaffen. Aber wie klein ist auch ein Nobelpreis, wenn ein Leben auf fünf leibliche Kinder, elf Enkel und mehr als vier Millionen wissenschaftliche Kinder zurückblicken kann.

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