Kernphysik:Doch nicht so magisch

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Man kann sich Atomkerne so vorstellen: Um einen Kern aus Protonen und Neutronen kreisen Elektronen. (Foto: imago stock&people/imago/Ikon Images)

Bei einem Experiment in Japan wurde erstmals das Isotop Sauerstoff-28 hergestellt, anders als erwartet zerfiel es aber sogleich. Was sagt das über den Zusammenhalt von Atomkernen aus?

Von Andreas Jäger

In der Kernphysik gibt es eine Zahlenreihe, von der eine besondere Faszination ausgeht: 2, 8, 20, 28, 50, 82 - die der sogenannten magischen Zahlen. Mit Zauberei haben jene Zahlen allerdings nichts zu tun. Man nennt sie deshalb so, weil Atomkerne besonders stabil sind, wenn die Anzahl ihrer Protonen oder Neutronen einer solchen magischen Zahl entspricht - doch ein aktuelles Experiment lässt vermuten, dass diese Magie ihre Grenzen hat.

Stabile Isotope sind im Universum häufiger, darum sind magische Kerne im Vorteil: Helium-4 etwa tritt besonders häufig im Kosmos auf, und es ist gleich doppelt magisch, es hat je zwei Protonen und zwei Neutronen im Kern. Auch Sauerstoff-16 als das mit Abstand verbreitetste stabile Sauerstoff-Isotop ist doppelt magisch mit je acht Protonen und acht Neutronen. Grund für die Stabilität ist, dass Atomkerne im Rahmen eines Schalenmodells beschrieben werden können, wobei abgeschlossene Kernschalen den magischen Zahlen entsprechen.

Grundsätzlich sind symmetrische Kerne stabil, also solche mit ungefähr gleich vielen Protonen und Neutronen. Doch wie steht es um stark asymmetrische, aber dafür magische Kerne, wie etwa Sauerstoff-28? Könnte das Isotop nicht auch stabil sein, oder wenigstens einen kurzlebigen, gebundenen Zustand einnehmen, da es mit acht Protonen sowie 20 Neutronen im Kern doppelt magisch ist? Diese Frage konnte eine Kollaboration um den japanischen Physiker Yosuke Kondo vom Tokyo Institute of Technology nun beantworten. Den Forschern ist es erstmals gelungen, Sauerstoff-28 zu beobachten, wie sie im Fachblatt Nature berichten.

Wie eine Billardkugel wird ein Proton aus dem Kern geschlagen

Im gleichen Moment, in dem das Isotop erzeugt wurde, zerfiel es jedoch wieder. Es existiere nur als kurzlebige Resonanz, heißt es in der Studie, von wegen Magie. Aus Details der Messung folgern die Forscher tatsächlich, dass Sauerstoff-28 eben doch kein magischer Kern ist. "Die magischen Zahlen, die mit stabilen Kernen etabliert wurden, gelten nicht global", sagt Thomas Aumann von der TU Darmstadt, der an der Arbeit beteiligt war.

Das Forscherteam hatte auch deshalb Sauerstoff-28 untersucht, weil es ein leichtes Element mit großem Neutronenüberschuss ist. Um Kernmodelle zu testen, eignet es sich daher besonders gut. In der Natur kommt Sauerstoff-28 nicht vor, das schwerste stabile Sauerstoff-Isotop ist Sauerstoff-18. Instabile, also radioaktive Isotope reichen bis Sauerstoff-24. Die starke Wechselwirkung, jene fundamentale Kraft, die Atomkerne zusammenhält - auch über die abstoßende Wirkung der positiv geladenen Protonen hinaus - kommt der aktuellen Arbeit zufolge bei Sauerstoff-28 an ihre Grenzen, trotz vermeintlich magischer Nukleonenzahl.

Trotzdem ist das Experiment an der Riken Beam Factory, einem Teilchenbeschleuniger in der Nähe von Tokyo, ein großer Erfolg. Mit hoher Energie schoss das Forscherteam Calcium-48-Kerne auf ein Beryllium-Plättchen. Als Sekundärstrahl ging aus diesem Aufprall ein Fluor-29-Strahl hervor. Mit diesem intensiven Teilchenstrahl wurde dann ein Ziel aus Flüssigwasserstoff anvisiert, wo die Fluor- auf Wasserstoffkerne prallten.

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"Es gibt einen hohen Impulsübertrag, wie beim Billard", erklärt Thomas Aumann den Vorgang. Ein Proton werde dabei aus dem Fluor-29-Kern herausgeschlagen, man spricht von einer "Knockout"-Reaktion. Dadurch entsteht Sauerstoff-28. Beim Laborversuch in Wako wurde neben jenem Isotop zusätzlich auch noch Sauerstoff-27 erzeugt, das allerdings ebenso augenblicklich zerfiel wie Sauerstoff-28. Für beide Isotope gilt, dass es wegen des Verlustes des neunten Protons für einige Neutronen des Kerns keinen Halt mehr gibt.

Sauerstoff-28 spaltete sich in Sauerstoff-24 sowie vier Neutronen auf. Diese vier Neutronen beobachtete man dann mithilfe zweier spezieller Detektoren, genannt Neuland und Nebula. "Der Vier-Neutronen-Nachweis war eine Riesenherausforderung, das ist vorher noch niemandem gelungen", sagt Aumann. Der Neuland-Neutronendetektor in Kombination mit dem Calcium-Strahl sei technisch der Schlüssel für den Erfolg gewesen. Entwickelt wurde der Detektor am Helmholtz-Zentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt, dort war das Gerät ursprünglich als Prototyp für die noch im Bau befindliche Teilchenbeschleunigeranlage Fair vorgesehen. Der Detektor wurde dann jedoch nach Japan verschifft, unter einigem Aufwand, wie Aumann erzählt. Praktisch seine gesamte Arbeitsgruppe sei nach Wako geschickt worden, um beim Aufbau zu helfen.

Vermutlich sind die magischen Zahlen also nicht allgemeingültig anwendbar, um Stabilitätseigenschaften vorherzusagen. Letztlich müsse man die starke Wechselwirkung weiter erforschen, heißt es in einem Begleitartikel zur Nature -Studie. Nur dann könne man besser verstehen, wie die Elemente im Universum entstehen, welche von ihnen stabil sind und warum etwa Neutronensterne zusammenhalten.

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