Klimawandel:Wohin mit dem Treibhausgas?

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Manche Fachleute würden Kohlendioxid dem Klima zuliebe gern unter die Erde bringen. Doch nicht überall ist das möglich. Und die Technik ist umstritten.

Christopher Schrader

Bei 408 wird es nicht bleiben. So viele mögliche Speicher für das Klimagas Kohlendioxid hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover zwar bisher in Deutschland identifiziert - und die Umweltorganisation Greenpeace hat die Liste gegen den Widerstand der Behörde am Wochenende veröffentlicht.

408 mögliche Speicher für das Klimagas Kohlendioxid hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover in Deutschland identifiziert. Aber davon werden sich etliche bei näherem Hinsehen doch nicht als geeignet erweisen. (Foto: SZ-Graphik/Hanna Eiden)

Aber von den 408 Gesteinsformationen werden sich etliche bei näherem Hinsehen doch nicht als geeignet erweisen. "CO2-Speicher müssen auch eine gewisse Größe aufweisen, damit sich die Erschließung und Nutzung überhaupt lohnt", sagt Peter Gerling von der BGR, der dort die Forschung über die Speicher koordiniert.

Andererseits haben Gerling und seine Kollegen viele Regionen noch nicht richtig untersucht. Für den Oberrheingraben haben sie nur eine pauschale Abschätzung gemacht, das Thüringische und Münsterländer Becken wurde bisher ganz ausgelassen. Schon jetzt aber könnten sich an etwa einhundert Orten neue Bürgerinitiativen bilden, die sich gegen die Erkundung ihrer Landschaft für ein CO2-Lager wehren.

Es sind Orte wie Uplengen in Ostfriesland, Löcknitz in Vorpommern, Streganz in Brandenburg oder Waldkraiburg in Bayern, die bisher von ihrer geologischen Eignung im Kampf gegen den Klimawandel noch gar nichts ahnten. Weltweit nämlich wird die sogenannte CCS-Technik (für Carbon Capture and Storage; Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid) als Möglichkeit gesehen, Kohlekraftwerke weiter zu betreiben.

Beim Verbrennen der Kohle soll das entstehende CO2 aufgefangen und in geeignete geologische Formationen gepresst werden, die es sehr lange festhalten. Der Weltklimarat IPCC hat ein Sondergutachten zu der Technik abgegeben. Ohne das Verpressen werde die Welt in der Zwangslage zwischen Energiebedarf und globaler Erwärmung überhaupt nicht über die Runden kommen, sagen viele führende Klimaforscher.

Für das Speichern kommen insbesondere leergepumpte Gas- und Ölfelder in Frage, aber in größerem Ausmaß noch sogenannte salinare Aquifere. Das ist eine Schicht porösen Gesteins, das Salzwasser enthält und durch eine Kappe aus wasserdichtem Fels nach oben abgedichtet wird. Solche geologischen Formationen hatte die BGR gesucht. Allerdings ist die Liste mit den 408 Standorten nicht vollständig: Vom Norddeutschen Becken wurden nur 77 Prozent evaluiert, im Bayerischen Molassebecken nur 44 Prozent und das Fränkische sowie das Saar-Nahe-Becken, wie einige andere Regionen gar nicht (siehe Karte).

Die Grunddaten sind zum Teil Jahrzehnte alt, sie stammen zum Beispiel aus dem Geothermieatlas der DDR von 1984 und einem zehn Jahre alten geotektonischen Atlas Norddeutschlands. 260 der 408 jetzt genannten Orte liegen in der Nordsee, 139 in Norddeutschland und neun in Bayern. Viele potentielle Lagerstätten sind sehr klein und erreichen nicht einmal einen Zehntel Kubikkilometer.

Nur 45, hatte Gerling mit Kollegen im April vergangenen Jahres ausgerechnet, könnten das Verpressen von jeweils mindestens 50 Millionen Tonnen CO2 erlauben. Dazu dürften neben den genannten Orten die Kurorte Bad Bevensen und Bad Driburg gehören, ein Vorort von Schwerin, Sittensen zwischen Hamburg und Bremen und womöglich der Hamburger Stadtteil Billstedt. "Uns hat nur die Geologie interessiert", sagt Gerling, "nicht was oben liegt."

Insgesamt erwarten die BGR-Wissenschaftler, in den Gesteinsformationen zwischen sechs und 13 Milliarden Tonnen CO2 einlagern zu können. Damit haben sie ihre Schätzungen zum zweiten Mal reduziert. 2003 hatte eine Hochrechnung eine Kapazität von 23 bis 43 Milliarden Tonnen ergeben, 2005 wurde die Spanne auf zwölf bis 28 Milliarden Tonnen Kohlendioxid reduziert.

Aber auch die neuesten Zahlen erlaubten es, zusammen mit den ausgebeuteten Erdgasfeldern der Atmosphäre den Ausstoß von deutlich mehr als einer Kraftwerksgeneration zu ersparen, rechnet Peter Gerling vor. Karsten Smid von Greenpeace hingegen bewertet die Zahlen anders. Da die Kohlekraftwerke Deutschlands Jahr für Jahr 350 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen, gut 40 Prozent der nationalen Emission, reiche der Speicherplatz womöglich nur 18 Jahre. Auch ein Gutachten im Auftrag der Umweltorganisation Bund kommt auf weniger als eine Kraftwerksgeneration. Inzwischen zweifeln auch Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ob sich der Einstieg in die CCS-Technik lohnt.

Erprobt wird die Technik zurzeit erst im brandenburgischen Ketzin. Der Widerstand ist aber vor allem an den Orten aufgeflammt, wo die Lagerung von CO2 untersucht werden sollte. Karsten Smid von Greenpeace erwartet nun offenbar Proteste auch in anderen Regionen; er wirft der BGR, aber vor allem auch den Berliner Ministerien für Umwelt und Wirtschaft vor, "hinter dem Rücken der Bevölkerung vollendete Tatsachen schaffen" zu wollen, erkennt darin gar eine Verschwörung. Die BGR kontert, die 408er-Liste sei "keine Vorfestlegung", die Befunde hätten vorläufigen Charakter und die Daten seien für "eine endgültige Bewertung einzelner Standorte nicht ausreichend".

Tatsächlich muss in jedem Einzelfall noch vieles geologisch geklärt werden. Zunächst einmal natürlich, ob die Speicher wirklich dicht sind. "Das muss sehr sorgfältig geschehen. Es gibt viel Erfahrung bei der Industrie und den Bergämtern", sagt Gerling. Er erwartet, dass die Betreiber der Lager aus Eigeninteresse darauf achten werden, weil ihnen bei Leckagen womöglich eine Milliardeninvestition verloren gehe. Neueste politische Manöver lassen die CCS-Gegner aber das Gegenteil annehmen.

Die Kritiker befürchten auch, dass das eingepresste Kohlendioxid Salzwasser nach oben in Trinkwasser führende Schichten treiben könnte. Darum wenden sich die Wasserwerke gegen die Technik. Und Experten wie der Geologe Ralf Krupp, der für die Umweltschützer vom Bund im vergangenen November ein Gutachten erstellt hatte, warnen davor, dass durch chemische Reaktionen Schwermetalle und radioaktive Stoffe freigespült werden könnten. Sogar Erdbeben hält er für denkbar, wenn unter der Erde Hohlräume oder Spalten entstehen.

Die BGR hat bereits im vergangenen August Vorschläge für Sicherheitsrichtlinien gemacht, die das CO2 im Boden halten sollen. Daran mitgearbeitet hat auch die Geologin Gabriela von Goerne. Vor gut zwei Jahren hatte sie noch als Greenpeace-Mitarbeiterin CCS grundsätzlich abgelehnt: Es sei nur ein "Deckmäntelchen dafür, neue Kohlekraftwerke zu bauen".

© SZ vom 15.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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