Im Januar dieses Jahres erlebte Australien den heißesten Sommer seit Langem, mit Rekordtemperaturen und Buschbränden. Im Februar stiegen die Wintertemperaturen in Alaska auf absurde Höhen. Im März verwüstete der Zyklon Idai Teile von Mosambik, Malawi und Simbabwe; laut der UN-Wetterorganisation WMO womöglich eine der tödlichsten Wetterkatastrophen, die jemals die Südhalbkugel getroffen haben. Und jetzt, im April, berichten Wissenschaftler vom desaströsen Zustand des Great Barrier Reefs: Vielleicht wird es sich nie ganz von den Hitzebleichen der vergangenen Jahre erholen.
Die ersten Monate des Jahres 2019 haben deutlich gezeigt, dass der Klimawandel in einer neuen Phase angekommen ist. Lange konnte man viele der Anzeichen für die dramatischen Veränderungen auf der Welt noch irgendwie als Einzelfälle abtun, als Warnsignale. Die wissenschaftlichen Prognosen waren zwar eindeutig und dramatisch, aber eben doch oft nur Vorhersagen. Mittlerweile aber beginnt es, spürbar unangenehm zu werden, weltweit, und zum Teil irreversibel.
Das zeigt besonders deutlich die aktuelle Studie vom Great Barrier Reef, dem größten Korallenriff der Erde. In den Jahren 2016 und 2017 gab es dort direkt nacheinander Massenbleichen, in denen viele Korallen aufgrund von zu warmem Wasser ihre Algen-Mitbewohner verloren und schwer geschädigt wurden. Nun hat ein Team um Terry Hughes von der James Cook University in Queensland untersucht, wie sich die Korallen erholen. Ihre Erkenntnisse, in der vergangenen Woche in Nature veröffentlicht, hat Leitautor Hughes in einem Interview in einem einfachen Satz zusammengefasst: "Tote Korallen bekommen keine Kinder."
Normalerweise produzieren Korallen-Polypen nach Bleichen riesige Larvenschwärme, die die toten Korallen nach und nach ersetzen. Dieser Prozess scheint vor Australien jedoch massiv und dauerhaft gestört zu sein. Um 89 Prozent ging die Ansiedlungsrate junger Korallen im Vergleich zu früheren Niveaus laut den Forschern im Schnitt zurück. Offenbar gibt es nicht genug überlebende erwachsene Korallen, die neue Larven produzieren können.
Wahrscheinlich wird das Great Barrier Reef niemals wieder zu seiner alten Form zurückfinden
Auch die Zusammensetzung der Arten hat sich verändert. Weil die bislang dominanten Steinkorallen der Gattung Acropora besonders hart getroffen wurden, siedelten sich erstmals hauptsächlich Pocillopora an, die die Bleichen besser überstanden haben. Diese Gattung aber ist viel weniger vielfältig und vermehrt sich zudem anders. Acropora schicken Spermien und Eizellen auf die Reise, die erst im Wasser zueinander finden und weite Strecken zurücklegen können, bis sie sich niederlassen. Pocillopora dagegen produzieren meist fertige Larven, die sich in der Nähe ansiedeln. Auch dieser Unterschied dürfte das einzigartige Riff stark verändern.
Erst wenn die jetzigen jungen Acropora-Korallen geschlechtsreif sind, hätte das Gebiet eine Chance, sich wirklich zu erholen. Das aber dauert viele Jahre. Es ist nahezu sicher, dass in dieser Zeit weitere Bleichen auftreten. Schließlich hat sich der mittlere Abstand zwischen solchen Episoden in den vergangenen Jahrzehnten von 25 Jahren auf unter sechs Jahre verringert, und wird weiter schrumpfen. All das lässt befürchten, dass das Great Barrier Reef niemals wieder zu seiner alten Form zurückfinden wird. Vielen anderen Riffen dürfte es ähnlich ergehen.
"Für uns ist das alles keine Überraschung, das setzt nur den langfristigen Trend fort", sagt der Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar in Kiel über all die Schreckensmeldungen der vergangenen Monate. "Korallen können die Erwärmung bis zu einer gewissen Temperatur abfedern, aber irgendwann schaffen sie es nicht mehr, und dann geht es rasend schnell." Und so ist das nicht nur bei Korallen.
Aus wissenschaftlicher Sicht muss man sich nicht wundern, wenn sich die spürbaren und dauerhaften Folgen des Klimawandels zu häufen beginnen. Schließlich wurde das 1,5-Grad-Ziel nicht einfach so ins Paris-Abkommen aufgenommen: "Das ist der Punkt, an dem die Wahrscheinlichkeit sprunghaft zunimmt, dass unumkehrbare Ereignisse einsetzen", sagt Latif. "Von dieser Temperatur sind wir jetzt nicht mehr sehr weit entfernt." Um rund ein Grad hat sich die Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bereits erwärmt. Im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC über das 1,5-Grad-Ziel ist diese Erwärmung der Bereich, in dem die Risiken für bedrohte Ökosysteme und Extremwetterereignisse bereits steigen.
Jenseits der 1,5 Grad werden dann auch weltweite, schwere Schäden und der Kollaps großer Eisschilde wahrscheinlicher. Diese Temperatur wird laut den Prognosen wohl so oder so um 2040 erreicht. Wenn die Emissionen auf wundersame Weise sofort radikal verringert würden, könnte die Erwärmung danach stagnieren. Andernfalls geht es weiter nach oben. Demnach ist das, was derzeit zu beobachten ist - einschließlich dem Dürre- und Hitze-Sommer 2018 in Deutschland - schlicht das "neue Normal". Was jedoch nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu neuen Extremen sein dürfte. Wie genau diese aussehen, liegt noch in der Hand der Klimapolitik. Bislang steigen die Emissionen trotz aller Versprechungen weiter.
Johan Rockström ist Direktor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und weltweit bekannt für seine Arbeiten über die natürlichen Stabilitätsgrenzen des Planeten. Auch er sagt: "Die 1,5 Grad sind nicht nur eine Zahl, das ist eine Grenze." Was passiert, wenn man sich so einer Grenze annähert, kann man heute beobachten; auch für Rockström ist das beunruhigend. Anders als Latif sieht er die Realität eher am Rande der Prognosen. "In den vergangenen 15 Jahren waren die Veränderungen etwas schneller als vorhergesagt. Korallenriffe, die Eisdecke von Grönland oder der Thwaites-Gletscher in der Westantarktis könnten noch empfindlicher sein, als wir dachten", sagt er. Zwar haben Forscher vor allen diesen Risiken lange gewarnt. Aber vielleicht werde die Schwelle, von der an sich der Wandel beschleunigt, noch früher als angenommen erreicht.
Zuletzt war die CO₂-Konzentration im Pliozän so hoch wie heute. Der Meeresspiegel war damals 15 Meter höher
Inzwischen ist die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre so hoch wie zuletzt vor rund drei Millionen Jahren, im Pliozän. Wie anders jedoch damals die Erde und das Klima aussahen, haben Forscher in der vergangenen Woche auf einer Tagung der Royal Meteorological Society in London berichtet: im Schnitt zwei bis vier Grad wärmeres Klima als heute - 14 Grad mehr in der Arktis -, 15 Meter höherer Meeresspiegel, Grönland vermutlich eisfrei, und wie Fossilien zeigen: Bäume in der Antarktis.
Ist das die Zukunft des Planeten? Vielleicht. "Es ist eine Frage der Zeitskala", sagt Alan Haywood, Paläoklimatologe von der University of Leeds und einer der Redner in London. "Manche Komponenten des Erdsystems, wie die Oberflächentemperatur, reagieren sehr schnell auf CO₂. Andere antworten sehr langsam, etwa Eisschilde, Vegetation oder der tiefe Ozean." Aber auch diese beginnen jetzt, zu reagieren: Die arktische Eisdecke geht rasant zurück, Grönlands Gletscher schrumpfen, selbst die Antarktis verändert sich.
Diese langfristigen Prozesse verstärken die Klimaveränderung, etwa weil eisfreie Regionen viel mehr Wärme absorbieren. Wenn die CO₂-Konzentration lange genug so hoch bleibt wie heute, kommt am Ende das warme Pliozän-Klima heraus. Das heißt: Selbst wenn das Wunder gelingt, die Erwärmung in diesem Jahrhundert unter 1,5 Grad zu halten, könnte es sein, dass die Erde sich danach weiter erwärmt. Um das zu verhindern, müsste man der Atmosphäre womöglich viel CO₂ entziehen.
Der Übergang in die nächste Klima-Etappe hat schon begonnen. Das ist kaum noch zu übersehen, auch am Great Barrier Reef. "Es ist nichts, was vielleicht in Zukunft passieren könnte. Es passiert genau jetzt", sagt Korallenforscher Terry Hughes.