Illegale Entsorgung:Müll über Bord

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Kontrollen gegen illegale Müllentsorgung im Meer sind schwierig - die Täter wissen das (Foto: Güven Purtul)

Ihren Plastikmüll werfen viele Kapitäne einfach ins Meer, anstatt ihn im Hafen zu entsorgen. Die Auswirkungen der Vermüllung sind gravierend, die Strafen lächerlich. Dabei gäbe es eine einfache Lösung.

Von Güven Purtul

Man stelle sich vor, Mülltonnen an Autobahnraststätten hätten Münzschlitze und jeder Einwurf kostete Geld. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wie vermüllt die Randstreifen bald wären. Eine ähnliche Situation herrscht in der internationalen Seeschifffahrt: Die Müllentsorgung in vielen Häfen ist kostenpflichtig.

Tatsächlich ist das Problem dramatisch. Immer mehr Müll gelangt ins Meer und da er meist aus Plastik besteht, zerfällt er im Lauf der Zeit in mikroskopisch kleine Teile, die in die Nahrungskette eindringen können. Die Strände der Urlaubsinseln werden jeden Morgen gereinigt, doch pro Kilometer naturbelassener Küstenlinie im Nordostatlantik liegen durchschnittlich 7000 Müllteile herum. Dabei sinkt der Großteil des Mülls auf den Meeresgrund. Bis in die arktische Tiefsee ist die Müllschwemme bereits vorgedrungen.

Obwohl das Problem drängt, hat es die Politik bis heute versäumt, eine einfache und oft geforderte Maßnahme umzusetzen: Die Abfallentsorgung in den Häfen endlich gebührenfrei zu gestalten - oder so, dass Schiffe nichts sparen, wenn sie ihren Müll auf See über Bord werfen. Dies könnte besonders in der südlichen Nordsee das Problem reduzieren, denn hier stammt ein Großteil des Mülls aus der Schifffahrt, wie David Fleet bestätigt, der das Müllmonitoring in der Verwaltung des Nationalparks Wattenmeer koordiniert.

Politiker schieben einander die Zuständigkeiten zu - oder sie geben sich ahnungslos

Die Müll-Entsorgung in den Häfen ist ein Kostenfaktor. Im Hamburger Hafen holen Entsorgungsschiffe den Müll direkt von den Schiffen. In den Hafengebühren enthalten ist jedoch nur die Abgabe von einem Kubikmeter Müll. Jeder weitere Kubikmeter kostet 150 Euro. Bei einem großen Frachter können das schnell 1000 Euro Entsorgungsgebühr sein - nur für hausmüllähnlichen Abfall. Viel Geld, das sich durch illegale Entsorgung sparen lässt.

Dass es anders geht, zeigt der Ostseeraum, wo die meisten Häfen einer Empfehlung der zwischenstaatlichen Helcom-Kommission aus dem Jahr 2007 folgen und nicht für die Müllentsorgung kassieren: Die Schiffe zahlen den Betrag mit der Liegegebühr, auch wenn sie keinen Abfall abgeben. Illegale Einleitungen in die Ostsee haben spürbar abgenommen.

"Ist die Abfallentsorgung in die Hafengebühr integriert, fallen keine Zusatzkosten an", sagt Kim Detloff vom Naturschutzbund Deutschland. "So entfällt der Anreiz, den Abfall auf See illegal zu entsorgen." Im Nordseeraum werde das No-Special-Fee-System nicht angewendet, weil viele europäische Nordseehäfen in Konkurrenz zueinander stehen. "Dort erwartet man europäische Lösungen", sagt Detloff. "Deutsche Häfen haben gesagt, sie würden es nicht einführen, solange Rotterdam oder Antwerpen den Ansatz nicht verfolgen."

Die Forderung nach einer gebührenfreien Entsorgung im Hafen ist alt. Doch als die EU die Müllentsorgung 2000 regelte, verwarf sie den Vorschlag. Die Europäische Richtlinie über "Hafenauffangeinrichtungen" überlässt die Frage der Müllgebühr den Häfen. "Unter den Mitgliedsstaaten herrschte weder Wille noch Übereinstimmung für ein europäisches Gebührensystem, sagt Christine Berg von der Generaldirektion Mobilität und Verkehr der Europäischen Kommission. Vielmehr sollten die Mitgliedsstaaten festlegen, welche Gebühren anfallen. Insider vermuten, die wirtschaftsfreundliche Generaldirektion Mare habe sich gegen die Generaldirektion Umwelt durchgesetzt.

Die Müllbelastung in den Mägen von Eissturmvögeln, die Umweltforschern als Indikator dient, hat denn auch zugenommen. Dies wäre wohl auch der EU-Kommission aufgefallen, wenn sie ihre Richtlinie auf Wirksamkeit überprüft hätte. Dies hätte bis 2005 geschehen sollen. "Die befassten Dienststellen waren in den vergangenen Jahren mit der Überarbeitung der Gesetzgebung im Bereich maritime Sicherheit derartig ausgelastet, dass für die Zusammenstellung eines Berichtes an Rat und Parlament keine Zeit blieb", begründet Berg den Verzug. Im Arbeitsprogramm der Kommission sei vorgesehen, den Evaluierungsbericht Ende 2014 vorzulegen. Zudem hätten sich Experten der Agentur für Seeverkehrssicherheit (EMSA) im Auftrag der Kommission mit dem Thema befasst.

Tatsächlich hat die EMSA eine Studie beauftragt, deren Autor Jens Peter Øhlenschlæger schlussfolgert, dass die EU-Richtlinie zu regional verschiedenen Regeln mit unterschiedlichen Anreizen geführt hat. Øhlenschlæger favorisiert die No-Special-Fee-Regelung: "Sie würde den ökonomischen Anreiz für die illegale Entsorgung beseitigen." Zudem sei die Müllentsorgung mit zwei bis vier Prozent der Gesamtgebühren in den Häfen eher günstig.

Doch offenbar ist diese Erkenntnis noch nicht in der Politik angekommen. Eine Anfrage zum Thema beantwortet ein Sprecher des Bundesumweltministeriums mit einem Verweis auf die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministeriums und der Aussage: "Der größte Anteil des Meeresmülls stammt von Land und wird im Wesentlichen über die Flüsse ins Meer gespült." Zumindest für die südliche Nordsee ist dies wissenschaftlich kaum haltbar. Dennoch antwortet das Bundesverkehrsministerium fast wortgleich: "Der Großteil des Abfalls stammt nicht aus der Schifffahrt."

Zum Thema No-Special-Fee hat sich Verkehrsminister Dobrindt offenbar noch keine Meinung gebildet. Sein Sprecher spielt den Ball weiter: "Die - auch politische - Entscheidung über die Zustimmung zu einem 100-prozentigen No-Special-Fee-System fällt in die Kompetenz der Länder." Außerdem verweist er auf das internationale Umweltabkommen Marpol, nach dem das Einbringen von Plastikmüll verboten ist.

Das Bußgeld für den Müllfrevel liegt bei lächerlichen 105 Euro

Dieses Verbot hat offenbar nicht die erhoffte Wirkung. Es lässt sich auch kaum überwachen: Täter auf frischer Tat zu ertappen, ist so gut wie unmöglich. Die Wasserschutzpolizei soll die Einhaltung der Marpol-Regularien überprüfen. Mit unangemeldeten Kontrollen auf Frachtschiffen versucht sie, Verstöße aufzudecken. Dabei sehen sich die Beamten das Mülltagebuch an, in dem die Schiffsbesatzung dokumentieren muss, wann und wo sie Müll abgegeben hat. Diese Angaben vergleichen sie mit den Entsorgungsbelegen.

"Die meisten Schiffe entsorgen ihre Abfälle korrekt", sagt Björn Beuße von der Hamburger Wasserschutzpolizei. Illegale Entsorgung nachzuweisen, sei schwierig bis unmöglich. "Wenn ich feststelle, der Kapitän hat drei Monate lang Lebensmittelreste entsorgt, aber ich finde keinen Nachweis über Kunststoff oder Hausmüll und er hat nach drei Monaten 0,5 Kubikmeter abzugeben, würde ich unterstellen, dass illegal entsorgt worden ist", sagt der Polizeikommissar. "Ich kann ihm das aber nicht beweisen, weil ich war nicht an Bord."

Entsprechend selten gibt es Strafen. Bei 14 000 Kontrollen wurde 2011 in 102 Fällen ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Dabei wären Strafen bis zu 50 000 Euro möglich. In der Praxis betrugen die vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie festgesetzten Bußgelder durchschnittlich 105 Euro. "Andere Länder verhängen die Strafen gegen das Schiff, da sind fünfstellige Summen realistisch", sagt Beuße.

Umweltschützer sind für höhere Strafen zur Abschreckung - und natürlich für No-Special-Fee: Das würde auch die Bürokratie verringern und die Gebühren senken, da dann alle zahlen. Das hat sogar den Verband Deutscher Reeder (VDR) überzeugt, der sich dafür ausspricht. Der VDR-Sprecher weist darauf hin, dass das Marpol-Abkommen nur für Seeschiffe gilt. Ein großes Problem sei der Plastikmüll von Freizeitbooten und Yachten, vor allem aber von der Fischerei. Davon zeugen die Netzreste, in denen zahlreiche Meeressäuger und Vögel umkommen. Auch da besteht Handlungsbedarf. Mal sehen, wann sich das bis in die Politik herumspricht.

Der NDR zeigt an diesem Montag um 22 Uhr in der Reihe "45 Min" den Film "Die Plastik-Bedrohung".

© SZ vom 12.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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