Verhaltensbiologie:Wie Hummeln Probleme lösen

Verhaltensbiologie: Eine Erdhummel fliegt auf der Suche nach Nahrung eine Blume an.

Eine Erdhummel fliegt auf der Suche nach Nahrung eine Blume an.

(Foto: Friedhelm Adam/Imago/Imagebroker)

Hummeln können sich die Lösung eines Problems von Artgenossen abschauen und den Trick dann so lange weitergeben, bis ihn das ganze Nest beherrscht. Sind die Insekten intelligenter als bisher gedacht?

Von Tina Baier

Mit dem Begriff "Kultur" verbinden die meisten Menschen Theater- und Konzertbesuche, ein gemeinsames Essen in einem guten Restaurant oder die Lektüre des Feuilleton-Teils einer Zeitung. Doch wenn man den Begriff etwas weiter fasst, bedeutet Kultur, dass Mitglieder einer Gemeinschaft eine Gewohnheit pflegen, die sie von Artgenossen unterscheidet, und die sie untereinander weitergeben.

In diesem Sinn ist Kultur nichts typisch Menschliches, sondern auch im Tierreich verbreitet. Allerdings hat man Kultur in der Natur bisher vor allem bei Tieren gefunden, die ohnehin als besonders intelligent gelten: Eine bestimmte Schimpansengruppe in Sambia etwa pflegt die Kultur, sich einen Grashalm ins Ohr zu stecken - warum, weiß niemand, vielleicht finden die Menschenaffen es einfach schick. Orka-Familien kommunizieren in verschiedenen "Dialekten", die sie von Artgenossen unterscheiden. Und Kakadus, die in Australiens Hauptstadt Sydney leben, beherrschen eine ausgeklügelte Methode, Mülltonnen zu öffnen, um an den aus ihrer Sicht leckeren Inhalt zu gelangen.

Aber Insekten mit ihrem Minigehirn? Forschende der Queen Mary University of London haben jetzt herausgefunden, dass Erdhummeln zumindest die kognitiven Voraussetzungen haben, um eine Kultur zu entwickeln: Das Team um Alice Bridges beschreibt im Fachjournal Plos Biology, dass sich die Insekten bestimmte Verhaltensweisen von einer Trendsetter-Hummel abschauen und dann untereinander weitergeben, bis schließlich alle Tiere der Kolonie die neue Verhaltensweise pflegen.

Um zu erforschen, ob eine bestimmte Tierart in der Lage ist, Kultur zu entwickeln, gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten. Zum einen kann man das Verhalten verschiedener Populationen derselben Art in freier Wildbahn beobachten und vergleichen; das ist aufwendig und dauert lange - oft mehrere Jahre. Zum anderen kann man Tieren in Gefangenschaft eine bestimmte Verhaltensweise antrainieren, sie dann mit untrainierten Tieren in Kontakt bringen und beobachten, ob und wie sich das Verhalten ausbreitet. Verhaltensbiologen bezeichnen diese Art von Experiment als "open diffusion paradigm".

Diesen Ansatz wählten die Forschenden um Alice Bridges. Die Experimente mit den Hummeln fanden in einer speziell entwickelten "Flug-Arena" statt. Dort konfrontierte das Team um Bridges seine Versuchsobjekte mit einer kleinen Box, in der sich als Belohnung eine Zuckerlösung auf einer gelben Unterlage befand, die die Hummeln wahrscheinlich für eine etwas ungewöhnliche Blume mit besonders leckerem Nektar hielten. Die Box war mit einem durchsichtigen Deckel verschlossen, den die Hummeln auf zwei verschiedene Arten öffnen konnten: Wenn die Tiere einen roten Hebel betätigten, drehte sich der Deckel im Uhrzeigersinn und öffnete sich. Drückten sie dagegen einen blauen Hebel, drehte sich der Deckel in die andere Richtung, gab die Belohnung aber ebenfalls frei.

"Nach unserem Wissensstand ist es das erste Mal, dass das bei einem wirbellosen Tier gezeigt wurde", schreiben die Forschenden

In einem ersten Experiment brachten die Forschenden einer einzelnen Hummel, die in einem Vorexperiment besonderes Interesse an der merkwürdigen Box gezeigt hatte, in mehreren Schritten bei, mithilfe des roten Hebels an die Belohnung zu kommen. Dann setzten sie die trainierte Hummel in eine Flug-Arena mit untrainierten Artgenossen, die keine Ahnung hatten, was sie mit der Box anfangen sollten. Das änderte sich aber sehr schnell. Nach sechs Tagen, in denen die Forschenden das Verhalten der Insekten filmten, konnten fast alle Hummeln die Box öffnen. Und zwar auf genau dieselbe Art, wie es der trainierten Hummel beigebracht worden war: indem sie den roten Hebel betätigten. "Einige wenige Hummeln entdeckten selbst, dass sich die Box auch öffnen ließ, wenn sie den blauen Hebel drückten", schreiben die Forschenden in ihrer Studie. Doch diese Tiere bevorzugten danach trotzdem wieder die Variante mit dem roten Hebel.

Dasselbe passierte, wenn die Forschenden der Trendsetter-Hummel beibrachten, den blauen Hebel zu drücken: Nach sechs Tagen hatten auch alle anderen gelernt, den blauen Hebel zu betätigen, um die Box zu öffnen.

Diese Ergebnisse deuten nach Ansicht der Studienautoren und -autorinnen darauf hin, dass sich die Hummeln den Öffnungstrick durch soziales Lernen von dem trainierten Vorbild abgeschaut haben und nicht selbst auf die Lösung gekommen sind. Noch wichtiger als diese Beobachtung sei aber die Erkenntnis, dass sich das neu erlernte Verhalten unter den Hummeln verbreitet habe. "Nach unserem Wissensstand ist es das erste Mal, dass das bei einem wirbellosen Tier gezeigt wurde", schreiben die Forschenden in Plos Biology.

Zumindest theoretisch haben Hummeln damit die Voraussetzungen, wie Schimpansen, Orkas und Kakadus tierische Kulturen zu etablieren. Ob sie das wirklich tun, ist allerdings noch unklar: Dafür spricht, dass es bei Hummeln innerhalb ein und derselben Spezies durchaus Unterschiede in der Architektur und auch in der sozialen Organisation des Nestes gibt, was Ausdruck einer Kultur sein könnte. Dagegen spricht, dass Erdhummel-Völker anders als etwa Honigbienen im Winter sterben. Sie können neu erlernte Verhaltensweisen also nicht an die nächste Generation weitergeben und höchstens eine Art Kurzzeit-Kultur entwickeln.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusOrnithologie
:Lassen wir sie doch mal aufmarschieren, die Gockel

Schillernde Kolibris, langschwänzige Paradiesvögel oder der Pupurglanzstar mit einem Gefieder wie aus flüssigem Metall gegossen: Warum sind Vögel so bunt?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: