Die Zahl der Patienten mit HUS, dem besonders schweren Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Ehec-Bakterium, liegt laut Robert-Koch-Institut (RKI) inzwischen bei rund 140. Insgesamt soll es rund 600 infizierte Menschen geben. Die Zahl der Todesopfer stieg offenbar auf vier. Eine 41 Jahre alte Frau aus dem Landkreis Cuxhaven ist nach Angaben des niedersächsischen Gesundheitsministeriums am Mittwochmorgen gestorben. Sie war seit dem 21. Mai wegen des hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) behandelt worden.
Eine Infizierung mit dem Ehec-Erreger sei wahrscheinlich, aber noch nicht nachgewiesen. Zudem starb eine 89-jährige Frau in einem Oldenburger Krankenhaus als Folge einer Ehec-Infektion. Zuvor waren eine 83-Jährige aus Niedersachsen (Kreise Diepholz) sowie eine jungen Frau aus Bremen gestorben. Beide waren nach Behördenangaben mit dem Ehec-Bakterium infiziert.
HUS-Patienten leiden unter Nierenversagen und Blutarmut durch den Zerfall roter Blutkörperchen und einem Mangel an Blutplättchen. Der Anstieg der HUS-Fälle ist ungewöhnlich dramatisch. Noch am Dienstagmittag hatte das RKI 80 Fälle registriert. Mit Ehec infiziert haben sich in den vergangenen Wochen mehrere hundert Menschen. Die betroffenen Altersgruppen sind untypisch. So sind diesmal vor allem erwachsene Frauen betroffen, während in den vergangenen Jahren zumeist Kinder erkrankt waren.
Als Quelle der Infektionen deutet inzwischen einiges "in Richtung Salat und Gemüse", erklärte der Gesundheitsminister von Schleswig-Holstein, Heiner Garg (FDP). Er verwies auf die "Frankfurter Spur". In der hessischen Metropole stehen vorportionierte Salate im Verdacht, Ursache zu sein. Rohes Fleisch und Rohmilchprodukte, die sonst häufig als Infektionsquelle in Frage kommen, seien eher in den Hintergrund getreten, sagte Garg.
Am Abend warnte das Robert Koch-Institut davor, rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate aus Norddeutschland zu essen. Ehec-Erkrankte hätten diese Gemüse deutlich häufiger gegessen als gesunde Vergleichspersonen, teilte das Institut mit.
Den Angaben zufolge steht aber noch nicht fest, ob nur eines oder mehrere dieser drei Lebensmittel mit der Erkrankungswelle zusammenhängen. Es sei ebenfalls nicht auszuschließen, dass auch andere Lebensmittel als Infektionsquelle infrage kommen, sagte RKI-Chef Reinhard Burger.
Laut Burger erlebt Deutschland derzeit den stärksten je registrierten Ehec-Ausbruch. Es gebe so viele Erkrankte pro Woche wie sonst in einem Jahr.
EU befürchtet europaweite Ausbreitung der Epidemie
"Im Moment sieht es so aus, als ob Salatbars, also vorbereitete Salatteile, eine Rolle spielen", hatte zuvor auch die ärztliche Leiterin des Großlabors Medilys der Asklepios-Kliniken in Hamburg, Susanne Huggett, im ARD-Morgenmagazin gesagt. Die Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen.
Unterdessen steigt bei Gemüsebauern die Verunsicherung. "Die Branche rätselt", sagte Anton Offenberger, der Geschäftsführer des Erzeugerrings Knoblauchsland. Das Knoblauchsland im Norden von Nürnberg ist das größte zusammenhängende Gebiet für Gemüseanbau im Freistaat. Dass es immer wieder heißt, Gülle als Dünger für Gemüse könne den lebensbedrohlichen Darmkeim übertragen, sei "abstrus", betonte Offenberger: "Das Gemüse würde ein Ausbringen von Gülle doch gar nicht aushalten, das macht keiner."
Die EU wird wohl wegen der Ehec-Epidemie in Deutschland bald europaweit die Alarmstufe 1 ausrufen. Das sagte der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit im EU-Parlament, Jo Leinen (SPD), der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Die EU-Kommission und wir im Parlament nehmen die besorgniserregende Entwicklung in Deutschland sehr ernst. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der gefährliche EHEC-Erreger auch auf andere EU-Länder überspringt," erläuterte Leinen. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten in Stockholm sei bereits eingeschaltet worden. Bei der Alarmstufe 1 werden alle Mitgliedsländer der EU aufgerufen, Maßnahmen zum Schutz ihrer Bevölkerungen einzuleiten.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hält die bestehenden Mechanismen im Kampf gegen die Ehec-Verbreitung für ausreichend. Dem Vorschlag des gesundheitspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach, einen Krisenstab einzurichten, erteilte ein Ministeriumssprecher eine Absage. "Ein Krisenstab würde dann eingerichtet, wenn es übergeordneten Handlungsbedarf gäbe", sagte der Sprecher. Als Beispiel nannte er die Notwendigkeit stärkerer internationaler Vernetzung, neuer Meldewege oder Strukturen. Im Fall der Ehec-Welle würden die Bürger über das Robert Koch-Institut, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, das Verbraucherministerium sowie die Hotline des Gesundheitsministeriums (01805 - 99 66 01) informiert.