Frage der Woche:Wie kommt man auf die Rote Liste?

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Welche Tier- und Planzenarten besonders bedroht sind, zeigt die Rote Liste der Weltnaturschutzunion. Und es gibt noch weitere solche Listen.

Markus C. Schulte von Drach

Mehr als fünf Wochen lang fahndeten die Wissenschaftler nach den Tieren. Mit zwei Schiffen fuhren sie auf dem Yangtze, suchten mit Ferngläsern die Wasseroberfläche ab, horchten mit Unterwassermikrofonen - ohne Erfolg. Kein einziges Exemplar des Chinesischen Flussdelfins ( Lipotes vexillifer) war im November und Dezember 2006 mehr aufzuspüren.

Als "möglicherweise ausgestorben" gilt der Baiji der Roten Liste der IUCN zufolge. (Foto: Foto: dpa)

Zum ersten Mal sei eine Walart durch den Einfluss des Menschen ausgestorben, hieß es anschließend in den Medien.

In der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) galt der Delfin, auch Baiji genannt, bereits zuvor als "vom Aussterben bedroht" (critically endangered). Nun findet man dort die Ergänzung "möglicherweise ausgestorben" (possibly extinct).

Erst wenn weitere Suchen erfolglos bleiben, werden die Tiere in den nächsten Jahrzehnten in die nächste Kategorie "Ausgestorben" aufrücken.

Einfach machen es sich die Fachleute der IUCN, auf Deutsch Weltnaturschutzunion, demnach nicht bei der Einschätzung der Tierarten für die Rote Liste.

Arten verschwinden immer schneller

Trotzdem ist es eine lange Liste mit gefährdeten Tier- und auch Pflanzenarten in aller Welt, die die Organisation mit Hauptsitz in Gland in der Schweiz jährlich veröffentlicht. 2007 galten insgesamt 16.306 der 41.415 untersuchten Arten als gefährdet - das sind 39 Prozent.

Und während bei den Säugetieren die Zahl seit Mitte der neunziger Jahre immerhin fast stagniert, wächst die Bedrohung für andere Gruppen wie zum Beispiel die Amphibien erheblich. Die biologische Vielfalt weltweit ist in Gefahr.

Natürlich sind in der Vergangenheit immer wieder Tierarten und sogar ganze Gruppen wie zum Beispiel die Dinosaurier ausgestorben.

Doch vor dem Auftreten des Homo sapiens war dies vor allem eine Folge langsamer, erdgeschichtlicher Prozesse, die Anpassungen an eine sich verändernde Umwelt erforderlich gemacht hatten. Arten, die unter den neuen Bedingungen nicht überleben oder abwandern konnten, gingen unter.

Seit einigen Jahrhunderten aber, insbesondere seit dem 18. Jahrhundert, verschwinden Tierarten dagegen erheblich schneller.

Die Hauptursache ist der Mensch, der die Lebensräume von Tieren und Pflanzen nachhaltig verändert oder manche Arten schlicht vollständig "aufgefressen" hat. So starb zum Beispiel im 17. Jahrhundert noch etwa eine Säuger- oder Vogelart alle zehn Jahre aus. In den vergangenen 20 Jahren dagegen verschwanden offiziell fast dreißig Arten vollständig von der Erde.

Schutzmaßnahme Washingtoner Artenschutzabkommen

Eine der größten Bedrohungen gerade für bereits gefährdete Tiere ist der internationale Handel. Deshalb wurde am 3. März 1973 das Washingtoner Artenschutzabkommen vereinbart, das inzwischen für 172 Staaten gilt. Es verbietet den Handel mit bedrohten und deshalb geschützten Tier- und Pflanzenarten. Zur Erinnerung an den Tag der Erstunterzeichnung ist der 3. März der Internationale Tag des Artenschutzes.

Auch einzelne Staaten oder sogar Bundesländer veröffentlichen Rote Listen mit teilweise dramatischen Zahlen. In Deutschland zum Beispiel waren laut Bundesamt für Naturschutz zuletzt 16.000 einheimische Arten bewertet und gerade einmal 51 Prozent als ungefährdet eingestuft worden.

Was aber macht eine Art eigentlich zum Kandidaten für die Liste?

Für die IUCN ist natürlich ausschlaggebend, dass die Population weltweit stark zurückgegangen ist. Die Organisation hat dafür eine Reihe von sehr detaillierten Kategorien aufgestellt, nach denen die Arten eingeordnet werden.

Wenn etwa über mehrere Jahrzehnte keine Vertreter einer Art mehr beobachtet wurden, dann gilt die Art als "ausgestorben" (extinct). So gibt es zum Beispiel vom Beutelwolf (auch Tasmanischer Wolf, Thylacinus cynocephalus) seit 1936 keine gesicherten Spuren mehr. Und der Bali-Tiger ( Panthera tigris balica) ist seit 1935 verschollen.

Aufgenommen werden in diese Kategorie natürlich nicht alle Lebewesen, die irgendwann einmal auf der Erde existiert haben. Kandidaten sind jene, die seit dem Jahre 1500 verschwunden sind. In diese Kategorie fallen heute insgesamt 785 Arten.

"Vom Aussterben bedroht" (critically endangered) sind dagegen Arten, deren Populationen zum Beispiel in den vergangenen zehn Jahren oder über drei Generationen um mindestens 90 Prozent geschrumpft sind, für die die Hoffnung, dass noch Exemplare existieren und sich fortpflanzen werden, gering ist, oder für die nur noch ein winziger Lebensraum zur Verfügung steht.

Rote Liste der bedrohten Arten
:Ein wenig Hoffnung

Die Zahl der vom Aussterben bedrohten Arten wächst. Doch der Einsatz gegen die Ausrottung zahlt sich manchmal auch aus: Wie die Weltnaturschutzorganisation IUCN meldet, konnte eine bereits ausgerottete Art erfolgreich ausgewildert werden.

Die nächste Stufe ist die Kategorie "stark gefährdet" (endangered). Die Voraussetzungen, damit eine Art hier eingeordnet wird, ähneln denen der vorherigen Kategorie, nur dass die Situation für die Population nicht ganz so dramatisch aussieht. So landen hier zum Beispiel Arten, deren Population in den vergangenen zehn Jahren oder drei Generationen um mindestens 70 Prozent geschrumpft ist.

Der Königstiger (Panthera tigris tigris) wird uns hoffentlich erhalten bleiben. Er gilt als "stark gefährdet". (Foto: Foto: dpa)

Und "gefährdet" (vulnerable) sind Tierarten, deren Population unter anderem in den vergangen Jahren um mindestens 50 Prozent zurückgegangen ist.

Um die Situation der Arten einschätzen zu können, greift die IUCN auf etliche Quellen zurück, zum Beispiel Feldbeobachtungen und Kartierungsergebnisse von Wissenschaftlern in aller Welt.

So sind allein an der Zusammenstellung der vom Bundesamt für Naturschutz in Deutschland veröffentlichten nationalen Roten Liste gefährdeter Tiere etwa 450 Fachleute beteiligt, für gefährdete Pflanzen sind es mehr als 100.

Die Zoologen und Botaniker arbeiten meist ehrenamtlich, die Informationen werden vor allem in regionalen Verbänden und Vereinen gesammelt und an Rote-Liste-Arbeitsgruppen weitergegeben.

Unterschiedliche Kriterien

Dass es nationale Rote Listen gibt, hängt übrigens nicht nur damit zusammen, dass die Behörden in bestimmten Ländern die Bedrohung der heimischen Flora und Faune besonders betonen wollen. Es werden teilweise auch andere Kriterien angewandt als von der IUCN.

So kritisiert das Bundesamt für Naturschutz zum Beispiel, dass die Weltnaturschutzunion sich zu sehr auf das Aussterberisiko bezieht. Bei der IUCN kann eine Art, die sich weltweit etwas erholt hat, von der Roten Liste fliegen, während ihre Population in Deutschland weiter bedroht und hier deshalb die biologische Vielfalt gefährdet ist.

Der Apollofalter (auch Roter Falter, Parnassius apollo) etwa wird in der Roten Liste des Bundesamtes für Naturschutz als "vom Aussterben bedroht" geführt, während der Schmetterling in der Liste der IUCN als "gefährdet" beschrieben wird.

Und der Seeadler ( Haliaeetus albicilla) gilt in Deutschland noch als "gefährdet", während die Weltnaturschutzunion den Vogel in die Kategorie "wenig besorgniserregend" (least concern) einordnet.

Immerhin: Vor 24 Jahren galt der Greifvogel in Deutschland sogar noch als "vom Aussterben bedroht". Auch wenn also Tausende von Tier- und Pflanzenarten ganz offensichtlich bedroht sind: Mit den richtigen Maßnahmen lässt sich manche Population noch retten.

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