Forschungspolitik:Wissen unter Verschluss

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Teures Wissen: Den deutschen Wissenschaftsorganisationen sind die Preise des niederändischen Fachverlags Elsevier zu hoch. (Foto: Daniel Roland/AFP)

Wissenschaftsorganisationen und Universitäten streiten sich mit dem Fachverlag Elsevier, weil der Zugang zu dessen Journalen sehr teuer ist. Vom 1. Januar an könnte die deutsche Forschung von sehr viel Wissen abgeschnitten sein.

Von Kathrin Zinkant

Während sich viele Menschen in Deutschland auf das neue Jahr freuen, ist der Neujahrstag 2017 für so manche Wissenschaftler und Forschungsmanager eine Zitterpartie. An mindestens 60 wissenschaftlichen Einrichtungen könnte um Mitternacht der Zugang zu einem wesentlichen Teil des akademischen Wissens gesperrt werden. Und damit jede vernünftige Möglichkeit, Forschung zu betreiben.

Grund ist ein Streit, der sich seit August 2014 anbahnt: Seither arbeitet die Allianz der Wissenschaftsorganisationen in Deutschland an einem neuen Vertrag für die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in Fachjournalen. Das Projekt DEAL sieht anstelle von Einzelverträgen zwischen Forschungseinrichtungen und dem größten Verleger wissenschaftlicher Publikationen, dem in Amsterdam ansässigen Verlagshaus Elsevier, künftig eine nationale Lizenz für Zeitschriften vor. In Erwartung dieser Lizenz haben 60 deutsche Einrichtungen ihre Einzelverträge mit Elsevier nicht verlängert. Seit wenigen Wochen ist jedoch klar: Es gibt keine Einigung. "Wir können nicht akzeptieren, was Elsevier uns bisher anbietet", sagt Horst Hippler, der als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz die Verhandlungen leitet.

Manche Jahresabonnements kosten mehr als 20000 Euro. Viel Geld für eine Uni-Bibliothek

Die besagten 60 Einrichtungen müssen nun damit rechnen, keinen Zugang mehr zu Elseviers Zeitschriften zu erhalten. Das wäre ein bedeutendes Problem, denn die Publikation in Fachjournalen ist der übliche Weg, Erkenntnisse aus Studien und Experimenten öffentlich zu machen. Sie sind die Grundlage für weitere Forschungen. Elektronische Datenbanken wie Science Direct von Elsevier gewähren dabei weltweit Zugang zu allen bislang erschienenen Arbeiten. Bei Elsevier erscheinen sie in rund 3500 Journalen - darunter The Lancet und Cell, zwei der wichtigsten Fachblätter in der medizinischen Forschung.

Universitäten und andere wissenschaftliche Einrichtungen investieren in die Abonnements solcher Fachjournale jährlich Millionensummen - ein einziges Journal kann mehr als 20 000 Euro pro Jahr kosten. Größere Universitäten beziehen Tausende Zeitschriften. Lange Zeit ging das zwar irgendwie gut. Doch da Fachverlage wie Elsevier die Preise jährlich um bis zu 5,4 Prozent erhöhen, ist der Zugang zum selbst geschaffenen Wissen für die Wissenschaft zunehmend schmerzhaft. Damit sollte der Deal zwischen Forschungsorganisationen und Elsevier Schluss machen.

Doch es geht für den Riesen aus Amsterdam um viel Geld. Bis zu 40 Prozent Rendite schöpft Elsevier aus seinem Geschäft, der Jahresgewinn geht in die Milliarden. Der Verlag steht deshalb schon lange in der Kritik. Dabei ist er zwar auf den Input der Wissenschaft angewiesen, was der Allianz eine gute Verhandlungsposition bescheren sollte. Doch die Forscher hängen nicht nur von Informationen ab, sondern auch davon, ihre eigenen Arbeiten zu publizieren. Das Ergebnis ist eine gegenseitige Umklammerung, in der neben anderen Verlagen vor allem Elsevier derzeit die bessere Position hat. Auch deshalb, weil die Wissenschaft erst jetzt aufbegehrt.

Das tut sie nicht nur in Deutschland. In vielen Ländern streben Wissenschaftler und Forschungsorganisationen nach Freiheit. Der US-Physiker Scott Aaronson von der Universität von Texas gehört zu einer wachsenden Gruppe von internationalen Wissenschaftlern, die Elsevier nicht weiter zuarbeiten wollen. "Wir haben die Ideen für die Artikel. Wir schreiben die Artikel. Wir begutachten die Artikel. Wir lesen sie gegen. Wir akzeptieren die Artikel oder lehnen sie ab", sagt Aaronson. "Selbst wenn Verlage früher eine Rolle in diesem Prozess gespielt haben, sind sie heute vornehmlich damit befasst, die Urheberrechte zu besitzen und das Geld einzusammeln." Was daher am Neujahrstag passieren wird, bleibt abzuwarten. Elsevier hat angekündigt, die 60 Institutionen über die Silvesternacht hinaus mit Zugang zu versorgen - "so sie dies wünschen".

© SZ vom 29.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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