Forschungspolitik:Limitiert die Wörter!

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Die Flut an Informationen verstopft Bibliotheken und behindert die Wahrheitsfindung mehr als sie ihr nützt. (Foto: David Iliff; DAVID ILIFF. License: CC-BY-SA 3.0)

Ein interessanter Vorschlag aus den USA: Jeder Forscher sollte nur eine begrenzte Menge von Wörtern in seiner Karriere publizieren dürfen. Das wäre nicht nur in der Wissenschaft fabelhaft.

Kommentar von Christian Weber

Keine Angst, liebe Vielschreiber und Heißluft-Produzenten, diese Idee hat keinerlei Chancen umgesetzt zu werden, schon wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Aber sie hat so viel Charme, dass sie zumindest ein Gedankenexperiment wert ist; möge es Euch Albträume bescheren.

Vorgetragen hat sie der Medizinsoziologe Brian Martinson von der University of Minnesota im Fachmagazin Nature. Er sucht nach neuen Wegen, wie man einem großen Missstand im heutigen akademischen Betrieb beikommt, der aus der Tatsache folgt, dass meist nur jene Forscher Karriere machen, die viel und hochrangig publizieren. Leider gibt es nämlich nur eine begrenzte Zahl von ihnen, die ausreichend Ideen, Ergebnisse und Fleiß aufbringen, um diesen Kriterien zu genügen. Viele andere werden zu Ausweichtaktiken gezwungen. Sie arbeiten schneller und flüchtiger als sie es eigentlich wollen, veröffentlichen voreilig und kleinteilig, wiederholen sich oder zahlen gar für Veröffentlichungen in zwielichtigen Journals, die eh kein Mensch liest. In hochrangige Journals schaffen sie es nur, wenn sie ihre Daten schubsen, um spektakuläre Ergebnisse zu präsentieren. Die Folge ist eine unendliche Informationsflut, die Bibliotheken und Gehirne verstopft, aber die Wahrheitsfindung eher behindert.

Von radikaler Eleganz ist da nun der Vorschlag von Martinson, dass jedem Wissenschaftler nur eine begrenzte, nicht allzu große Zahl von Wörtern zugestanden wird, die er im Laufe seiner Karriere veröffentlichen darf. Wie schön das wäre, träumt Martinson, wenn jeder Forscher abwägen müsste, ob er seinen wertvollen Wörtervorrat angreifen sollte, um weiterhin heiße Luft ins Wissenschaftssystem zu blasen. Es gäbe einen natürlichen Anreiz, relevante Forschung zu betreiben. Ganz automatisch würden mehr Aufsätze entstehen, die wirkliche Ideen und Neuigkeiten enthalten. Umgekehrt wären die Leser, Redakteure und Reviewer entlastet, die sich heute noch durch Stapel unnützen Wissens quälen müssen.

Es wäre ein Prinzip, das sich auf viele andere Felder übertragen ließe. Wie viel öde verbrachte Zeit ließe sich sparen, wenn Schriftsteller nur noch - sagen wir - drei bis fünf-, dafür wirklich lesenswerte Werke in ihrem Leben verfassen dürften. Wenn alle Blogger und Trolle denken müssten, bevor sie posten. Wenn in jedem Kommentar in der Zeitung ein interessanter Gedanke stünde. Diese Vorstellung wird eine Utopie bleiben, schon weil es ungerecht wäre, alle Forscher und Autoren über einen Kamm zu scheren, von Umsetzungsproblemen und rechtlichen Dingen - siehe oben - ganz zu schweigen. Aber einen kleinen Tagtraum ist sie schon wert.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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