Fischerei:Wenn die Netze leer bleiben

Lesezeit: 5 Min.

Der Stint ist nur ein kleiner Fisch, doch für das Ökosystem der Elbe enorm wichtig. (Foto: imago stock&people)

Aus Elbe, Ems und Weser ziehen Fischer kaum noch Fänge an Bord. Die kommerziellen Bedürfnisse der Schifffahrt zerstören die Lebensgrundlagen der Fische.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Der Fischer Walter Zeeck kann sich noch gut an den Tag erinnern, als der Fluss ihm gar nichts mehr gab. Es war kurz nach der Jahrtausendwende auf der Ems vor Papenburg nahe der Meyer-Werft. Zeeck hatte die Hamen, die trichterförmigen Netzsäcke, an beiden Seiten seines Kutters gegen die Strömung im Wasser versenkt, um Aale zu fangen. Wie immer. Aber als er die Netze einige Stunden später wieder an Bord hob, war nichts mehr wie immer. "Es war kein einziger Fisch im Netz", sagt Zeeck, "das ist mir noch nie passiert." Für ihn war das damals das letzte Zeichen dafür, dass die Fischerei auf dem künstlich ausgebauten Ästuar der Ems keine Zukunft hatte - und heute betrachtet er das Erlebnis als Mahnung, wenn er an die Elbe denkt, auf der mittlerweile seine Söhne fischen. Denn es gibt dort das Stint-Problem, ein weiteres beunruhigendes Zeichen.

Das große Nordseeästuar ist der Gewässertyp des Jahres. Das hat das Umweltbundesamt schon im März verkündet, und der Fischer Zeeck findet das gut. Solche Titel der Naturlobby sind im Grunde immer Konstruktionen. Ein Gewässertyp kann schließlich nicht durch besondere Leistungen hervorstechen wie ein Fußballer oder ein Schauspieler des Jahres. Ein Gewässertyp bleibt immer das, was er in der Natur eben ist, das große Nordseeästuar also ein Flussmündungsgebiet an der Nordsee.

Seeschwalben und Kormorane lassen sich seltener blicken, seit die Stint-Bestände schrumpfen

Aber so eine Kür weckt das Bewusstsein für Umweltbelange, und im Fall der drei Nordseeästuare an Elbe, Weser und Ems ist das besonders nötig, denn ihr sensibles Ökosystem ist nicht mehr das, was es mal war. "Noch zum Ende des 19. Jahrhunderts wiesen die drei Ästuare eine weitgehend natürliche Gestalt auf", lehrt das Umweltbundesamt, "heute wird ihr ökologischer Zustand - insbesondere die Vielfalt von Pflanzen, Tier und Organismen und natürlichen Lebensräumen - als mäßig bis unbefriedigend bewertet."

Die drei besagten Flüsse sind die Verbindung der Schifffahrt vom Meer zu diversen Häfen, Verkehrswege also, die sich aus Sicht vieler Unternehmer, Politiker und Arbeiter nach den Ansprüchen der Kommerzgesellschaft zu richten haben. Fahrrinnenanpassungen haben die Ästuare stark beeinflusst. Vor allem die relativ kleine Ems, über die der wichtige regionale Arbeitgeber Meyer-Werft zweimal im Jahr seine neu erbauten Kreuzfahrtschiffe Richtung Nordsee führt, gilt wegen veränderter Strömung und hoher Sedimenteinträge als zeitweise sauerstofffreies Notstandsgebiet; der Masterplan Ems 2050 von Umweltverbänden, Politik und Industrie soll mit Sperrwerken und mehr Raum für den Fluss bewirken, dass langfristig wieder Leben in die Wasserstraße kommt.

Für den Fischer Zeeck kommt die Würdigung der Nordseeästuare vor allem wegen der Elbe zur rechten Zeit. Die Elbe ist Hamburgs Lebensader. Viele Jahre lang haben dort Hafenwirtschaft und Politik gegen den erbitterten Widerstand der Naturschutzverbände um die nächste Vertiefung und Verbreiterung des Flusses gekämpft, damit auch die ganz großen Containerschiffe den Hafen ansteuern können, ohne auf die Flut warten zu müssen. Mittlerweile haben die Gerichte das Vorhaben durchgewinkt. 2021 soll die Elbe endlich der Spitzenfluss sein, den die Wirtschaft will.

Die Folgen? Schwer abzuschätzen. Aber der Fischer Zeeck sieht schon jetzt, dass sich der Fluss verändert. Der Stint ist sein Zeuge. Seit fünf Jahren werden die Fänge des kleinen Fisches immer magerer. "Dieses Jahr war es extrem", sagt Walter Zeeck. Früher war der Stint zwischen Herbst und Frühjahr Massenware. Da habe man pro Tide bis zu 3000 Kilo im Netz gehabt. "Wir hatten so viel Fisch, dass wir den gar nicht absetzen konnten", sagt Zeeck. Dieses Jahr blieb es bei 50 bis 100 Kilo pro Tide. "Wir haben Tag und Nacht gefischt, um die Nachfrage wenigstens einigermaßen befriedigen zu können." Zeecks Theorie: Das ständige Ausbaggern der Elbe, das für die Schifffahrt jetzt schon nötig ist, tötet allmählich den Fluss.

Die Theorie hat was, findet auch der Zoologieprofessor Ralf Thiel, Leiter der Abteilung für Ichthyologie am Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg. Er ist ein leiser Mann, der ungern Unbewiesenes hinausposaunt. Aber mit der Fauna der Elbe befasst sich seine Arbeitsgruppe seit 30 Jahren. Er kann aus sicherer Quelle sagen, dass der Rückgang des Stints keine Fantasie ist. "Das sieht man schon an der Tatsache, dass bestimmte Vogelarten, die sich bevorzugt vom Stint ernährt haben, rückläufig sind, zum Beispiel Seeschwalben oder Kormoran." Die Gründe für den Schwund? "Das ist möglicherweise eine sehr komplexe Geschichte", sagt Thiel.

Dass menschliche Einflüsse zu dieser Geschichte gehören, liegt nahe. Denn einen Faktor findet Thiel besonders schädlich für den Stint: "Die zunehmende schwebstoffabhängige Trübung des Wassers." Diese hat mit den früheren Fahrrinnenanpassungen zu tun. "Das hydrodynamische Regime der Elbe hat sich verändert", sagt Thiel. Im naturbelassenen Fluss wurden einst Schwebstoffe ins Meer transportiert. Grund: Der Ebbstrom war stärker als der Flutstrom. Aber im ausgebauten Bett ist es in großen Bereichen umgekehrt. Die Flut trägt die Schwebstoffe stromaufwärts. Sie setzen sich in strömungsärmeren Bereichen - etwa in den Hafenbecken und in den Nebenstromgebieten - als Schlick ab, der dann für viel Geld ausgebaggert werden muss.

Die Ems ist mittlerweile der trübste Fluss Deutschlands. Das vertragen viele Fische nicht

Tidal pumping nennt man diesen Effekt. Die Ems hat er zum trübsten Fluss Deutschlands gemacht. Die Trübung wiederum wirkt sich auf das Leben im Fluss aus. Zum Beispiel auf das des Stints. Laichplätze und Lebensräume im Flachwasserbereich verschlicken. Schwebstoffe verhindern, dass Eier sich auf festem Bodensubstrat festsetzen können, bedecken teilweise Eier, sodass Embryonen zu wenig Sauerstoff bekommen, oder verstopfen die Kiemen der Larven. Im trüben Wasser ist die Nahrung schlechter zu erkennen. Außerdem entziehen Schwebstoffe dem Wasser Sauerstoff. Thiel sagt: "Allein die schwebstoffbedingte Trübung schiebt viele Prozesse an, die den Stint beeinträchtigen."

Und wenn es dem kleinen Fisch schlecht geht, geht es auch dem großen Fluss schlecht. "Der Stint ist die häufigste Fischart in der Elbe und wichtig im Nahrungsnetz", sagt Thiel, "Stinte fressen vor allem kleine Ruderfußkrebse und Schwebegarnelen und stellen die aufgenommene Energie in Form ihrer Körper übergeordneten Ebenen zur Verfügung, etwa als Nahrung von Raubfischen und Vögeln."

Aber siechende Stintbestände sind rein umweltrechtlich noch kein Problem. Denn der Stint gilt offiziell nicht als bedroht. In den Klagen der Naturschutzverbände gegen die Elbvertiefung gehörte immer der Erhalt des Schierlings-Wasserfenchels zu den wichtigsten Argumenten. Den gibt es nur im Brackwasser der Elbe. Der ist nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU strengstens geschützt. Erst als die Betreiber der Elbvertiefung überzeugende Ausgleichsflächen für das seltene Kraut vorweisen konnten, kamen sie vor dem Bundesverwaltungsgericht durch. Nur: Was bringt eine Ausgleichsfläche für den Schierlings-Wasserfenchel, wenn der Brotfisch der Elbfauna zugrunde geht?

Für den Zoologen Thiel ist die Sorge um den Stint verbunden mit der bangen Frage, ob die Umweltpolitik wirklich den größeren Zusammenhang im Blick hat. "Bisher schauen wir nur bei Arten mit besonderem Schutzstatus genau hin, das möchte ich auch nicht infrage stellen", sagt er, "aber wir betrachten zu wenig das gesamte Ökosystem, wenn ein Schlüsselorganismus keinen besonderen Schutzstatus hat."

Die Finte frisst den Stint, sie ist nach der FFH-Richtlinie geschützt. Stintschutz wäre demnach auch Fintenschutz. Aber so funktionieren die Gesetze eben nicht. Die Kommerzgesellschaft kann das Ökosystem weiter aufs Spiel setzen. An den Nordseeästuaren hat sie das in den vergangenen Jahrzehnten mit großer Kraft getan. Und der Fischer Zeeck befürchtet, dass sie so weitermacht. Bis eines Tages auch an der Elbe die Fischernetze leer bleiben.

© SZ vom 10.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Nachhaltigkeit
:Fischen ohne Nebenwirkung

Wenn Fischer am Werk sind, geht nicht nur die erwünschte Beute ins Netz. Ungenießbare, unverkäufliche und auch geschützte Meerestiere sind Teil des sogenannten Beifangs. Wie lässt sich dieser reduzieren?

Von Thomas Hahn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: