Dietmar Luick, Kapitän des Fischkutters Antares, ist ein Seebär mit Brille, ruhig, freundlich und stolz. Die Welt betrachtet er vom Sessel seines Steuerhauses aus, was nicht die beste Position ist, um sie in all ihren Zusammenhängen zu verstehen. Aber er gibt sich Mühe.
Er will nicht nur schimpfen, wobei keiner glauben soll, dass er um des Friedens willen seine Ehrlichkeit über Bord wirft. "Ganz schön haarsträubend" findet er es zum Beispiel, wie diese Welt der Beamten, Politiker und Wissenschaftler seinen Berufsstand mit Regeln und Kontrollen überzieht. Seine Rede schwankt zwischen Einsicht, Resignation und spöttischer Verachtung, wenn er darüber spricht. "Ich habe mir abgewöhnt zu sagen, jetzt ist Ende der Fahnenstange. Es gibt Leute, die lassen sich immer wieder was Neues einfallen", sagt er. Er ist ein Mann auf einem Kutter, ausgesetzt den Wellen, die andere machen. Was kann er schon tun? Immerhin, ab und zu gibt es gute Nachrichten. Zum Beispiel diese: Der Ostsee-Hering wird teurer. Endlich.
Seit Dienstag ist es offiziell. Da hat der Marine Stewardship Council (MSC) erklärt, dass er die Deutsche Erzeugergemeinschaft Nord- und Ostseefischer GmbH mit ihren 38 Kuttern, zu denen auch die Antares gehört, nach Jahren der prüfenden Beobachtung mit dem Umweltsiegel für nachhaltige Fischerei auszeichnet.
Der MSC ist eine nicht staatliche, gemeinnützige Organisation, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen Standards für einen umweltverträglichen Fischfang setzt. Es ist also eine dieser Institutionen, von denen sich einer wie Kapitän Luick beobachtet fühlt, wenn er auf dem Meer vor Rügen seinem Beruf nachgeht. Die er am Ende aber doch akzeptiert, weil sie das Gebiet schützt, das er bewirtschaftet, und weil sie für den Fisch, den er fängt, Verkaufsargumente sammelt.
Die Deutschen sind Siegel-Käufer
Dass man Meere auch leer fischen kann, ist längst verankert im Bewusstsein aufgeklärter Verbraucher. Umweltorganisationen wie WWF oder Greenpeace machen Druck. Gerade in Deutschland wünschen die Leute einen Hinweis darauf, dass sie ein Produkt guten Gewissens kaufen können. "Deutsche sind Siegel-Käufer", sagt MSC-Sprecherin Gerlinde Geltinger.
Die Supermarktketten richten sich danach. Was kein Nachhaltigkeitsetikett trägt, sinkt im Wert. 27 Cent kostet das Kilo Hering ohne MSC-Siegel, 35 Cent mit dem Etikett. Und weil der Ostsee-Hering noch keines hatte, erklärte die Sassnitzer Fischverarbeitungs-GmbH Euro-Baltic den langwierigen Prozess um die MSC-Gunst zur Schicksalsfrage für die örtliche Fischerei. "Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass der Ostsee-Hering ohne Zertifikat nicht mehr verkaufbar ist", sagt Euro-Baltic-Geschäftsführer Uwe Richter. "Wenn das Siegel nicht gekommen wäre, hätten einige Fischereien das nächste Jahr nicht erlebt."
Kapitän Luick hat seine Antares in Bewegung gesetzt. Die Ostsee liegt friedlich in der Dämmerung. Heringe bleiben tagsüber tief unten am Meeresgrund, sie werden erst aktiver, wenn es dunkel ist, deshalb haben Luick und seine drei Besatzungsmitglieder eine Nachtschicht vor sich. Luick steht im Steuerhaus vor einer Reihe von Bildschirmen. Einer zeigt eine Karte der westlichen Ostsee mit den Grenzlinien, in denen Luick sich mit seinem Kutter bewegen darf. Je nach Motorenstärke bekommen die Kapitäne ihre Fanggebiete zugewiesen, und die Antares, 300 PS stark, steuert nun Richtung Sassnitzer Graben, der sich vor Rügens Küste nach Norden Richtung Arkona-Becken erstreckt.
Jede Ausfahrt beginnt für Luick mit einer Suche, denn der Hering ist umtriebig. "Der ist jeden Tag an einer anderen Stelle", sagt Luick. Das Echolot tastet die Unterwasserwelt ab, über der die Antares schippert, auf einem seiner Bildschirme kann Luick sehen, ob es sich lohnen könnte, das Schleppnetz auszuwerfen. Bunte Punkte auf schwarzem Grund zeigt der Schirm. "Die Punkte sollten am liebsten alle rot sein", sagt Luick. Rote Punkte deuten auf Heringsschwärme hin. Es gab Nächte, in denen Luick stundenlang übers Meer fahren musste, bis das Echolot genügend rote Punkte zeigte. Es kann auch vorkommen, dass er so gut wie gar keine findet. Und heute wirkt Luick skeptisch.
Dunkelheit hat sich übers Meer gelegt, rund um die Antares ist alles schwarz. In der Ferne sind einzelne Lichter von anderen Kuttern zu sehen, und hundert Meter voraus schimmert das der Westbank, jenem Schiff, das in dieser Nacht der Partner der Antares beim Tucken ist. Tucken ist jene Art der Schleppnetzfischerei, bei der das Schleppnetz von zwei Schiffen durchs Meer geführt wird. Kapitän Luick steht in Funkkontakt mit André Hamann, der die Westbank steuert.
Luick schaut aufs Echolot. "Weiß ich nicht, ob wir hier loslegen sollen." Hamanns Antwort knattert durchs Steuerhaus. "Für mich ist das mehr Gammel. Ja. Weiß ich nicht." Kurz darauf ruft Luick nach draußen: "Mach mal los!" Und am Heck der Antares setzt Luicks Besatzung die schwere Netztrommel in Bewegung. Möwen kreischen, der Motor dröhnt, die Männer rufen sich knappe Kommandos zu. Es dauert nicht lang, und die grünen Maschen verschwinden im schwarzen Wasser.
Immer häufiger bleiben die Netze leer
Die Westbank fährt dicht an die Antares heran. Ein Seil fliegt vom einen Deck zum anderen, und bald entfernen sich die Kutter wieder voneinander, bis etwa 150 Meter zwischen ihnen liegen. Unter Wasser öffnet sich das Schleppnetz wie ein gieriger Schlund. Es ist gegen zehn Uhr. Der erste Höhepunkt der Fahrt ist vorbei. Für die nächsten Stunden werden die Antares und die Westbank einträchtig ihre Runden drehen und Heringsschwärme einsammeln.
Fischerei bedeutet ernten, ohne zu säen: Man hält ein Netz ins Meer, wartet und zieht die Beute an Land. Den Menschen dämmerte relativ früh, dass diese Art des Nahrungserwerbs auch einen Haken hat. Schon im 18. Jahrhundert stellten Fischer fest, dass ihre Netze auch mal leer blieben. 1902 gründete sich der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES), das erste Wissenschaftler-Bündnis für ein intelligentes Fischerei-Management. Aber die deutlichste Mahnung, dass die Meere kein unerschöpfliches Schlaraffenland sind, gab es 1992, als die Kabeljau-Bestände vor Neufundland einbrachen, 40 000 Menschen plötzlich ohne Arbeit dastanden und die gesamte Region in eine schwere Krise stürzte.
Heute ist die Fischerei geprägt von einem zähen Ringen um die richtige Balance von Fang und Schonung. Wissenschaftler versuchen, den Überblick zu behalten, und beraten die Politik, wer wann was wie fischen dürfen sollte. Andere Wissenschaftler geben diesen Empfehlungen Kontra. Auch der MSC hat Gegner. Umweltverbände mahnen mehr Nachhaltigkeit an. Die Behörden haben ein Auge auf jeden Kutter. Die Tätigkeit, ein Netz ins Meer zu werfen, ist kompliziert geworden.
"Der Beruf des Fischers in Deutschland ist der am besten kontrollierte und reglementierteste Berufszweig überhaupt", sagt Uwe Richter von Euro-Baltic. Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseeforschung und Aufsichtsrats-Mitglied beim MSC, formuliert es etwas vornehmer. Aber auch er sagt auf die Frage, ob die Fischer überreguliert seien: "Ja, aus unserer Sicht ist das europäische Fischereimanagement in dieser Hinsicht nicht vorbildlich."
Es gibt nicht nur die festgelegten Quoten, Schonzeiten, Fanggebiete, Maschengrößen, sondern auch kleinliche Verordnungen für Garndicke und Kuttermotoren. Die EU reformiert gerade ihre Fischereipolitik, aber Zimmermann ist nicht sicher, ob das die gewünschten Vereinfachungen bringt. "Am Ende kann ich verstehen, dass der Fischer sagt, das ist mir alles zu blöd", sagt er.
Kapitän Luick schaut in seinem Steuerhaus auf den Computerschirm, der über Sensoren im Netz zeigt, wie viel Hering sich schon hat einsammeln lassen. "Könnte besser sein", sagt Luick. Es ist nach eins. Die Matrosen haben sich in die Kajüten zurückgezogen. Der Kapitän wacht, und er hofft, dass sich noch was tut im Wasser.
"Der Heringsbestand erholt sich"
Luick fischt nach den Regeln. Er hat immer nach den Regeln gefischt. Dass der Ostsee-Hering trotzdem über Jahre kein Umweltsiegel des MSC bekam, hatte mit ihm und seinen Kollegen wenig zu tun. Die Heringsbestände waren lange zu dünn, was laut Zimmermann "im Wesentlichen mit einer natürlichen Variation der Nachwuchsproduktion" zu tun hatte - und damit, dass die Fangquoten zu langsam reduziert wurden.
Zweitens gab es in den Gebieten von Nord- und Ostsee mit Heringsvorkommen kein einheitliches Fischereimanagement, sondern viel Streit zwischen EU und Norwegen, das im Kattegat und Skagerrak seine eigene Politik verfolgte. Der Konflikt ist beigelegt. Und der Hering? "Dem Hering geht es wieder gut, der Bestand erholt sich", sagt Zimmermann, was allerdings sein Kieler Kollege Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung anders sieht. Froese bemängelt "viel zu hohen Fischereidruck", er findet die Zertifizierung des Ostsee-Herings falsch. Sowohl Zimmermann als auch Froese verweisen auf ICES-Erkenntnisse.
Es ist sechs Uhr morgens auf der Antares. Möwen begleiten den Kutter in Scharen und sind ganz aufgeregt. Sie wittern leichte Beute, weil die Besatzung an Bord angefangen hat, das Netz einzuholen. Rügens Kreidefelsen steht im diesigen Licht des anbrechenden Tages. Am Schiffsrumpf schwimmt schon das prall gefüllte Netz. Beutel um Beutel hieven die Männer den Silberschatz aus Hering mit einem Kran aus dem Wasser und lassen ihn in den Schiffsbauch gleiten.
Für jeden entleerten Beutel geht ein Hering in den Eimer
Immer wieder tauchen die Männer das Ende des Schleppnetzes zurück in die See, damit die nächste Ladung Fisch hineinfließen kann, immer wieder heben sie es empor und binden das Netz auf. Für jeden entleerten Beutel geht ein Hering in den Eimer, damit Kapitän Luick am Schluss weiß, wie viel Hering er gefangen hat.
Als die letzten Fische im Inneren des Kutters verschwunden sind, liegen 28 Heringe im Eimer. Wenn Dietmar Luick das hochrechnet, kommt er auf 36 Tonnen Hering, den er in dieser Nacht gefangen hat und in Mukran bei Euro-Baltic zur Weiterverarbeitung abliefern kann. "Da wollen wir uns nicht beklagen, wenn das auf der Waage so rauskommt", sagt der Kapitän. Und still freut er sich darüber, dass er noch davon leben kann, mit seiner Antares aufs Meer zu fahren und ein Netz ins Wasser zu werfen.