Biologie:Wenn Evolution den Turbogang einlegt

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Einige Rotkehl-Anolis entwickelten innerhalb weniger Jahre klebrigere Füße, um sich gegen Konkurrenten durchzusetzen (Foto: Tim Gage / Flickr / CC by SA)

Die Evolution arbeitet viel schneller, als Charles Darwin glaubte. Einige Arten haben sich in kürzester Zeit rasant verändert.

Von Tina Baier

Charles Darwin würde staunen. Der Begründer der Evolutionstheorie war überzeugt, dass die Wechselwirkung von Mutation und Selektion ein langsamer Prozess ist, der Jahrtausende oder sogar Jahrmillionen dauert. Dabei kann Evolution auch schnell ablaufen, wie jetzt wieder eine Untersuchung britischer Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Biology Letters (online) zeigt.

Die Forscher der Oxford University analysierten das Erbgut in den Mitochondrien einer Gruppe Hühner, die alle dieselben gemeinsamen Vorfahren haben. Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, dass sich dort in den vergangenen 50 Jahren zwei Mutationen ereignet hatten. "Bisher galt als sicher, dass sich das mitochondriale Erbgut in einer Million Jahre um höchstens zwei Prozent verändert", schreiben die Forscher. Ihre Entdeckung belege, dass es 15-mal so schnell geht.

Wer perfekt an seine Umgebung angepasst ist, verändert sich äußerlich nicht mehr

"Es ist falsch, davon auszugehen, dass Evolution ein langsamer Prozess ist", sagt Manfred Milinski, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. Die meisten Arten veränderten sich kaum noch, weil ihre Eigenschaften bereits im Optimum sind. In diesem Fall wirke eine stabilisierende Selektion, und man sehe deshalb keine Unterschiede. Ein Beispiel ist das menschliche Auge. Es ist so perfekt, dass jede Veränderung eine Verschlechterung bedeutet und sich deshalb nicht durchsetzen kann. Doch sobald sich Lebewesen an neue Bedingungen anpassen müssen, entwickeln sie sich oft erstaunlich schnell.

Dafür gibt es viele Beispiele, und oft ist es der Mensch, der direkt oder indirekt einen hohen Selektionsdruck auf andere Lebewesen ausübt, indem er ihre Lebensbedingungen verändert. Bei kanadischen Dickhornschafen etwa schrumpfte die Größe der Hörner innerhalb weniger Jahrzehnte um ein Fünftel, weil Trophäenjäger bevorzugt Tiere mit prächtigen Hörnern schossen. Mickrigere Schafe bekamen dadurch einen Überlebensvorteil und vermehrten sich. Selektionsdruck übten auch diejenigen Menschen aus, die die braune Bahama-Anolis-Echse nach Florida einschleppten, wo bereits die grüne Rotkehl-Anolis lebte. Beide Arten halten sich eigentlich auf den unteren, breiten Ästen von Bäumen auf. Doch dort wurde mit der Zeit der Platz knapp. Die einheimische Art wich deshalb auf höher gelegene, dünnere Äste aus. Um nicht herunterzufallen, entwickelten die Tiere in nur 15 Jahren größere, klebrige Füße.

Doch auch ohne den Einfluss des Menschen kann Evolution sehr schnell zu Veränderungen führen. Manfred Milinski hat dreistachlige Stichlinge in der holsteinischen Schweiz untersucht, die dort sowohl in Flüssen als auch in Seen leben. Rein äußerlich unterscheiden sich die Fische nicht. Doch als der Evolutionsbiologe das Immunsystem der Tiere untersuchte, stellte er große Unterschiede zwischen See- und Flussbewohnern fest. Das Immunsystem der Tiere, die ursprünglich im Meer lebten, habe sich an die unterschiedlichen Parasiten in Seen und Flüssen angepasst, nachdem die Fische dort aus der Ostsee eingewandert waren, sagt Milinski. Das alles muss in den vergangenen 4000 Jahren passiert sein, da die Seen und Flüsse der holsteinischen Schweiz für die Fische zuvor kein geeigneter Lebensraum waren.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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