Erneuerbare Energien:Flaute am Windrad

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Windmühlen, wie hier im Schwarzwald, werfen weniger Ertrag ab als angenommen. Mal ist der Standort falsch gewählt, mal stehen sie zu dicht beieinander. (Foto: Rolf Haid/dpa)

Viele Windkraftanlagen in Süddeutschland sind unrentabel, weil schlicht zu wenig Wind weht. Sind nur die Vorhersagen mangelhaft, oder hat sich die Wetterlage in Mitteleuropa dauerhaft verändert?

Von Andreas Frey

Am Auerhahn lag es nicht. Auch Fledermäuse standen dem Windpark im Südschwarzwald ausnahmsweise nicht im Weg. Es ist der Wind, der nicht weht, wie er soll. Es herrscht Flaute zwischen Belchen und dem Zeller Blauen. Deshalb wird das Projekt im 50 Kilometer südlich von Freiburg gelegenen Wiesental wohl gestoppt. Zwölf Windanlagen sollten dort entstehen, schließlich weist der Windatlas des Landes Baden-Württemberg für die Gegend ideale Bedingungen aus.

Josef Pesch vom Projektentwickler Juwi überbrachte die schlechte Nachricht während einer Ratssitzung Ende September. Statt der im Windatlas prognostizierten 6,5 Meter pro Sekunde blies der Wind in 100 Meter Höhe nur 4,9 Meter pro Sekunde. "Das klingt nach wenig, sind aber Welten", sagt er. Damit sei der Windpark nicht rentabel. Denn die Erträge nehmen nicht linear mit der Windgeschwindigkeit zu oder ab, sondern mit der dritten Potenz. So kann schon ein minimal schwächerer Wind das Aus für einen Windpark bedeuten.

Wer wissen will, wo der Wind weht, konsultiert den Windatlas. Er wird von den Ländern erstellt und liefert Informationen über geeignete Standorte für Windkraftanlagen. Der Atlas ist Grundlage für die Entscheidung, ob und wo Windräder errichtet werden sollen. Aber was bringt das, wenn er womöglich nichts taugt? Anscheinend weichen die Werte nämlich nicht nur im Wiesental von den prognostizierten ab, sondern in ganz Süddeutschland.

Der Windatlas sei an vielen Stellen falsch, vermutet Pesch. Offenbar gibt es ein systematisches Problem. Viele Gemeinden sind frustriert, manche haben bereits große Summen für Windkraftprojekte ausgegeben. Und dort, wo die Räder bereits rotieren, werfen sie weniger ab als gedacht. Was ist da los? Warum herrscht Flaute, wo eigentlich ein strammer Wind blasen soll?

Beim Bundesverband Windenergie in Berlin ist man nicht überrascht. "Der Windatlas suggeriert, dass es viele gute Standorte gibt - aber tatsächlich existieren sie häufig nicht", sagt Präsidentin Sylvia Pilarsky-Grosch. Das habe viele Erwartungen geschürt. "Es ist lächerlich zu sagen, an einem Standort gäbe es beispielsweise einen Wert von 5,75", sagt sie. Zwei Dezimalstellen hinter dem Komma würden wissenschaftlich klingen, in Wirklichkeit könne es aber 100 Meter nebenan schon ganz anders aussehen. "Der Windatlas ist ein Anhaltspunkt - mehr nicht. Auf dessen Erkenntnisgewinn hätte man auch selber kommen können: Auf dem Berg weht halt der Wind und im Tal nicht."

Im Schwarzwald musste eine Anlage abgebaut werden

Eine Analyse des Anlegerbeirats des Bundesverbands ergab, dass die erzielten Erlöse mit Windstrom deutschlandweit im Zeitraum von 2002 bis 2011 nur 86 Prozent der erwarteten Umsätze erreichten. Die größten Einbußen gab es im Süden. Offensichtlich hat man die Kraft des Windes jahrelang überschätzt. Im Schwarzwald musste eine Anlage wieder abgebaut werden.

Beim Umweltministerium in Stuttgart, dem Herausgeber des Windatlasses Baden-Württemberg, hat man zwar registriert, dass viele unzufrieden damit sind. Messgutachten seien aber noch nicht eingetroffen, versichert Sprecher Hans-Peter Lutz. "Nur auf Zuruf kann ich mit der Kritik nichts anfangen", sagt er. Insofern seien die Vorwürfe unbelegte Behauptungen. Generell, so Lutz, könne es sein, dass Messgutachten von den Werten im Windatlas abwichen, weil das durchschnittliche Windaufkommen an einem Standort von Jahr zu Jahr um 30 Prozent schwanken könne. Wenn Werte falsch seien, könne man das selbstverständlich "in den fachlichen Diskussionsprozess einbringen", sagt er.

Unzufriedene Stimmen kommen nicht nur aus dem Wiesental, im Schwarzwald herrscht an vielen Standorten Flaute. In Waldkirch im mittleren Schwarzwald weht der Wind deutlich schwächer als gedacht. Deshalb ruhen die Projekte, etwa 50 Windräder sollten sich eigentlich bald drehen. Zwölf Prozent weniger Ertrag als ursprünglich angenommen hätten zwei unabhängige Windgutachten der Gegend vorausgesagt, sagt der Geschäftsführer der Stadtwerke, Dieter Nagel. Auch im Rathaus ist die Ernüchterung groß: 300.000 Euro hat der Gemeindeverwaltungsverband Waldkirch bisher allein für die Planung ausgegeben. Für nichts?

Nun wäre es sicherlich naiv, teure Windmühlen einzig auf Grundlage der Angaben im Windatlas zu bauen. Der für die Berechnungen zuständige TÜV Süd schreibt, der Atlas sei kein Ersatz für ein akkreditiertes Windgutachten, jeder Standort sollte einzeln geprüft werden. Der Atlas dient der Orientierung, aber er ist auch Planungsgrundlage. "Insofern sollte die Größenordnung stimmen", sagt Projektierer Pesch. "Wenn man nach den gleichen Kriterien Baugebiete ausweisen müsste, würde ein Aufschrei durch die Republik gehen."

Ausgerechnet Baden-Württemberg. Verglichen mit anderen Flächenländern ist es bei der Windkraft Entwicklungsländle. Nur ein Prozent tragen Rotoren zur Stromversorgung bei. Das konnte selbst ein grüner Ministerpräsident bislang nicht ändern. Dabei weht in den Bergen eigentlich genug Wind. Aber dort, wo sich Windanlagen lohnen, verhindert entweder der Naturschutz den grünen Strom oder die Bürger wehren sich gegen die Anlagen.

Je weniger Windräder sich aber schon drehen, desto schwieriger wird die Suche nach neuen Standorten. Bereits installierte Anlagen liefern jede Menge Messdaten, die sich Projektierer für benachbarte Standorte zunutze machen. Im Norden verfügt man daher im Gegensatz zum Süden über gute Erfahrungswerte. Zudem ist ein dichtes Netz an Wetterstationen hilfreich, um besonders windige Flecken zu entdecken.

Im Süden kommt ein weiteres Problem hinzu: Das Gelände ist anders als im Norden häufig sehr hügelig und komplex geformt. Dadurch ergeben sich auf engstem Raum große Unterschiede der Windstärke. Ein solitärer Berg beispielsweise wirft noch Dutzende Kilometer dahinter einen Windschatten. Im Wald, wo viele Anlagen errichtet werden sollen, ist der Wind zudem schwer vorherzusagen, weil die Oberfläche unterschiedlich rau ist und sich die Windfelder wegen der Bäume in die Höhe verschieben. Auf den Windatlas sollte man sich deshalb nicht verlassen. Der bayerische Atlas gebe etwa Waldgebiete lediglich "Pi mal Daumen" an, berichtet Susanne Schneider-Geyer vom Projektierer Vento Ludens aus Jettingen-Scheppach. Das hätten eigene Messgutachten gezeigt.

Wegen der Unsicherheit über die wahren Erlöse von Anlagen messen Windparkeigner mittlerweile lieber doppelt nach, bevor sie die Mühlen errichten. Wer sichergehen will, dass ausreichend Wind weht, baut an vorgesehener Stelle einen Mast mit Instrumenten in die Höhe und misst ein Jahr lang nach. Weniger aufwendig sind Lidar- und Sodar-Messungen. Dazu sendet man Licht- oder Schallsignale in die Höhe, die an Staubteilchen zurückgeworfen werden. Mithilfe der Laufzeit der Strahlen werden Höhen und Windstärken ermittelt. Strömungsanalysen werden zwar immer feiner, dafür aber auch immer teurer. Vor allem die Rauigkeiten der verschiedenen Oberflächen machen den Gutachtern immer noch zu schaffen.

Manche Windräder stehen viel zu eng beieinander

Fehler passieren jedoch nicht nur bei der Suche nach geeigneten Standorten. Es ist genauso wichtig, zwischen den Anlagen genügend Abstand einzuhalten, sonst nehmen sich die Windräder gegenseitig den Wind aus den Rotoren. Nicht selten haben Gemeinden in den vergangenen Jahren ganze Gipfel zugestellt.

Womöglich gibt es neben falschen Messungen, ungeeigneten Standorten und ungeschickten Anordnungen der Anlagen einen relativ simplen Grund, weshalb der Wind nicht so stark weht, wie er soll: Herrscht in Mitteleuropa seit Jahren Flaute, weil weniger Tiefdruckgebiete als noch vor zehn bis 15 Jahren den Kontinent heimsuchen? "Dafür gibt es kaum Anzeichen", sagt Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Von Jahr zu Jahr schwanke der Wind natürlich.

Der Karlsruher Meteorologe Bernhard Mühr hingegen vermutet, dass der Wind in den vergangenen fünf bis sieben Jahren tatsächlich schwächer geworden ist. Seit ein paar Jahren dominieren im Winter, wenn der Wind im Schnitt am stärksten bläst, kalte und windschwache Hochdrucklagen. Deshalb sind auch weniger Stürme und Orkane übers Land gejagt als noch in den 1990er-Jahren. Belege für die Abnahme der Windstärke gibt es allerdings nicht. Ob diese windschwachen Wetterlagen anhalten, ist unklar. Die Konsequenz für Planer heißt deshalb: Windräder noch höher bauen, um der Flaute zu entkommen.

© SZ vom 23.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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