Die Ernährungskrise hat viele Gesichter. Eines zeigt sich im Norden Ghanas, in Kandiga nahe der Bezirkshauptstadt Bolgatanga. Zwischen Affenbrotbäumen und Feldern mit Hirsestauden verstecken sich die verstreuten Gehöfte der Bewohner.
Einer der Bauern von Kandiga ist John Agaapi, ein hochgewachsener, dürrer Mann. In den vergangenen Jahren hat er sein zerfurchtes Gesicht immer häufiger sorgenvoll gen Himmel gewandt. Hier in Westafrika gerät der Ablauf von Regen- und Trockenzeiten aus den Fugen.
Das Wetter folgt nicht mehr den alten Mustern. Nur der Himmel wisse, wann wieder Verlass auf den Rhythmus der Jahreszeiten sei, sagt Agaapi.Für die Menschen in Westafrika ist das dramatisch, denn wenn der Wechsel der Jahreszeiten durcheinandergerät, müssen sie Hunger leiden. Die meisten Bauern betreiben Regenfeldbau, sie können sich keinen Ernteausfall leisten.
Wenn aber im Frühjahr nach dem ersten Regen weitere Niederschläge ausbleiben, verdorrt die Saat. Und ungewöhnlich heftige Platzregen in den folgenden Monaten schwemmen dann die letzten Pflanzen aus den Ackerfurchen.
Diese Situationen gibt es in Westafrika heute häufiger als früher, und anderswo auf der Welt ist es ähnlich: Dürre in Kenia, ausgetrocknete Brunnen im Norden Chinas und Wassermangel in Kalifornien sind die Folgen, wenn extreme Wetterphänomene wegen des Klimawandels zunehmen. Das bedroht weltweit die Ernährung von Milliarden Menschen.
Dass der Klimawandel Wetterphänomene und Vegetationsperioden durcheinanderwirbelt, ist nur ein Aspekt jener dramatischen Situation, die unter dem Schlagwort Ernährungskrise diskutiert wird. Die Welternährungsorganisation FAO warnt seit Jahren vor einer Verknappung des Nahrungsmittelangebots.
Das Problem war seit etwa 1990 aus dem Blickfeld vieler Beobachter geraten, Hunger und Unterernährung gingen weltweit zurück. Dann stiegen die Getreidepreise bis zum Sommer 2008 von einem Rekord zum nächsten.
Immer mehr Menschen konnten Reis, Mais oder andere Grundnahrungsmittel nicht mehr bezahlen. In Haiti, Bangladesch, Mexiko, Ägypten und fast 50 weiteren Ländern entlud sich ihre Wut in gewaltsamen Unruhen.
Die Preise für Lebensmittel sind zwar wieder etwas gefallen. Doch die Prognosen der FAO bestärken jene, die nur von einer Ruhe vor dem Sturm sprechen. Die Zeit weltweiter Nahrungsmittelüberschüsse ist endgültig vorbei.
Etwa 6,7 Milliarden Menschen leben heute auf der Erde, 923 Millionen von ihnen hungern. Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung auf 9,2 Milliarden Menschen wachsen, die Zahl der bitterarmen Hungernden auf drei Milliarden.
Tischlein deck dich - neu
Laut FAO müssten sich die Erträge von Weizen, Reis, Mais, Kartoffeln und anderen Grundnahrungsmitteln bis zum Jahr 2050 verdoppeln, um diese wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.
Es brauche daher eine zweite Grüne Revolution, mahnt die FAO, denn die Erntesteigerungen müssen unter stetig schlechteren Bedingungen erzielt werden. Neue Nutzpflanzen sind nötig, die Dürre oder Fluten vertragen, die zugleich genügsam sind und mehr Ertrag abwerfen.
Laut Berechnungen von Agrarexperten reichten die heutigen Produktionskapazitäten eigentlich aus, um neun Milliarden Menschen zu ernähren. Allerdings müssten dann die Tische der Welt anders gedeckt werden - mit einer sehr fleischarmen Kost. Lebte stattdessen jeder Mensch auf dem Konsumniveau eines Europäers, wären drei Planeten nötig, um den Lebensmittelbedarf aller zu decken.
Vor allem die Menschen in den Industrieländern müssten also ihre Ernährungsgewohnheiten umstellen, um die Lebensmittelkrise zu mildern. Noch sieht es jedoch eher nach der umgekehrten Entwicklung aus: Mit steigendem Wohlstand in Schwellenländern wie Indien oder Brasilien steigen die Ansprüche - die Menschen passen sich westlichen Ernährungsgewohnheiten an.
In China etwa wird sich im Vergleich zu 1995 der Fleischverbrauch bis 2020 verdoppeln. Die Nachfrage nach Reis, dem wichtigsten Grundnahrungsmittel des Landes, steigt hingegen bisher kaum. Die FAO schätzt, dass sich der Fleischbedarf weltweit bis 2050 verdoppeln wird.
Fleisch ist teuer und aufwendig zu erzeugen. Schon heute werden etwa 40 Prozent der globalen Getreideernte an Vieh verfüttert. Nur verwerten Tiere das Futter ineffizient. Ein Rind braucht etwa sieben Kilogramm Getreide, um ein Kilogramm Fleisch anzusetzen. Eine Tonne Protein aus Erbsen zu gewinnen, kostet einen Landwirt 1,3 Hektar Land und 185Kubikmeter Wasser.
Um die gleiche Menge Eiweiß aus Schweinefleisch zu gewinnen, braucht es einen wesentlich höheren Einsatz: Es müssten 125 Schweine mit etwa 50 Tonnen Pflanzen gefüttert werden, die 11421 Kubikmeter Wasser verbrauchten und auf 12,4 Hektar Land angebaut werden müssten.
Eine wachsende Weltbevölkerung benötigt nicht nur mehr Lebensmittel , sondern auch viel Platz: Städte werden sich auf Kosten landwirtschaftlich nutzbarer Flächen ausdehnen. Durch Überanspruchung, durch Erosion und Verbauung geht Boden verloren. Verbleibende Flächen sind durch jahrzehntelange intensive Nutzung oft ausgelaugt.
Auch mehr Dünger, mehr Pestizide können die Erträge vielerorts nicht mehr steigern. 1960 waren weltweit noch 4300 Quadratmeter Ackerland pro Kopf verfügbar, 2005 waren es noch 2300 und bis 2030 werden es nur noch 1800 Quadratmeter sein. Die Energiekrise verschärft das Problem: Etwa zehn Prozent der weltweiten Maisernte werden zu Bio-Sprit statt zu Lebensmitteln verarbeitet.
Zuletzt entsteht Hunger auch durch ein Verteilungsproblem. "Argentinien verbrennt seinen Getreideüberfluss, Amerika lässt in den Speichern sein Korn verfaulen, Kanada hat mehr als zwei Millionen Tonnen Getreide übrig - und in Russland sterben Millionen vor Hunger." Es war 1921, als der spätere Friedensnobelpreisträger Fridtjof Nansen so klagte. Dass sich daran bis heute kaum etwas geändert hat, macht wenig Hoffnung.