Emotionen:Die Trauer und der Tod

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Gram, Verbitterung und der Verlust eines geliebten Menschen können töten. Selbst Gesunde haben negative Emotionen schon aus dem Leben gerissen.

Werner Bartens

Hugo von Hofmannsthal wollte am 15. Juli 1929 zur Beerdigung seines Sohnes. Ein schwerer Gang, denn Franz hatte sich mit nur 26 Jahren erschossen. Hofmannsthal erreichte die Trauergesellschaft nie. Noch im Haus erlitt der 55-Jährige einen Schlaganfall, an dem er bald starb. Es ist nicht erwiesen, aber naheliegend, dass der für seine einfühlsamen Gedichte bekannte Hofmannsthal an dem Schmerz zerbrach, den ihm der Verlust seines Sohnes bereitete.

Trauer kann krank machen. (Foto: Getty Images)

Schwere Schicksalsschläge, wie der Tod geliebter Menschen, können tödlich sein. "Tod durch Hoffnungslosigkeit und negative Erwartungen ist eine Steigerung des bekannten Zusammenhangs von Depression und Herztod", sagt Peter Henningsen, Chef der Psychosomatik an der TU München. "Symptome wie Todesphantasien oder Schwarzsehen sind ja eindeutig Elemente von Depressivität."

Bei Menschen, die bereits schwer krank sind, können Trauer und Gram den Gesundheitszustand weiter verschlechtern. War es bei dem Grünen-Politiker Sepp Daxenberger so, der seit Jahren an Blutkrebs litt und drei Tage nach seiner Frau starb? Es wäre vermessen, darauf eine eindeutige Antwort zu geben.

In der Medizin gibt es etliche Fallberichte, die dafür sprechen, dass Trauer und Verlust den tragischen Verlauf einer Krankheit beschleunigen. "Schlechte Neuigkeiten fördern schlechte Physiologie", sagt Clifton Meador von der Vanderbilt-Universität. Er berichtet von einem Patienten, bei dem fortgeschrittener Krebs diagnostiziert wurde. Der Kranke, seine Familie und auch seine Ärzte glaubten, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Der Kranke hielt sich an die Prognose und starb Wochen später. Als der Leichnam untersucht wurde, war der Tumor klein geblieben und hatte keine Metastasen gebildet. "Der Mann starb nicht an Krebs, sondern daran, dass er glaubte, an Krebs zu sterben", sagt Clifton Meador. "Wird man von allen behandelt, als ob man bald sterben müsse, glaubt man das irgendwann. Alles im Leben dreht sich dann nur noch um das Sterben."

Der amerikanische Kardiologe und Friedensnobelpreisträger Bernard Lown schildert eine Visite mit einem schlecht gelaunten Chefarzt. Dieser hatte zu seinen Ärzten gesagt, dass es sich bei der Patientin vor ihnen nur um einen Fall von TS handeln könne. TS steht im Mediziner-Jargon für Trikuspidalklappen-Stenose, eine meist harmlose Verengung einer Herzklappe. Die Patientin sagte nach der Visite zu Lown, der damals noch Assistent war: "Das ist das Ende" - TS müsse "terminale Situation" heißen. Sie habe verstanden, was die Ärzte sich in ihrer Fachsprache zugeraunt hätten. Obwohl Lown der Dame sagte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche und die Abkürzung erklärte, verschlechterte sich ihr Zustand. Als der Chefarzt eintraf und die Patientin aufklären und beruhigen wollte, war sie bereits gestorben.

Wie schädlich Trauer und negative Erwartungen sind, konnten auch amerikanische Psychologen zeigen. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, an einem Herzschlag zu sterben, für Frauen dreimal so hoch, wenn sie sich für besonders anfällig für einen Infarkt halten. "Depressionen und negative Gefühle erhöhen bei allen Menschen die Gefahr für Infarkte so stark wie Bluthochdruck", sagt Karl-Heinz Ladwig von der TU München. Erschöpfung und negative Gefühle in den sechs Monaten zuvor seien so typisch für einen drohenden Infarkt, dass Ärzte den seelischen Beschwerden viel mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.

Aus medizinischen Berichten ist sogar überliefert, dass auch vermeintlich Gesunde vor Kummer oder Angst sterben. In Indien wurde in den 1930er Jahren ein makabres Experiment an einem zum Tod durch den Strang verurteilten Verbrecher zugelassen. Ein Arzt überzeugte den Gefangenen, dass Verbluten schmerzfreier und daher angenehmer für ihn sei. Der Gefangene willigte ein, ließ sich an sein Bett fesseln und die Augen verbinden. Der Arzt hatte Wasserbehälter vorbereitet, die er so an den Bettpfosten anbrachte, dass Wasser in Schüsseln auf dem Boden tropfte. Der Mediziner ritzte die Haut des Gefangenen an Händen und Füßen geringfügig ein, sodass er kaum verletzt wurde. Im selben Moment ließ der Arzt das Wasser tropfen.

Der Gefangene fühlte sich bald schwächer. Der Arzt stimmte einen monotonen Singsang an. Als das Wasser in die Schüsseln getropft war, hatte der Arzt den Eindruck, dass der Gefangene in Ohnmacht gefallen war, obwohl es sich um einen gesunden Mann handelte. Der Arzt irrte. Der Gefangene war gestorben, dabei hatte er kaum Blut verloren.

Manchmal überleben Sterbenskranke nicht kürzer, sondern länger, als Ärzte vermuten. Sie verbringen Weihnachten, den eigenen Geburtstag oder ein anderes Ereignis noch im Familienkreis. Solche Vorkommnisse prägen sich ein. Deshalb wird häufig davon erzählt, dass Menschen dem Tod ein Schnippchen schlagen konnten, auch wenn dies statistisch die Ausnahme ist. Leiden treten an jedem Tag auf, an Feiertagen sogar häufiger, weil Stress dem belasteten Organismus den Rest geben kann. Der eigene Geburtstag ist vor allem bei Männern mit einer höheren Infarktquote verbunden.

Um den Zusammenhang zu prüfen, haben Krebsforscher der Universität Ohio Todesbescheinigungen von 300.000 Menschen ausgewertet, die an Krebs gestorben waren. Um vielfältige Anlässe für einen möglichen Aufschub zu erfassen, untersuchten die Forscher, wie viele Menschen um Weihnachten, Thanksgiving und den eigenen Geburtstag gestorben waren. Vor keinem dieser Ereignisse gab es weniger Todesfälle. Unter den Schwarzen starben vor Thanksgiving sogar mehr Menschen, unter den Frauen kam es zu mehr Todesfällen vor dem eigenen Geburtstag.

In Einzelfällen mag es möglich sein, dem Tod ein paar Tage abzutrotzen. In der Statistik fällt das zwar nicht mehr auf, in den Erinnerungen und Erzählungen werden diese Ausnahmen jedoch betont.

© SZ vom 20.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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