Ehec-Quelle:Zweifel an der Sprossen-Theorie wachsen

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Verbreitet sich der lebensbedrohliche Ehec-Erreger über Pflanzensprossen? Die niedersächsischen Behörden geben sich sicher, eine Meldung aus Hessen scheint ihnen recht zu geben, doch erste Untersuchungen und Patientenbefragungen lassen Zweifel aufkommen. Ehec alarmiert inzwischen auch die EU-Agrarminister, SPD und Grüne zerpflücken derweil das Krisenmanagement der Regierung.

Zuerst waren spanische Gurken unter Verdacht sowie Tomaten, Salat - und nun Sprossen: Behörden und Wissenschaftler sind dem Ursprung des Ehec-Erregers auf der Spur. Doch sicher ist noch nichts. Erste Untersuchungen und Patientenbefragungen lassen zumindest Zweifel an der Theorie von Sprossen als Quelle der Erkrankungen aufkommen. So sind die ersten 23 von 40 untersuchten Sprossen-Proben aus dem verdächtigen Betrieb in Bienenbüttel (Kreis Uelzen) Ehec-frei.

Sprossen unter Verdacht: Ist der Ursprung der Ehec-Erkrankungen ausgemacht - oder nicht? (Foto: dpa)

Zweifel an Sprossen als Quelle der Ehec-Erkrankungen nähren auch Patientenbefragungen an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). "Ich habe heute morgen mit zwei Patienten gesprochen, die sich nicht daran erinnern können, Sprossen gegessen zu haben", sagte der MHH-Nierenspezialist Jan Kielstein.

Bei der Aufnahme in die Klinik werden die Patienten, die sich mit dem aggressiven Darmkeim infiziert haben, ausführlich nach ihren Ernährungsgewohnheiten befragt. "Das Wort Sprossen ist dort nie explizit in Erscheinung getreten", sagte der Mediziner.

Keinen direkten Hinweis geben auch Stuhlproben der Mitarbeiter im Lübecker Restaurant "Kartoffelkeller". Über einen Möllner Zwischenhändler hatte das Lokal Sprossen des verdächtigen Biohofs in Niedersachsen bezogen. "Die Proben der elf Mitarbeiter in der Küche, die direkten Kontakt mit den Lebensmitteln haben, sind negativ", sagte Inhaber Joachim Berger der Nachrichtenagentur dpa. Die Untersuchung eines Labors in Lübeck habe ergeben, dass keiner der Mitarbeiter mit dem Darmkeim infiziert sei.

Berlins Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) warnte bei der Suche nach der Quelle des Ehec-Erregers vor voreiligen Schlüssen. "Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen, es gelten weiterhin besondere Vorsicht bei frischem Gemüse und die entsprechenden Hygienemaßnahmen", sagte sie. Auffällig sei aber, dass sich viele der Erkrankten in Norddeutschland infiziert hätten.

Allerdings gibt es auch Indizien, die für die Sprossen-Theorie sprechen: "Es gibt eine Handelsbeziehung aus Niedersachsen nach Hessen", sagte der Sprecher des hessischen Verbraucherministeriums, Thorsten Neels, in Wiesbaden. Auch die Kantinen in Darmstadt und Frankfurt, in denen sich zahlreiche Menschen mit dem Keim angesteckt haben, waren demnach mit den Sprossen beliefert worden.

Nachdem am Sonntag bekanntgeworden war, das Sprossen möglicherweise eine Ursache der Ehec-Erkrankungen sein könnten, wurden nach Angaben von Berger alle Sprossenvorräte in dem Restaurant versiegelt oder vernichtet. Das Gesundheitsamt Lübeck nahm außerdem eine Lebensmittelprobe.

Angeblich keine Tierdüngernutzung auf verdächtigem Hof

Das niedersächsische Agrarministerium ist ungeachtet skeptischer Stimmen nach eigenen Angaben sicher, dem Ursprung der Ehec-Erreger auf die Spur zu sein. Man sei überzeugt, die Hauptquelle oder zumindest eine Hauptquelle für die Infektionen gefunden zu haben, sagte ein Sprecher in Hannover.

Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) hatte am Sonntag mitgeteilt, Sprossen aus einem Betrieb in Uelzen seien direkt oder über Zwischenhändler an gastronomische Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Niedersachsen aber auch an Wochenmärkte geliefert worden. Die Firma wurde gesperrt und die Ware zurückgerufen.

Erste Ergebnisse der Untersuchungen von Proben aus dem Saatgutbetrieb in Bienenbüttel im Landkreis Uelzen sollen am frühen Nachmittag veröffentlicht werden. Allerdings sei es durchaus möglich, dass bei den Tests keine Ehec-Erreger mehr gefunden würden. Parallel würden daher die Vertriebswege weiter erforscht. "Die detektivische Kleinarbeit geht weiter", sagte er.

Der Geschäftsführer des unter Verdacht stehenden "Gärtnerhofs" Bienenbüttel, Klaus Verbeck, sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, er könne sich keinen Reim auf die Vorgänge und Vorwürfe machen. Die Sprossen wüchsen nur aus Saatgut und Wasser und würden nicht gedüngt. Auch in anderen Geschäftsbereichen des Hofes werde kein tierischer Dünger verwendet, nicht einmal Hornmehl.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte am Sonntagabend in der ARD, es gebe starke und deutliche Hinweise, dass der Betrieb eine Infektionsquelle sei. Es müsse aber die Bestätigung der Labortests abgewartet werden. Valide Informationen lägen möglicherweise erst Dienstag vor. Bis dahin könne es keine Entwarnung geben. Bahr riet den Bürgern, neben rohen Gurken, Tomaten und Blattsalaten auch Sprossen zu meiden.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kritisierte in der Berliner Zeitung, fehlendes Krisenmanagement bei der Bundesregierung: "Ich frage mich, was der Gesundheitsminister und die Verbraucherministerin eigentlich machen." SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann monierte, Ministerien, Kliniken und Gesundheitsämter arbeiteten "unkoordiniert nebeneinander her".

Außerordentliches Treffen der Agrarminister

Die EU-Agrarminister wollen angesichts der grassierenden Ehec-Welle an diesem Dienstag kurzfristig über Hilfen für Bauern entscheiden. Das sagten EU-Diplomaten am Rande eines Treffens der europäischen Gesundheitsminister in Luxemburg. Der Druck auf die Agrarpolitiker war zuletzt wohl so stark geworden, dass sie das Treffen vorverlegt haben.

Eigentlich wollten die Agrarminister erst in knapp zwei Wochen zu der außerordentlichen Sitzung zusammenkommen. Nun sollen schon am Dienstag in Luxemburg mögliche Entschädigungen für europäische Obst- und Gemüsebauern abgesegnet werden. Spanische Bauernverbände hatten die Verluste für Landwirte auf 200 Millionen Euro pro Woche beziffert. Nach Russland hat in der vergangenen Woche auch der Libanon ein Importverbot auf Gemüse aus der gesamten Europäischen Union verhängt.

© dapd/dpa/Reuters/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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