Warnschuss nennt Donald Yeomans das, was der Erde am Freitag bevorsteht. Unzählige Asteroiden hat der Leiter des Programms für erdnahe Objekte beim Jet Propulsion Laboratory schon kommen und gehen sehen. Der Brocken, der am Freitagabend auf die Erde zurast, ist aber selbst für Yeomans etwas Besonderes: Einen so großen und zugleich so nahen Besucher hat es seit Beginn der systematischen Überwachung des Weltalls in den 1990er-Jahren nicht gegeben. "Es ist fast so, als wolle die Natur der Erde noch mal einen vor den Bug knallen und damit auf die vielen Asteroiden ganz in unserer Nähe hinweisen", sagt Yeomans. "Wir sollten die Warnung ernst nehmen."
Gefahr geht von dem felsigen Himmelskörper, den Astronomen "2012 DA14" getauft haben, zwar keine aus - weder für den Blauen Planeten noch für die Satelliten, denen er bis auf wenige Tausend Kilometer nahe kommt. Der Asteroid macht aber einmal mehr deutlich, dass sich die Menschheit im Universum nicht zu sicher fühlen sollte. Sie steht unter ständigem Bombardement: Etwa 100 Tonnen Material regnen täglich aus dem Weltall auf den Planeten herab; das meiste verbrennt in der Atmosphäre. "Einmal am Tag kommt zudem ein Objekt von der Größe eines Basketballs herunter", sagt Yeomans. "Brocken vom Format eines Kleinwagens sind alle paar Wochen dabei."
Besucher mit den Ausmaßen von 2012 DA14, dessen Durchmesser Astronomen auf 45 Meter schätzen, bleiben trotzdem eine Besonderheit. Etwa alle 40 Jahre kommt es zu einem ähnlich nahen Vorbeiflug, alle 1200 Jahre begibt sich ein vergleichbar großer Brocken auf Kollisionskurs mit der Erde - zumindest rein rechnerisch. Allerdings fällt auch der Asteroid, der im Juni 1908 die Region um den mittelsibirischen Fluss Tunguska verwüstete, in diese Größenordnung. Der desaströse Himmelskörper schlug damals zwar nicht auf der Erde ein, bei seiner Explosion in wenigen Kilometern Höhe knickte er aber Bäume im Umkreis von 30 Kilometern um.
Würde 2012 DA14 auf die Erde treffen, dann hätte er eine ähnlich verheerende Wucht. Mit einer geschätzten Masse von 140.000 Tonnen kann der kosmische Geisterfahrer eine Sprengkraft von 2,4 Millionen Tonnen TNT entwickeln - mehr als 180-mal so viel wie die Atombombe, die einst Hiroshima zerstört hat.
Der Erde näher als Fernsehsatelliten
2012 DA14 trifft die Erde aber nicht: Wenn der Asteroid am Freitag um 20.24 Uhr deutscher Zeit dem Planeten am nächsten kommt, wird er noch immer einen respektvollen Abstand von 27.700 Kilometern zur Oberfläche einhalten. Er ist der Erde dann allerdings näher als die Fernsehsatelliten, die zur gleichen Zeit von seinem Vorbeiflug berichten. Sie ziehen ihre Bahnen in etwa 35.800 Kilometern Höhe. Eine Gefahr für die Trabanten besteht dennoch nicht: Die geostationären Kommunikationssatelliten kreisen allesamt in der Äquatorebene, die Bahn von 2012 DA14 ist dagegen stark geneigt.
Jonathan McDowell, Astronom an der Harvard-Universität im amerikanischen Cambridge, hat errechnet, dass während des Vorbeiflugs mindestens 8000 Kilometer zwischen dem Asteroiden und dem nächsten Satelliten (einem GPS-Sender der Amerikaner) liegen werden.
Wer beim Besuch von 2012 DA14 auf ein kosmisches Feuerwerk hofft, dürfte allerdings enttäuscht werden. Der Asteroid ist klein und lichtschwach, zudem saust er mit 28.000 Kilometern pro Stunde durchs All. Pro Minute legt er dadurch eine Strecke zurück, die zwei Durchmessern des Vollmonds entspricht. Mit einem Feldstecher oder einem kleinen Teleskop dürften deshalb allenfalls erfahrene Hobbyastronomen erfolgreich sein.
Weniger als zehn Prozent der erdnahen Objekte sind bekannt
Die US-Raumfahrtbehörde Nasa will dagegen drei große Radar- und Radioteleskope auf den himmlischen Raser richten, um seine Größe, Zusammensetzung und Rotation zu erkunden. Die Daten sollen helfen, den künftigen Kurs des Himmelskörpers besser abschätzen zu können. Denn Asteroiden, auch das zeigt 2012 DA14, sind immer für eine Überraschung gut.
So ist der aktuelle Besucher erst im vergangenen Februar nach seinem damaligen Vorbeiflug an der Erde aufgefallen. Entdeckt hat ihn eine Gruppe spanischer Amateurastronomen - unterstützt von der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. Den systematischen Suchprogrammen der Nasa war er dagegen entwischt. Inzwischen arbeiten auch die Europäer an einem eigenen Programm, um den Himmel gezielt abzusuchen. "Gemeinsam mit den weltweiten Bestrebungen ist es unser Ziel, Objekte mit einer Größe von mehr als 40 Metern mindestens drei Wochen vor ihrer größten Annäherung zu entdecken", sagt Esa-Programmmanager Nicolas Bobrinsky.
Und es gibt viel zu entdecken: Astronomen vermuten, dass bislang weniger als zehn Prozent der erdnahen Objekte bekannt sind. Dort draußen können also noch viele Asteroiden herumkurven, die der Erde so nahe wie 2012 DA14 kommen können. Oder näher. Für Donald Yeomans, den Asteroidenjäger, ist die Aufgabe daher klar. In einem Gastkommentar für die New York Times schreibt er: "Wir müssen die Asteroiden finden - bevor sie uns finden."