Invasive Arten:Experten halten Asiatische Hornisse für nicht gefährlich

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Die Asiatische Hornisse (Vespa velutina nigrithorax) frisst mit Vorliebe Honigbienen. (Foto: imago images/Nature Picture Library)
  • Die Asiatische Hornisse siedelt sich derzeit in Deutschland an.
  • Die Europäische Kommission schätzt das Insekt als gefährlich für die Honigbiene und für Ökosysteme ein.
  • Experten sagen, dass es dafür bisher keine wissenschaftlichen Hinweise gebe.

Von Judith Blage

Der Raubzug einer Hornisse ist durchaus beeindruckend: Ein tief brummendes, scheinbar träges Insekt stürzt sich blitzschnell auf eine deutlich kleinere Biene. Es packt sie fest, nach einem erstaunlich lauten, hektisch summenden Gerangel kullert der Kopf der Biene ins Gras. Die Hornisse rollt ihre kopflose Beute in ein handliches Format und fliegt mit ihr davon. So viel Gewalt traut man einem so kleinen Tier gar nicht zu. Hornissen jagen rabiat und können stechen - und wirken wohl deshalb bedrohlich auf viele Menschen.

Kein Wunder, dass eine gerade in Europa stattfindende Invasion Ängste auslöst: Die Asiatische Hornisse (Vespa velutina nigrithorax), eine Verwandte der europäischen Hornisse, siedelt sich gerade in Deutschland an. Die Art hat bereits weite Regionen in Ländern mit mildem Klima wie Spanien, Portugal, Italien und den Süden Großbritanniens erobert, in Frankreich gilt sie als etabliert. Die Europäische Kommission schätzt die Asiatische Hornisse als gefährlich für die Honigbiene und sogar für ganze Ökosysteme ein und hat sie auf die Liste der invasiven Arten gesetzt. In Frankreich stellen Imker Fallen auf, im Internet kursieren Ratschläge, wie man die "Monster" oder "Killerhornissen" möglichst effizient bekämpft.

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Dabei sind Wissenschaftler keineswegs in Panik: "Die Asiatische Hornisse ist weder ein 'Monster', noch haben wir aktuell Hinweise darauf, dass sie besonders gefährlich ist", sagt der deutsche Insektenkundler und Wespenexperte Rolf Witt. Allerdings erstaunt die Eroberungsgeschwindigkeit des Insekts die Forscher enorm. Französische Untersuchungen ergaben eine durchschnittliche Verbreitungsgeschwindigkeit von 78 Kilometern im Jahr. Womöglich reisen die Hornissen noch viel schneller, indem sie zum Beispiel in Blumenkübeln versteckt, in Autos oder auf Lkw mitfahren.

Ursprünglich stammt die dunkel gefärbte Hornisse, die etwas kleiner ist als die europäische Art, aus China und Südostasien und ist im Jahr 2005 mit asiatischen Importwaren nach Frankreich gelangt. Von dort aus ist das Tier so weit in den Norden vorgedrungen wie noch nie: Erst im Februar entdeckten Insektenkundler ein einzelnes Insekt in Hamburg, kurz darauf bestätigten sie den Fund eines Nests und mehrerer Dutzend Tiere.

"Das war eine große Überraschung, denn eigentlich ist die Art wärmeliebend. Das Klima in Norddeutschland haben wir eigentlich als zu rau eingeschätzt", sagt Martin Husemann, Insektenkundler vom Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg. Der Biologe beschrieb die Funde im Fachjournal Evolutionary Systematics. Zuvor hatte es nur wenige Nachweise über ein Vorkommen in klimatisch milden Gebieten in Rheinland-Pfalz und Hessen gegeben.

"Da wir mehrere Tiere in Norddeutschland gefunden haben, können wir ausschließen, dass es sich nur um ein einzelnes, über den Hafen eingeschlepptes Insekt handelt", sagt Husemann. Die Hornissen sind also dabei, sich anzusiedeln. Ob sie dauerhaft in Norddeutschland bleiben werden, kann der Biologe noch nicht einschätzen. "Da die Art früh nistet, werden wir schon bald sagen können, ob die Königinnen über den Winter gekommen sind." Für Deutschland allgemein werde die dauerhafte Etablierung wohl nicht zu verhindern sein.

Für Menschen ist die Hornisse nicht bedrohlich, doch sie frisst gerne Honigbienen

Nun spekulieren viele Imker und Insektenkundler über die Gefährlichkeit der Hornisse. Die EU-Kommission hat sie unter 14 000 nichtheimischen Tier- und Pflanzenarten in die Gruppe der 66 gefährlichsten Einwanderer eingestuft. Sie gilt als "gebietsfremde, invasive Art von unionsweiter Bedeutung". Damit ist jedoch nicht die Gefährlichkeit für Menschen gemeint. "Ihr Gift ist nur ein Zehntel so stark wie das von Honigbienen, und sie ist auch nicht aggressiver als heimische Wespenarten", betont Wespenexperte Rolf Witt. Die Einstufung als gefährliche Art beruht auf der Tatsache, dass sie gerne Honigbienen frisst. Der wissenschaftliche Dienst der EU gibt an, dass die Asiatische Hornisse in einzelnen Stöcken bis zu 14 000 Honigbienen pro Monat getötet hat - die Hornisse sei also eine dramatische Gefahr für die nützlichen Insekten, die ohnehin unter Krankheiten und Parasiten leiden.

"Diese Einschätzung sehe ich sehr kritisch", sagt Witt. Bislang ist er einer der ganz wenigen deutschen Entomologen, der eine Asiatische Hornisse überhaupt schon einmal lebendig gesehen hat. Er steht in Kontakt mit französischen Forschern, die immerhin über einige wenige wissenschaftliche Daten verfügen. "Es gibt einen Riesenbohei um die Hornisse. Insgeheim bezeichne ich soziale Faltenwespenarten, zu denen die Asiatische Hornisse gehört, als Tiger Deutschlands. Diese Tiere werden viel gefährlicher eingeschätzt, als sie sind." Dafür, dass das fernöstliche Insekt hiesige Ökosysteme gefährde, gebe es keine wissenschaftlichen Hinweise - auch in Frankreich nicht.

Wenn die Insekten als gefährlich eingestuft sind, können Imker Entschädigung beantragen

Andere Insektenkundler wie Martin Husemann oder der Entomologe Christian Schmid-Egger von der Zoologischen Staatssammlung München teilen Witts Sichtweise. Zwar könnten Hornissenangriffe bereits geschwächten Bienenvölkern durchaus den Garaus machen. "Das betrifft jedoch nur wenige Völker und ist nicht die Regel", sagt Schmid-Egger. Ökosysteme seien im Übrigen immer dynamisch - viele Abläufe regulieren sich ständig neu.

Rolf Witt vermutet, dass die EU-Kommission die Hornisse als so gefährlich eingestuft habe, weil viele südeuropäische Imker sich dafür eingesetzt hätten. Die Honigbiene ist schließlich auch ein Wirtschaftsfaktor. "In Frankreich gibt es viele Berufsimker, und sie haben dort einen besonderen Stand in der Gesellschaft." Wenn die Asiatische Hornisse auf der EU-Liste der Top-Gefährder steht, können Berufsimker Entschädigungen beantragen.

Zu der unverhältnismäßig ängstlichen Sichtweise auf die Einwanderung der Asiatischen Hornisse trägt zusätzlich ein noch immer weitverbreiteter Irrtum bei: Dass die europäische Honigbiene auszusterben droht. Tatsächlich ist die Honigbiene ein Zuchttier, wie es beispielsweise das Hausrind ist. Und die Zahl der Honigbienenvölker in Deutschland steigt seit Jahren an, auch weil sich wieder mehr Menschen für die Imkerei interessieren - und weil Bienenrassen, die gegen Parasiten wie die Varroamilbe resistenter sind, gezüchtet werden können.

Durch den Kampf gegen die Asiatische Hornisse könnten viele heimische Insekten getötet werden

Allerdings geht von vielen invasiven Arten tatsächlich eine Gefahr aus. Sie können einheimische Arten verdrängen oder natürliche Abläufe durcheinanderbringen, wie das zum Beispiel beim Grauhörnchen oder dem Drüsigen Springkraut der Fall ist.

Obwohl es bislang keine Hinweise gibt, dass die Asiatische Hornisse gefährlich ist, steht sie deshalb unter Beobachtung. Die Finder eines Nests oder einzelner Tiere sollten unbedingt die regional zuständige Naturschutzbehörde informieren. Allerdings sollte man keine Fallen aufstellen oder versuchen, die Insekten selbst zu beseitigen. Unter anderem deshalb, weil sie leicht mit der in Deutschland heimischen Hornisse zu verwechseln ist, die unter Naturschutz steht. "Um viele Wildbienenarten und andere Insekten in Deutschland steht es wirklich dramatisch", betont Witt. Er befürchtet, dass im Kampf gegen die Asiatische Hornisse sozusagen als Kollateralschaden auch viele einheimische Insekten getötet werden. Wie schnell das passieren kann, zeigt eine Untersuchung aus Frankreich. Im Raum Bordeaux stellten Imker demnach Fallen für Asiatische Hornissen auf. Das Ergebnis: Mehr als tausend Insekten starben pro Falle - im Schnitt waren nur acht Asiatische Hornissen dabei.

© SZ vom 26.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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