Amerika:Zweimal besiedelt

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Die Ahnen der heutigen amerikanischen Ureinwohner waren möglicherweise nicht die ersten Siedler auf dem Kontinent. Das zeigt eine Untersuchung von Schädeln aus der Neuen Welt und Asien.

Die ersten Menschen, die die "Neue Welt" besiedelt haben, sind möglicherweise nicht die Vorfahren der heute noch lebenden Ureinwohner Amerikas. Vielmehr könnte der Kontinent zweimal besiedelt worden sein. Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler der Universität Tübingen, der chilenischen Universidad Católica del Norte und der Universidade de Sao Paulo in Brasilien aufgrund ihrer Studie von Menschenschädeln.

Wurde Amerika zweimal besiedelt? Mit blauen Punkten sind die heutigen modernen Menschenpopulationen dargestellt. Rote Punkte markieren die verwendeten Proben von Paläoamerikanern. Der dunkelrote Punkt (Upper Cave) steht für die Proben von Funden früher moderner Menschen aus Ostasien. (Foto: M. Hubbe, W.A. Neves, K. Harvati)

Katerina Harvati, Mark Hubbe und Walter Neves haben etwa 70 Schädel aus Süd- und Mittelamerika mit einem Alter von 7500 bis 11.500 Jahren untersucht und mit etwa 1000 Schädeln von Uramerikanern, Ostasiaten und Australo-Melanesiern mit einem alter von bis zu 1000 Jahren verglichen.

Wie sie im Fachmagazin Plos ONE berichten, testeten die Forscher mit ihren Daten unterschiedliche Modelle der Besiedelung Amerikas. Ein Szenario geht zum Beispiel von einer einzigen Einwanderungswelle von Menschen aus, deren Nachfahren sich danach über lange Zeit an die Umwelt angepasst und deren Schädel sich deshalb verändert hätten. Für dieses Szenario sprechen bislang vor allem Genanalysen.

Doch "wir haben festgestellt, dass sich die Unterschiede zwischen frühen und heutigen Gruppen amerikanischer Ureinwohner besser mit der Annahme eines zweifachen Besiedelungsszenarios in Einklang bringen lassen als mit jeder andere Hypothese", schreiben die Fachleute.

"Die Unterschiede zwischen den Menschengruppen sind so groß, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die frühesten Bewohner der Neuen Welt die direkten Vorfahren der heutigen Populationen amerikanischer Ureinwohner sind."

Wahrscheinlich, so ihr Fazit, sind die ersten Einwanderer aus Nordostasien über die Beringstraße auf den Kontinent gelangt, wo sie sich in Süd- und Zentralamerika ausbreiteten.

Die Ahnen der heutigen Ureinwohner Südamerikas waren möglicherweise nicht die ersten Amerikaner. (Foto: dpa)

Diese Menschen aber besaßen nicht die besonderen Schädelmerkmale, die heutige Uraneinwohner auszeichnen. Diese gehen vermutlich auf eine zweite Gruppe von Einwanderern zurück, die ebenfalls aus Asien gekommen waren - die Ahnen der heutigen Ureinwohner.

Völlig ausschließen wollen die Forscher eine einmalige Einwanderung allerdings nicht. Ihre Studie zeige aber auf jeden Fall, "dass die Prozesse, die zur Besiedlung Amerikas geführt haben, komplexer sind, als es zuvor häufig dargestellt wurde".

Die Unterschiede ihrer Ergebnisse und derjenigen der meisten genetischen Studien "belegen eine große Lücke in unserem Verständnis bezüglich der Besiedlung der Neuen Welt", schreiben die Wissenschaftler. Sie vermuten, diese Unterschiede könnten darauf zurückgehen, dass sie für ihre Untersuchung altes und neues Material - also Schädel und ihre Formen - berücksichtigen konnten, während die Genanalysen auf neuere Proben beschränkt sind.

Nicht alle Fachleute sind überzeugt. So ist die Zahl der untersuchten Schädel relativ klein, um sie stellvertretend für die vielfältigen Populationen der amerikanischen Ur- und Frühgeschichte zu betrachten. Und manche Experten gehen sogar davon aus, dass nicht eine oder zwei Einwanderungswellen stattgefunden haben, sondern drei oder vier.

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