Eine ländliche Gegend nahe Freising, etwa 30 Kilometer nördlich von München. Langgestreckte Mais- und Weizenfelder reihen sich an weitläufige Wiesenflächen, nur sporadisch getrennt von einigen Bäumen oder Sträuchern. Und dann ist da diese Weide, die geschätzt alle 50 Meter von einem breiten Streifen Pappeln durchzogen ist und mehr an einen künstlich angelegten Schlossgarten erinnert als an Landwirtschaft. Im Vergleich zu den anderen Feldern wirkt sie reichlich unnatürlich.
Nicht weit davon entfernt sitzt Josef Braun an seinem Küchentisch und schüttelt energisch den Kopf. "Eigentlich ist es genau andersherum", sagt er. "Eigentlich ist diese Art der Bewirtschaftung die natürlichste überhaupt - und über kurz oder lang für die Landwirte alternativlos." Agroforst nennt sich diese Form der Bewirtschaftung, und er, Braun, zählt in Deutschland zu den Pionieren. Der 61-jährige Biolandbauer, den alle nur Sepp nennen, begann zur Jahrtausendwende, mit Agroforstsystemen zu experimentieren.
Dabei werden meist schnell wachsende Baumarten wie Pappel, Weide und Erle in mehreren Reihen gepflanzt; mitunter auch Obstbäume, Sträucher oder Hecken. Der Abstand dieser Grünstreifen beträgt meist zwischen 60 und 100 Meter, kann individuell aber so variiert werden, um die dazwischenliegenden Ackerflächen angenehm bewirtschaften zu können. Auch Tierhaltung oder Gemüseanbau sind möglich. Zwischen den Sträuchern in Brauns Agroforst picken Hühner, während Rinder unter den Baumreihen Schatten finden.
Der Landwirt kehrt gewissermaßen zu den Wurzeln seines Fachs zurück, denn neu ist dieses Prinzip keineswegs. Vereinzelt finden sich noch Relikte früherer Bewirtschaftungsformen, wie etwa Streuobstwiesen oder Hutewälder. Letztere kommen vorwiegend in Hessen vor: Hierbei werden in lichten Wäldern Schweine, Hühner oder Rinder gehalten, die Tiere ernähren sich von Eicheln, Pilzen, Kräutern oder Früchten.
Mehr Feuchtigkeit, Nährstoffe und Humus: Das steigert langfristig auch die Erträge
"Jahrhundertelang waren Forst- und Landwirtschaft eng verzahnt", sagt Braun. Erst mit der Entwicklung von Traktoren und Mähdreschern vor wenigen Jahrzehnten habe sich dies geändert. "Je größer die Ackerflächen wurden, desto mehr Bäume verschwanden von den Feldern." Diesen Trend will der Landwirt umkehren. Mehr als 50 000 Bäume und Sträucher hat er auf seinen Feldern gepflanzt, was ihn energetisch autark macht: Das Holz wandelt er im eigenen Blockheizkraftwerk in Strom um, womit er Haus und Hof mit Energie versorgt. Die vom Kraftwerk abgegebene Wärme nutzt Braun zur Heutrocknung.
Aus gesellschaftlicher Sicht bieten Agroforste ökologische Vorteile. So verbessern Gehölzstreifen nachweislich das Mikroklima des Bodens. Sieben Jahre nach Etablierung eines Agroforstsystems im Kanton Luzern stellten Schweizer Forscher beispielsweise eine Steigerung der Humusbildung um knapp 20 Prozent fest. Andere Studien führten eine bessere Nährstoffversorgung und eine verringerte Nitratbelastung des Grundwassers auf gezielt gepflanzte Baumreihen zurück. Agroforste leisten zudem Beiträge zu Klima- und Artenschutz, indem sie mehr Kohlenstoffdioxid binden und Lebensraum für Insekten oder Vögel schaffen. Die Landwirte selbst können neue Einkommensquellen erschließen, etwa durch Verkauf von Obst und Gemüse.
Dann ist da noch die Wasserversorgung des Bodens, die durch Agroforste verbessert werden kann. Gerade diese Eigenschaft könnte die Bewirtschaftung in Zukunft mehr ins Blickfeld rücken. Denn angesichts des Klimawandels hat die Landwirtschaft mit immer größeren Problemen zu kämpfen, vor allem mit der zunehmenden Austrocknung der Böden. Wie Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung kürzlich warnten, könnten extreme Dürren in Mitteleuropa in den nächsten Jahrzehnten deutlich häufiger auftreten.
Vielerorts sind die Folgen bereits spürbar. Brandenburg ächzt unter dem dritten Dürresommer in Folge, auch Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen oder Thüringen kämpfen mit knochentrockenen Böden. Es ist vermutlich kein Zufall, dass Agroforstsysteme in diesen Regionen häufiger zu finden sind, denn im Vergleich dazu sind Bayern oder Baden-Württemberg meist noch mit ausreichend Regen gesegnet.
Doch müsste der Wasserbedarf nicht eher noch zunehmen, wenn man einen Teil der hüfthohen Weizengräser mit zehn Meter großen Weiden ersetzt, die ein Vielfaches an Wasser benötigen? Christian Böhm von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Agroforstsystemen. Er verweist auf Studien aus der afrikanischen Steppe, wonach ein moderater Baumbestand die Wasserinfiltration im Boden erhöhe. "Natürlich herrschen bei uns andere klimatische Bedingungen, aber das Prinzip kann man durchaus auf Deutschland übertragen", sagt Böhm.
Grundsätzlich verliert der Boden auf zwei Arten Wasser: Bei der Evaporation verdunstet das Wasser an der Bodenoberfläche, bei der Transpiration an der Blattunterseite. Als Hauptursachen für Evaporation gelten hohe Temperaturen, direkte Sonneneinstrahlung und vor allem durch Wind hervorgerufene Bodenverdunstung. Wie Untersuchungen von Böhms Team zeigten, können in Reihen gepflanzte Bäume oder Sträucher die Temperatur und Windgeschwindigkeit so weit senken, dass die verringerte Bodenverdunstung den zusätzlichen Wasserverbrauch durch die Gehölze übersteigt. Oder, wie Böhm es auf den Punkt bringt: "Auf die gesamte Agrarfläche gerechnet haben die Pflanzen letztendlich mehr Wasser zur Verfügung."
Mehr Feuchtigkeit, mehr Nährstoffe, mehr Humus: Diese Faktoren steigern langfristig die Bodenqualität, was sich in höheren Erträgen widerspiegelt. Das macht Agroforstsysteme erst rentabel, denn dadurch - so die Hoffnung - kann der gleiche Ertrag auf verringerter Fläche erzielt werden. Bei einer Feldstudie in Südfrankreich etwa konnte so auf 100 Hektar ein Ertrag erwirtschaftet werden, für den ohne Agroforste 140 Hektar nötig gewesen wären. Die Bäume nahmen dabei fünf Hektar ein.
Dennoch fristet diese Art der Bewirtschaftung in Deutschland ein Schattendasein. Der Deutsche Fachverband für Agroforstwirtschaft schätzt die Fläche aktiv betriebener Agroforstsysteme auf etwa 1000 Hektar - angesichts einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von mehr als 16 Millionen Hektar ein verschwindend geringer Anteil. Genaue Zahlen sind allerdings schwer zu ermitteln, was auch an der fehlenden rechtsverbindlichen Definition liegt. Im Rahmen des europäischen Agrarrechts wären Agroforstsysteme bereits seit 2007 förderfähig, doch anders als beispielsweise in Frankreich, wo der Anteil agroforstwirtschaftlicher Anlagen seither stark gestiegen ist, wurde die Verordnung in Deutschland nie in nationales Recht umgewandelt. Das erschwert es Landwirten, Grünstreifen anzulegen.
Bauern erhalten für ihre Flächen Direktzahlungen der EU - Bäume zählen dabei nicht
Jeder landwirtschaftliche Betrieb bekommt flächenbezogene Direktzahlungen. Bei einem Großteil möglicher Agroforstsysteme werden die Gehölzkulturen jedoch herausgerechnet. "Für eine künftig stärkere Umsetzung von Agroforstsystemen ist die Anerkennung des kompletten Agroforstsystems als landwirtschaftliche Nutzfläche von immens großer Bedeutung, da hierdurch nicht nur finanzielle Nachteile gegenüber Nicht-Agroforstflächen ausgeräumt werden, sondern auch ein wichtiger Beitrag zu mehr Rechtssicherheit geschaffen wird", sagt Christian Böhm.
Zumal derartige Anlagen in den ersten Jahren eine finanzielle Belastung für die Landwirte darstellen. Durch die verkleinerte Ackerfläche verringert sich zunächst die Ernte, Pflanzung und Pflege der Bäume verursachen Kosten, und durch die langfristige Bindung von Fläche und Kapital kann der Betrieb weniger flexibel agieren.
Ein breites Bündnis fordert daher, Agroforste in Deutschland finanziell zu unterstützen. Erst kürzlich reichten die Grünen im Bayerischen Landtag ein siebenteiliges Antragspaket ein, das mehr Förderung, Beratung und Forschung zu Agroforsten vorsah. CSU und Freie Wähler lehnten den Antrag jedoch in allen Punkten ab.
"Aufgrund der meist kleinteiligen Agrarlandschaften sind Agroforstsysteme in den meisten Gegenden Bayerns eher unpassend", sagt Martin Schöffel (CSU), stellvertretender Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses. Es gebe bereits viele kleine Flurstücke, die mit Hecken und Baumreihen getrennt seien. "In ausgeräumten Agrarlandschaften sehe ich dagegen den Bedarf, Hecken und Gehölzstrukturen zu etablieren." Zu Agroforstsystemen seien bereits ausreichend Forschungsprojekte im Gange und die Nachfrage seitens der Bauern sehr gering. Das zusätzliche Holz belaste zudem den überhitzten Holzmarkt. Von den ökologischen Vorteilen von Agroforstsystemen sei die Partei aber überzeugt.
Landwirt Braun bedauert die ablehnende Haltung der Politik, hat aber noch eine andere Idee: So könnten Lebensmittel aus Agroforsten mit einem besonderen Qualitätssiegel ausgezeichnet werden, damit Landwirte höhere Preise erzielen, findet Braun - und richtet einen Appell an seine Zunft: "Wartet's nicht auf den Staat, sondern fangt's endlich an, Bäume zu pflanzen!"