Wissenschaftler haben das Genom des Gorillas entschlüsselt. Damit ist die Zusammensetzung des Erbguts aller vier großen Primatengattungen, also Mensch, Gorilla, Schimpanse und Orang-Utan, bekannt. Und die Analyse wirft ein neues Licht auf die Evolution der Menschenaffen.
"Unsere Daten sind das letzte genetische Teil, das wir für das Puzzle gebraucht haben", sagte Richard Durbin, einer der Autoren der Studie vom britischen Sanger Institute nahe Cambridge, einer Einrichtung des gemeinnützigen Wellcome Trust.
Zwar bestätigen die Daten, dass nicht der Gorilla, sondern der Schimpanse der nächste Verwandte des Menschen ist. Der Gorilla steht dem Menschen jedoch näher als bisher angenommen.
So unterscheidet sich das menschliche Erbgut zu 1,37 Prozent vom dem des Schimpansen, zu 1,75 Prozent vom Gorilla und zu 3,4 Prozent vom Orang-Utan. Aber 15 Prozent des menschlichen Genoms sind dem des Gorillas ähnlicher als dem des Schimpansen. Umgekehrt teilen Schimpansen 15 Prozent ihrer Gene nur mit dem Gorilla - obwohl sie mit diesem weiter entfernt verwandt sind als mit dem Menschen.
"Gorillas sind nach den Schimpansen unsere nächsten lebenden Verwandten und daher besonders wichtig, um Ursprung und Evolution des Menschen zu erforschen", betonen die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature.
Aus dem Genvergleich konnten die Forscher ablesen, dass sich die Gorillas vor rund zehn Millionen Jahren von den gemeinsamen Vorfahren der Schimpansen und Menschen abtrennten. Die Stammeslinien von Mensch und Schimpanse teilten sich dann vor rund sechs Millionen Jahren. "Nach Jahren der Debatte stimmen unsere genetischen Interpretationen nun mit dem Fossilfunden überein", sagt Durbin.
Untersuchungen der Molekularen Evolution, also der Entwicklung von DNS, RNS und Proteinen, hatten auf eine Trennung von Menschen und Schimpansen vor etwa 4,5 Millionen Jahren hingedeutet. Fossilien sprachen für sieben Millionen Jahren.
Der aktuellen Studie zufolge liegt der Zeitpunkt dazwischen und deutet auf eine etwas geringere Mutationsrate in der Abstammungslinie der Affen als bislang angenommen. Möglicherweise kam es auch häufiger zu Kreuzungen zwischen den Vertretern der sich damals neu entwickelnden Arten.
Wichtige Anpassungen in der Hirnentwicklung
Alle drei am engsten verwandten Arten - Mensch, Schimpanse und Gorilla - besitzen etwa 500 Gene, die sich im Laufe der Evolution besonders schnell verändert haben. "Diese Gene sind mit Funktionen wie der Sinneswahrnehmung, dem Gehör und der Gehirnentwicklung verknüpft", berichten die Forscher. Das bestätige die wichtige Rolle, die Anpassungen in diesen Bereichen für die Entwicklung der Menschenaffen und Menschen gespielt hätten.
"Wir haben festgestellt, dass die Gorillas viele parallele genetische Veränderungen mit dem Menschen teilen, darunter die Entwicklung unseres Gehörs", sagte Chris Tyler-Smith, ebenfalls vom Sanger Institute. Dieser Fund entkräfte vorherige Annahmen, nach denen sich das menschliche Gehör erst durch die Sprache schnell weiterentwickelte.
Das Genmaterial für die Entschlüsselung lieferte Kamilah, ein zur Unterart der Westlichen Flachlandgorillas (Gorilla gorilla gorilla) gehörendes Weibchen, das im Zoo von San Diego lebt. Ebenfalls sequenziert wurden Teile des Erbguts zweier weiterer Westlicher Fachlandgorillas und eines Östlichen Flachlandgorillas (Gorilla beringei graueri). Ein Vergleich der DNS zeigte, dass die beiden Gorilla-Unterarten von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, der vor etwa 1,75 Millionen Jahren gelebt hat. Über Jahrtausende danach habe es aber noch einen Genaustausch - also Kreuzungen - gegeben, sagen die Forscher.
Die heute besonders bedrohten Östlichen Gorillas, zu denen die Östlichen Flachlandgorillas und die Berggorillas (Gorilla beringei beringei) gehören, waren der Genanalyse zufolge offenbar bereits vor Tausenden von Jahren stärker dezimiert als die Westlichen Gorillas, zu denen die Westlichen Flachlandgorillas und die Cross-River-Gorillas (Gorilla gorilla diehli) gehören.
Die menschliche Präsenz oder Ausbrüche des tödlichen Ebolavirus könnten dies allein nicht erklären, sagen die Forscher. Die gesamte Geschichte der großen Primaten sei von Aussterben und Bedrohungen geprägt.
"Die Erforschung der Menschenaffen verbindet uns mit einer Zeit, in der auch unsere Existenz bedroht war, und unterstreicht damit, wie wichtig es ist, die letzten Vertreter dieser bemerkenswerten Arten zu schützen und zu bewahren", betonen die Forscher.