Die Nummer eins der Luftschadstoffe zu sein, das ist ein zweifelhafter Titel. Das Umweltbundesamt hat ihn dieses Jahr dem Stickstoffdioxid (NO₂) verliehen. Seit Langem scheitern alle Versuche, den Gehalt des Gases in der Atmosphäre zu begrenzen, was Deutschland schon reichlich Ärger mit der Europäischen Kommission eingetragen hat. Noch immer meldet mehr als die Hälfte der Messstationen in Deutschland überhöhte Jahresmittelwerte für NO₂; in Stuttgart, Darmstadt und München lagen 2014 wieder einmal die Spitzenwerte an Hauptverkehrsstraßen häufiger über dem Limit als per EU-Verordnung erlaubt.
Bei Feinstaub und Ozon hingegen sinkt die Belastung seit Jahren. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf Dieselautos als wesentliche Quelle von NO₂. Tatsächlich haben gerade moderne Motoren damit ein Problem. Nachdem lange der Ruß aus dem Auspuff der Selbstzünder - und damit der Feinstaubausstoß - im Fokus immer weiter verschärfter Abgasnormen stand, kommen nun die Stickoxide dran. Wie krachend man als Autohersteller an dieser Herausforderung scheitern kann, zeigt der Skandal um die Volkswagen-Modelle in den USA.
Alte Lkws aus Osteuropa schleudern besonders viel Abgase in die Luft
Neuwagen dürfen dort um die 31 Milligramm (Tausendstel Gramm) NO₂ pro Kilometer ausstoßen, in Europa sind es 80. VW-Modelle setzen laut der US-Umweltbehörde in Straßentests aber teilweise das 40-Fache dieses Limits frei. Und das scheint nicht allein ein Problem des Wolfsburger Herstellers zu sein. Bei einem Versuch der deutsch-amerikanischen Organisation ICCT übertraf ein Volvo den EU-Grenzwert fast um das 15-Fache. Das sind in beiden Fällen deutlich mehr als ein ganzes Gramm Stickstoffdioxid pro Kilometer.
Diese Menge NO₂ müsste sich auf 30 000 Kubikmeter verteilen - ein Volumen von der Größe innerstädtischer Tunnel -, damit die Luftgrenzwerte eingehalten werden können. In der EU dürfen nämlich im Jahresdurchschnitt nur 40 Mikrogramm (Millionstel-Gramm) Stickstoffdioxid in einem Kubikmeter Luft schweben. Angesichts der Verkehrsbelastung in der Landshuter Allee in München, der Kieler Straße in Hamburg oder auf dem Hardenbergplatz in Berlin verwundert es nicht, wenn die Grenzwerte überschritten werden. Das liegt auch daran, dass in Deutschland beileibe nicht nur moderne Autos fahren. "Die Dieselabgase in Deutschland werden dominiert von alten Lkws aus Osteuropa", sagt Jos Lelieveld, Professor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. "Ich glaube kaum, dass der VW-Skandal Folgen für die Luftqualität in Deutschland hat."
Erhöhtes Risiko für Lungenkrebs
Viele Studien zeigen inzwischen, dass das auf Dauer für die Anwohner nicht gesund ist. "Wer an einer solchen Straße lebt, wird von den Stickoxiden belastet, die in einem Umkreis von 50 oder 100 Metern ausgestoßen werden", sagt Annette Peters, Professorin am Helmholtz-Zentrum München. "Das erhöht die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Lungenkrebs jeweils um einige Prozentpunkte - ein kleiner, aber statistisch belastbarer Effekt." Abseits der großen Straßen sinkt die Gefahr etwas, verschwindet aber nicht. Die größte dieser Untersuchungen hat mehr als 1,2 Millionen Bürger Roms zehn Jahre lang begleitet. In den ungünstigen Fällen steigt das Risiko womöglich um 50 Prozent, zeigen einzelne Analysen mit älteren Frauen in Deutschland. "Man weiß noch nicht genau, woran das liegen könnte", sagt Annette Peters. "Vielleicht ist es ein Effekt der weiblichen Lungengeometrie, vielleicht liegt es auch daran, dass sie anders als Männer tendenziell mehr zu Hause waren und das NO2 eingeatmet haben."
Sogar kurzfristige Effekte lassen sich mit den Methoden der statistischen Medizin belegen. So zeigt eine aktuelle Studie aus Paris, dass die Sterblichkeit in der Stadt um ein Prozent steigt, wenn die NO₂-Werte für fünf Tage um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter zunehmen. In armen Vierteln mit besonders schlechter Luft können es fast fünf Prozent sein.
Experten dringen darauf, die gesetzlichen Grenzwerte für das Abgas zu senken
Die Schadstoffmengen, denen die Teilnehmer der Studien ausgesetzt waren, lagen dabei meist in der Nähe des Grenzwerts. Die Autoren einer großen Analyse der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2013 raten daher dringend dazu, den Grenzwert für NO₂ in der Luft noch weiter zu senken. Das unterstützt auch Annette Peters: "Angesichts der neuen Untersuchungen sollte man darüber diskutieren."
Stickstoffdioxid wirkt aber nicht nur allein und direkt, es ist auch an der Entstehung von Ozon beteiligt. Kommt es im Sonnenschein mit flüchtigen organischen Verbindungen zusammen, dann entsteht der berüchtigte Sommersmog. Er kann die Lungen stark reizen und ist für Asthmatiker und andere Empfindliche gefährlich. Außerdem, sagt Annette Peters, ist das NO₂ auf Umwegen auch an der Entstehung von Feinstaub-Partikeln beteiligt.
Diese Teilchen sind nach Aussagen der Chefin des Umweltbundesamtes (UBA), Maria Krautzberger, in Deutschland immer noch ein Gesundheitsproblem, auch wenn ihre Zahl und Masse stark zurückgegangen sind. Das liegt auch an den Partikelfiltern, die inzwischen viele Dieselautos und Lastwagen haben und die gut funktionieren. Auswertungen des UBA zeigen, wie die Menge des Feinstaubs aus dem Straßenverkehr zwischen 1997 und 2013 von 54 000 auf 30 000 Tonnen pro Jahr gesunken ist. Davon stammt nur noch ein Drittel aus den Auspuffen, der praktisch unveränderte Rest stammt vom Abrieb der Straßen, Reifen und Bremsen; zu Beginn des Zeitraums machten die Abgase zwei Drittel aus. Der Feinstaub aus Kaminen und Heizungen in Wohnhäusern hat inzwischen die gleiche Größenordnung erreicht wie der aus dem Verkehr, so das UBA.
Eine weitere Quelle ist die Landwirtschaft, wo Ammoniak-Ausdünstungen und Nitrate freigesetzt werden, in die Städte driften und dort bei der Bildung von Feinstaub-Partikeln mitwirken. Das ist auch international ein großes Problem, wie ein Forscherteam um den Mainzer Max-Planck-Forscher Lelieveld vor Kurzem belegt hat. 3,3 Millionen Menschen kommen demnach durch Luftverschmutzung, vor allem Feinstaub, jedes Jahr vorzeitig zu Tode. In Deutschland sind es den Zahlen zufolge 34 000. Abgase aus dem Verkehr, vor allem von Dieselfahrzeugen, spielen dabei eine wichtige Rolle.