Dieser Dachgarten muss einst ein mondäner Ort gewesen sein. Der Blick aus dem siebten Stock des Hotels fällt auf den Kern von Pripjat, auf das Kulturzentrum mit seinen einstmals hohen Fenstern, die kühn geschwungenen Arkaden, den Park.
Ursache und Wirkung: Der Blick aus dem zerstörten Hotel in Pripjat auf das Atomkraftwerk Tschernobyl (oben links).
(Foto: Christopher Schrader)Er schweift über die Häuser einer Modellstadt, in denen eine technische Elite wohnte. Sie erzeugte Energie für den Aufbau des Landes, sie war gut bezahlt, wurde gut behandelt. Man kann sich vorstellen, wie die Ingenieure und ihre Frauen im Abendlicht flanierten und sich zu ihrem Leben beglückwünschten.
Heute ist das Hotel ein Trümmerfeld: Steinplatten der Treppenstufen sind vom Betonsockel gebrochen, zwischen zwei Etagen liegt eine von den Elementen gegerbte Tür. Die Fenster sind zerstört, Glassplitter knirschen unter den Füßen. In den Zimmern liegen rostende Heizkörper. Oben auf der Terrasse wurzeln zwei Birken zwischen geborstenen Bodenfliesen. Die Äste der größeren stoßen an die Betondecke des Dachgartens.
Es war ein Tipp von Nikolaj Fomin, dem Fremdenführer. "Das da oben ist mein Lieblingsplatz in Pripjat", hat er gesagt. "Da sieht man die Ursache und die Wirkung."
Die Ursache, das ist der sogenannte Beton-Sarkophag, eine hektisch errichtete Schutzhülle über dem havarierten Reaktorblock 4 von Tschernobyl, zwei Kilometer entfernt im Südosten.
Er war am 26. April 1986 nach einem missglückten Sicherheitstest explodiert und hat sein radioaktives Inventar nicht nur über Pripjat und die Umgebung verstreut, sondern über halb Europa. Und die Wirkung, das ist die verlassene Stadt. Wegen der Strahlung mussten die 50.000 Einwohner am 27. April 1986 ihre Wohnungen für immer verlassen.