Gedankenübertragung:Wie Biologen Erinnerungen verpflanzt haben wollen

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Meeresschnecken der Gattung Aplysia haben Neurobiologen bereits oft zu erstaunlichen Erkenntnissen verholfen. (Foto: imago/imagebroker)
  • Per Injektion übertrugen Wissenschaftler die Anleitung für ein Verhaltensmuster zwischen zwei Schnecken.
  • Die Theorie der Forscher: Zumindest einige Gedächtnisinhalte werden im Erbgut gespeichert.
  • Mit dem menschlichem Gedächtnis hat das aber wenig zu tun.

Von Kathrin Zinkant

Die Idee könnte gruseliger kaum sein: Man erlebt etwas, speichert das Erlebte in seinem Gedächtnis - und dann kommt jemand mit einer Spritze und saugt diese Erinnerung ab. Und das auch noch, um sie auf jemand anderen zu übertragen.

Unvorstellbar? Nicht ganz. Für die Meeresschnecke Aplysia ist die Science-Fiction-Idee vom transplantierten Gedächtnis nämlich Realität geworden. Wie eine Studie im Fachjournal eNeuro nahelegt, haben Neurowissenschaftler der University of California in Los Angeles ein erlerntes Verhalten erfolgreich von einer Schnecke in eine andere, untrainierte Schnecke verpflanzt.

Die Forscher übten am Körperende der Spendertiere dabei zunächst eine Reihe von starken Reizen aus, bis die Tiere eine gleichbleibende Schutzreaktion zeigten. Dann entnahmen sie Zellflüssigkeit aus dem Nervengewebe der auch als Seehasen bekannten Weichtiere und spritzten sie in die entsprechenden Neuronen von Seehasen ohne Reizerfahrung.

Die Schnecken können sich nicht bewusst erinnern

Tatsächlich zeigten diese Schnecken nun ebenfalls eine starke Schutzreaktion, obwohl sie dem Reiz zuvor gar nicht ausgesetzt waren. Die Wissenschaftler erklären den Effekt mit einem sogenannten epigenetischen Prozess. Demnach bilden die Nervenzellen der trainierten Tiere auf den Reiz hin winzige Botenmoleküle, RNAs. Diese Signalstoffe wiederum vermitteln winzige Veränderungen an der Oberfläche des Erbguts, beeinflussen die Aktivität der Gene und initiieren eine Verhaltensänderung.

Der Effekt ist aber nicht von den Zellen abhängig, in denen der Erfahrungsprozess stattgefunden hat. Er lässt sich durch die RNA direkt auf fremde, ungeprägte Nervenzellen des gleichen Typs übertragen.

Von transplantierten Erinnerungen zu sprechen, wäre aber trotzdem übertrieben: Die Schutzreaktion der Schnecken ist ein Reflex und somit eine einfache neurologische und biochemische Reaktion auf einen mehrfach wiederholten Reiz. Die Forscher konnten zwar zeigen, dass die Anleitung für dieses Verhalten in Form von RNA gespeichert und somit übertragbar wird. Bewusst erinnern sich die Schnecken dabei aber nicht. Zudem werden Erinnerungen an Erlebnisse und Personen beim Menschen in weit komplexeren Nervennetzen gespeichert, als die Meeresschnecke Aplysia selbst vorweisen kann. Dass sich der Schneckeneffekt beispielsweise für Alzheimerpatienten nutzen lässt, bleibt daher zweifelhaft.

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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