Zwischen den Zahlen:Ein tieferes Tief

Lesezeit: 1 min

Was macht der Zins, wenn der Negativzins steigt? Wird er dann höher oder niedriger? Eine Glosse über eine Frage, über die sich schon Rudi Völler in einem berühmten Interview aufregte: "Immer diese Geschichte mit dem Tiefpunkt."

Von Harald Freiberger

Eigentlich ist die Frage schon geklärt, was passiert, wenn es nach einem Tiefpunkt weiter abwärts geht. Es kommt dann zu einem noch tieferen Tiefpunkt. Am 6. September 2003 spielte Deutschlands Fußball-Nationalmannschaft in Island 0:0. Die Kommentatoren Gerhard Delling und Günter Netzer sprachen danach von einem "absoluten Tiefpunkt". Das war Auslöser für einen Klassiker der Fernsehgeschichte, denn hinterher rastete Teamchef Rudi Völler aus und sagte: "Einfach diese Geschichte immer mit dem Tiefpunkt und nochmal einen Tiefpunkt, und dann gibt's nochmal einen niedrigeren Tiefpunkt. Ich kann diesen Scheißdreck einfach nicht mehr hören."

Auch wenn Völler das nicht hören wollte, gehört es doch zur Alltagserfahrung, dass viele Dinge nach unten keine Grenze haben. Banken und Sparer in Europa kennen das seit Jahren. 2014 führte die Europäische Zentralbank (EZB) einen Negativzins ein, der zunächst bei 0,2 Prozent lag und dann in Schritten auf 0,5 Prozent stieg. Womit man schon beim Kern des Problems wäre: Wie sagt man eigentlich, wenn etwas Negatives noch negativer wird? Fällt es dann oder steigt es?

Rein mathematisch ist es klar: Steigt eine Zahl, zum Beispiel von zwei auf vier, dann wird sie höher. Hat diese Zahl aber ein Minus davor, so ist sie danach niedriger, nämlich bei minus vier statt minus zwei. Man könnte auch sagen, die Zahl hat einen tieferen Tiefpunkt erreicht.

Das Gefühl der Menschen aber widerstrebt in diesem Fall der Mathematik. Man stelle sich dazu die Zinskurve bildlich vor. Sie geht eindeutig nach unten, wenn die EZB den Negativzins (mathematisch korrekt ausgedrückt) erhöht. Doch niemand käme auf den Gedanken, bei einer sinkenden Kurve von einer Erhöhung zu reden. Schuld an der Verwirrung ist das Minuszeichen vor der Zahl, das alles umkehrt, so wie die EZB die Welt der Sparer auf den Kopf gestellt hat.

Vielleicht sollte sich die Zentralbank doch an Rudi Völler halten, der in dem Interview fortfuhr: "Diese Geschichte mit dem Tiefpunkt und nochmal tiefer. Dieser Scheiß, der da immer gelabert wird, da sollten sich alle mal Gedanken machen, ob wir in der Zukunft so weitermachen können."

© SZ vom 15.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: