Zerschlagung von MAN:Letzte Ausfahrt Wolfsburg

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  • Bis vor drei Jahren war MAN ein stolzer Dax-Konzern. Dann kam Volkswagen.
  • Nun löst sich MAN in seine Bestandteile auf. Die werden im VW-Imperium verteilt.

Von Thomas Fromm

Der Tag, an dem MAN aufhörte, ein selbständiger Konzern zu sein, lässt sich klar festmachen. Es ist der 6. Juni 2013, ein Donnerstag, Tag der MAN-Hauptversammlung. Nur sind die Konsequenzen damals wohl nicht allen bis ins Letzte klar. Es ist der Tag, an dem der Konzern einen Vertrag mit Volkswagen abschließt, den man in der Industrie "Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag" nennt. Gewinne abführen, beherrschen - es ist eine sehr technische, aber auch sehr hässliche Umschreibung dafür, dass VW zu dieser Zeit schon mehr als 75 Prozent an MAN hält. Dafür, dass MAN fortan kein eigenständiges Unternehmen mehr sein darf und VW über den alten Münchner Konzern verfügen kann. Anders gesagt: Von jenem Tag an konnten die VW-Manager mit MAN so ziemlich machen, was sie wollten. Und das taten sie auch, wie man heute sieht.

MAN war noch bis vor drei Jahren ein stolzer Dax-Konzern. MAN hat eine Geschichte, die bis in das Jahr 1758 zurückreicht, als in Oberhausen die Eisenhütte St. Antony gegründet wurde, die später in MAN aufging. MAN, die Abkürzung zeigt, worum es seither vor allem ging: Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg. Und dann kam dieser Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag.

Hinter vorgehaltener Hand wird bereits von einem Sparprogramm geredet

MAN war da immer noch ein Konzern, der an der Börse notiert war. Und natürlich hatte MAN immer noch sein eigenes Management. Aber die Sache mit der Eigenständigkeit war bald eine Illusion.

Und selbst die gibt es nun nicht mehr. VW hat jetzt beschlossen, das Lkw-Geschäft von MAN mit der schwedischen Lkw-Tochter Scania zusammen in eine gemeinsame Truck-Holding von VW zu legen. MAN, das waren zuletzt nicht nur Busse und Lkw, das war auch das große Geschäft mit Dieselmotoren und Turbinen und die Getriebefertigung Renk. In die Holding für Lkw passen solche Dinge nicht. "Da hat wohl keiner etwas davon", sagt ein VW-Manager. Konkret heißt das: Es werden nicht nur Gewinne abgeführt, es wird jetzt auch beherrscht. MAN, der Traditionskonzern, löst sich in seine Bestandteile auf - und die werden im großen VW-Imperium verteilt. Vorerst - denn das Geschäft mit Dieselmotoren könnte, auch das ist möglich, irgendwann verkauft werden. Vom Maschinenkonzern MAN blieben dann nur noch die Lkw übrig. Die Frage, die sich viele stellten: Was passiert nun mit der MAN SE, also jener Holding, die über den verschiedenen Konzernaktivitäten steht? Und was mit der Konzernzentrale in der Münchner Ungererstraße? Braucht man das alles noch, wenn die Dinge von einer VW-Holding gesteuert werden? Am Montag gab es für die 300 Holding-Mitarbeiter hohen Besuch aus Wolfsburg. Sie bekommen neue Arbeitsverträge - aber ob und wie lange sie noch in München arbeiten werden, ist unklar.

Glanz vergangener Zeiten: Der MAN-Lastwagen F 8 zählte zu den Erfolgsmodellen der Wirtschaftswunderjahre. (Foto: Historisches Archiv MAN Truck & Bus AG)

Von einer Konzernzerschlagung will man bei VW nicht sprechen. "Volkswagen bekennt sich zu MAN als Ganzes", heißt es in Wolfsburg. In MAN-Kreisen hofft man das auch, nur: Weiß man's? Hier geht man davon aus, dass die Holding "zumindest verkleinert" wird. Am Ende, sagen sie bei MAN, gehe es nicht um die 300 Holding-Leute - sondern um die 55 000 Leute, die der Konzern weltweit beschäftigt. Was wird aus denen? Schon heißt es hinter vorgehaltener Hand, VW habe für die MANler mehr vorbereitet als nur eine Lkw-Holding in Niedersachsen. Ein Sparprogramm soll auf dem Weg sein, in den kommenden Monaten soll es ausgearbeitet und darüber mit den Arbeitnehmern diskutiert werden.

Ziel: Kosten runter, Gewinne rauf.

MAN, vom stolzen Konzern zum fremdbestimmten Unternehmen zur VW-Lkw-Sparte - der Weg dahin ist ebenso lang wie turbulent. Er begann vor mehr als zehn Jahren, als der schwedische Lkw-Manager Håkan Samuelsson die Führung in München übernahm. Damals war der Gemischtwarenladen MAN mit seinen Nutzfahrzeugen, Industriedienstleistungen, Druckmaschinen, Dieselmotoren und Turbomaschinen ein Zerschlagungskandidat. Ein gefundenes Fressen für Investmentbanker und Finanzinvestoren: Sie liefen über die Flure, schauten sich das Münchner Groß-Gebilde genau an, rechneten durch, machten ihre Vorschläge. Wären die einzelnen Teile von MAN nicht mehr wert, würde man alles auseinanderreißen und verkaufen?

MAN wollte einmal Scania übernehmen - das war ein Fehler

Es war damals sehr in Mode, den Chefs großer Mischkonzerne solche Empfehlungen zu überreichen. Samuelsson aber fand, dass er keine Heuschrecken zu seinem Glück brauchte - im Januar 2006 verkaufte er die Mehrheit seines Tochterunternehmens MAN Roland Druckmaschinen an einen Finanzinvestor, ein paar Jahre später wurde auch der Essener Industriedienstleister Ferrostaal aus dem Konzern entlassen. MAN wurde kleiner.

Ein Konzern zerschlug sich ein Stück weit selbst. Schon damals.

Im September 2006 dann machte Samuelsson einen verhängnisvollen Fehler. Einen Fehler, ohne den heute vielleicht alles ganz anders wäre. Er legte ein 9,6 Milliarden Euro schweres Übernahmeangebot vor, und zwar ausgerechnet für seinen früheren Arbeitgeber Scania. Das Ziel: Er wollte einen großen europäischen Nutzfahrzeugkonzern schmieden. Den gab es dann auch, aber nicht mehr unter Samuelssons Führung. Sondern unter VW-Regie.

Der Schwede hatte unterschätzt, wie sehr sich seine Landsleute gegen die Offerte aus Bayern stemmen würden. Vom "Blitzkrieg" aus München war die Rede und von hässlichen Animositäten zwischen dem MAN-Chef und seinen Ex-Kollegen aus dem Norden. Und Samuelsson hatte einen Mann unterschätzt: den damaligen VW-Patriarchen und -Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch. VW gehörte zu den Anteilseignern bei Scania. Und Piëch, der Strippenzieher, hatte eigene Pläne. Samuelssons größter Fehler: Er hatte monatelang mit dem damaligen VW-Chef Bernd Pischetsrieder über den Scania-Deal verhandelt. Leider mit dem Falschen.

Für Piëch bot sich nun eine Gelegenheit, die er so schnell nicht wieder bekommen sollte: Er kaufte mit VW MAN-Aktien in großem Stil, stockte seine Anteile bei Scania auf, und irgendwann hieß der MAN-Aufsichtsratschef: Ferdinand Piëch.

Es gehörte zu den letzten großen Projekten des Alten, der vor einigen Wochen nach einem beispiellosen internen Machtkampf bei VW seinen Job aufgeben musste: die Gründung eines großen Lkw-Konzerns unter einem gemeinsamen VW-Dach. Als klar war, dass die beiden Erzfeinde MAN und Scania nicht zusammenarbeiten - schon gar nicht freiwillig -, verfiel man auf die Idee einer Lkw-Holding. Hier, in dieser Holding, endet nun die lange Geschichte des MAN-Konzerns. MAN-Geschichte ist nun VW-Geschichte.

© SZ vom 13.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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