Wohnen:Im Schnitt recht groß: Leben in einer Durchschnittswohnung

Lesezeit: 3 min

Bamberg (dpa) - Ein Schrank mit abgerundeten Kanten, helles Holz, Eckbank, Kommode. Vor dem Schrank steht ein Laufstall, vor der Kommode eine Babyschaukel. "Man könnte sagen, man braucht so eine Schaukel nicht", sagt Anja Hirschfelder.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Bamberg (dpa) - Ein Schrank mit abgerundeten Kanten, helles Holz, Eckbank, Kommode. Vor dem Schrank steht ein Laufstall, vor der Kommode eine Babyschaukel. „Man könnte sagen, man braucht so eine Schaukel nicht“, sagt Anja Hirschfelder.

„Doch“, ruft ihr Mann Manuel auf dem Weg in die Küche, „die braucht man.“ Sie lachen. Die beiden haben zwei kleine Mädchen, die brauchen Unterhaltung. Und Platz. Von Letzterem hat die Familie: durchschnittlich viel.

„Was der Durchschnitt bedeutet, ist eine individuelle Frage: Es kommt darauf an, was man misst - und wen man fragt“, sagt Thomas Augustin, Statistiker an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Durchschnittliche Leistung zum Beispiel ist für viele eher negativ besetzt. „Aber die meisten werden lieber durchschnittliche körperliche Qualen haben als überdurchschnittliche.“ Und die meisten hätten wohl lieber eine überdurchschnittlich große Wohnung.

Die Hirschfelders leben in ihrer Mietwohnung auf 106 Quadratmetern. Das mag vielen Großstädtern groß erscheinen. Wohnraum ist gerade in Ballungszentren wie Hamburg, München oder Berlin knapp - und teuer. Dennoch, eine vierköpfige Familie in Deutschland wohnt laut Statistischem Bundesamt - die aktuellsten Zahlen stammen von 2011 - im Schnitt auf 96,8 Quadratmetern, zur Miete; Eigentümer mit zwei Kindern auf 137,6 Quadratmetern. So weit die Mittelwerte.

Ob die vier Hirschfelders, der Statistik nach mit den zwei Kindern auch eine Durchschnittsfamilie, nun viel Platz haben oder wenig, hängt von der Perspektive ab. „Man kann eine durchschnittliche Quadratmeterzahl messen - aber damit misst man nicht auch das durchschnittliche Lebensgefühl“, sagt Augustin. Der Mittelwert ist verlockend, um sich zu vergleichen. Doch er sagt über den sogenannten normalen Menschen wenig aus, wenn es - wie bei der Wohnfläche - auch Ausreißer gibt, also Familien mit sehr viel oder auch sehr wenig Platz zum Wohnen. „Der Mittelwert nivelliert über Unterschiede hinweg“, erklärt Augustin. Über den zwischen Stadt und Land etwa.

Seit Jahren steigen in Deutschland die Preise für Miete und Kauf von Wohnraum, vor allem in Ballungszentren und Universitätsstädten. Die Hirschfelders leben in einer Universitätsstadt, wenn auch nicht in einer Metropole: im oberfränkischen Bamberg. Dennoch: Zwischen 1970 und 1994 lagen hier die Mieten für Wohnungen ab 90 Quadratmeter in der Spanne von 4,27 bis 6,84 Euro. Wo der Mietpreis damals aufhörte, fängt er heute an: Seit 1995 liegt die Spanne bei 6,31 bis 8,73 Euro.

„Größer ginge schon“, sagt Anja Hirschfelder. Eine kleinere Wohnung möchte das Paar nicht mehr. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, sagt ihr Mann, während er auf dem Spielteppich im Wohnzimmer sitzt und die fünf Monate alte Genoveva im Arm wiegt. „Wenn man sich an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt hat...“ Trotzdem, wenn sie wirklich müssten, sagen sie, kämen sie mit weniger Raum aus.

Neben dem Wohnzimmer, in dem die Hirschfelders am Tisch vor der Eckbank auch essen, haben sie das Schlafzimmer, die Küche und eine Essdiele, ein Badezimmer und eine Gästetoilette, den Flur und eine Abstellkammer, und - nicht zu vergessen - einen Keller, „Gold wert“, sagt Manuel Hirschfelder. Und dann sind da noch zwei kleine Zimmer. In einem schläft die bald dreijährige Magdalena. Das andere ist das Arbeitszimmer, noch. Bis es Genovevas Zimmer wird.

Anja Hirschfelder braucht nicht unbedingt einen Arbeitsplatz in der Wohnung, die 36-Jährige ist Pädagogin. Ihr Mann (45) schon, als freiberuflicher Dozent. Er wird dann mit Schreibtisch und Computer ins Wohnzimmer umziehen müssen. Außerdem werden dann doch ein paar der vielen Aktenordner verschwinden, die jetzt - mit dunklen Rücken Reih' an Reih' gestellt - das kleine Arbeitszimmer noch enger wirken lassen. Ganz zu schweigen von dem großen Wellensittich-Käfig. „Der Einstein ist vor Kurzem von uns gegangen“, sagt Manuel Hirschfelder. Herr Müller-Lüdenscheidt und Cleopatra zwitschern noch. Auch sie nehmen Raum ein. Genau wie die Yogamatte, der Staubsauger, die verschiedenen Abflussreiniger und die Spielesammlung im Abstellraum.

Die Quadratmeterzahl ist aber nicht der einzige Faktor für die Wohnqualität. „Es ist schwierig, Wohnqualität statistisch zu messen“, sagt Augustin. Für manche gehe es eher um die Anzahl gleichgesinnter Nachbarn, für andere um die Umgebung. Der Preis aber bestimmt für viele, wo sie leben. Die vor einem Jahr eingeführte Mietpreisbremse kann den Anstieg der Mieten einer bundesweiten Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge kaum verlangsamen. Im Gegenteil: Kurzfristig habe sie vielerorts sogar preistreibend gewirkt. Gerade wenn mehrköpfige Familien in Deutschland heute umziehen, ziehen sie in kleinere Wohnungen als zuvor - gerade wegen der Mietpreise, sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund.

„Käme ein drittes Kind, dann würden wir uns überlegen, in eine größere Wohnung zu ziehen“, sagt Manuel Hirschfelder. „Ein Haus wäre aber nur außerhalb möglich.“ So richtig raus aus der Stadt will seine Frau aber ohnehin nicht. Sie genießt es, mit dem Rad überall schnell hinzukommen - und später für die Teenagerinnen nicht dauernd Taxi sein zu müssen. Noch spielt Magdalena im Wohnzimmer in ihrem eigenen Haus, einem Spielzeughaus, ganz bunt.

Ihre echte Wohnung liegt in einem grauen Betongebäude, aber mit Blick auf viel Grün, vierter Stock. 650 Euro Miete und rund 200 Euro für die Stadtwerke. Ein Freundschafts- oder besser gesagt ein Familienpreis: Die Wohnung gehört Anja Hirschfelders Eltern, die früher selbst weiter unten im Haus lebten, mit ihren beiden Töchtern - wie heute das junge Paar auch. Statistisch gesehen die Durchschnittsfamilie, auf einer durchschnittlichen Fläche.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: