Wirtschaftspolitik:Die Macht der Studien

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

Die neue Regierung sollte sich von Forschern mehr auf die Finger schauen lassen.

Von Bastian Brinkmann

Was der schwarz-rote Koalitionsausschuss im Sommer 2020 beschlossen hatte, verblüffte viele: Die Mehrwertsteuer wurde für sechs Monate gesenkt, um der Konjunktur in der Corona-Krise zu helfen. Ladenbesitzer und Händlerinnen stöhnten, weil sie alle Preise umstellen mussten. Haben sich die Mühen gelohnt? Eine neue Studie kommt jetzt zu dem Ergebnis: ja.

Der Konsum der Deutschen hat durch die temporäre Mehrwertsteuersenkung einen Booster von 34 Milliarden Euro bekommen, schätzt eine Ökonomengruppe. Die Steuersenkung hat Schnäppchenjäger angezogen, die einen größeren Kühlschrank, ein Rudergerät oder ein neues Auto gekauft haben. Profitiert haben demnach auch Jüngere mit wenig Geld, nicht die schlechteste Zielgruppe für Staatshilfen in einer Wirtschaftskrise. Gekostet hat die Steuersenkung am Ende sieben Milliarden Euro, kein Pappenstiel, aber angesichts der Corona-Krise auch keine Unsumme. Die Ergebnisse der Studie sind nicht mit dem Maßband millimetergenau gemessen, das ist in Sozialwissenschaften oft gar nicht möglich. Aussagekräftig sind die Ergebnisse trotzdem.

Zwar ist natürlich zu hoffen, dass die konkreten Erkenntnisse der Studie erst mal in die Schublade gelegt werden können - und dass nicht in wenigen Jahren schon wieder ein Konjunkturpaket nötig ist, weil erneut eine Seuche, eine Bankenkrise oder ähnliches Unheil über die Welt kommt. Die Ergebnisse der Studie sind aber nicht nur ein Rezept für den nächsten Wirtschaftsschock, sondern stehen beispielhaft für noch viel mehr.

Die künftige Bundesregierung sollte sich stärker von Forschern auf die Finger schauen lassen, ihre Wirtschaftspolitik also empirisch bewerten lassen, wie das in der wissenschaftlichen Fachsprache heißt. Das bedeutet: Der Staat muss viel mehr Daten zur Verfügung stellen, als er es bisher tut. Denn nur ordentliches Zahlenmaterial kann statistisch so bearbeitet werden, dass unterm Strich informierte Schätzungen stehen, was eine wirtschaftspolitische Idee gebracht hat oder bringen könnte.

Auf einer guten Datengrundlage diskutiert sich Wirtschaftspolitik viel besser

Wer in Deutschland wichtige Daten für die Forschung braucht, bekommt sie leider nicht immer. Oft wird der Datenschutz vorgeschoben. Wer nachschauen will, ob der höhere Mindestlohn zu mehr illegaler Arbeit führt oder was Vermögende in Steueroasen treiben, der schaut natürlich mitunter recht sensible Daten an, aber das ist datenschutzkonform und möglich.

Wichtiger ist: Die entscheidenden Daten müssen erhoben und dann geteilt werden. Hier hat der deutsche Staat ein kulturelles Problem. Der häufig zu hörende Hinweis auf Datenschutz scheint öfter nur ein Reflex zu sein, aus Angst vor der Überprüfbarkeit der eigenen Arbeit, um sich Arbeit zu sparen oder aus preußischer Abschottung: Herrschaftswissen gehöre dem Staat, nicht den Menschen. Das Versprechen, ein staatliches "Institut für empirische Steuerforschung" zu gründen, ist daher ein positives Signal, das aber auch umgesetzt werden muss.

Denn auf einer guten Datengrundlage diskutiert sich Wirtschaftspolitik viel besser. Linke Ökonomen sagen nur linkes Zeug, konservative Ökonomen sagen nur konservatives Zeug - das sollte zum Diskurs von gestern werden. Die gesellschaftliche Debatte braucht keine Glaubenskriege, sondern mehr Empirie. Ohne Digitalisierung gab es oft schlicht zu wenige Daten, um die eigenen Thesen zu überprüfen. Doch wer jetzt sieht, dass die Zahlen gegen die eigene Überzeugung sprechen, sollte seine Einschätzung ändern. Und das passiert auch, je mehr wirklich auf die Daten geschaut wird. Wenn als links einsortierte Volkswirte auf Probleme bei der beschlossenen Mindestlohnerhöhung hinweisen und als konservativ verstandene Kolleginnen die EZB verteidigen, könnte durchaus der eine oder andere Erkenntnisgewinn dabei herauskommen.

Einen Verlust der Debatte muss niemand befürchten. Ökonomische Aussagen bleiben ein unsicheres Geschäft, auch wenn sie empirisch gut unterlegt sind. Die neue Mehrwertsteuer-Studie lässt zum Beispiel ausdrücklich offen, ob nicht andere Konjunkturstützen besser gewesen wären. Und ob es schlau war, ausgerechnet in der zweiten Corona-Welle zum Einkaufen anzuregen. Aber diese Fragen können jetzt besser diskutiert werden als vorher.

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