Wirtschaft und Weihnachten:Große Versöhnung

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Anti-Pegida-Demonstration in München (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Wirtschaft ist rational und kalt, Weihnachten barmherzig und freundlich. Ein unversöhnlicher Gegensatz? Nicht mehr. Die Werte lassen sich vereinen - beim Thema Migration und Zuwanderung. Deutschland tut im eigenen Interesse gut daran, Flüchtlinge aufzunehmen.

Von Marc Beise

Weihnachten und Wirtschaft, das ist ein heikles Begriffspaar. Beide Welten werden häufig als unversöhnlicher Gegensatz gesehen. Einerseits erzeugen die Festtage eine Sehnsucht nach Frieden und Barmherzigkeit. Eine Sehnsucht, die andererseits die Welt der Wirtschaft, in der es üblicherweise um Wachstum und Effizienz, um die beste Produktion von Gütern und Dienstleistungen und die Verteilung von knappen Gütern geht, eher nicht befriedigen kann.

Wirtschaft ist rational und kalt, Weihnachten barmherzig und freundlich - so kann das wirken, auf den ersten Blick.

Christliche Unternehmer versuchen diese Denkmuster zu durchbrechen, aber es gelingt ihnen bestenfalls individuell. Große Teile der Öffentlichkeit würden dem Manager einer Großbank vielleicht noch abnehmen, dass er überzeugter Christ ist. Dass diese Grundhaltung seine konkrete Arbeit leitet, glaubt im Ernst kaum jemand.

Und wenn sich beispielsweise die christlichen Kirchen mit Wirtschaft beschäftigen, sind ihre Denkschriften manchmal ein rechter Eiertanz. Zwar wissen die Verfasser ziemlich gut, wie Wirtschaft funktioniert, aber sie mögen partout nicht das Hohelied der Effizienz singen oder gar Wachstum predigen - wie sollten sie auch angesichts der Zerstörung der Schöpfung durch den wirtschaftenden Menschen! Also fordern sie irgendwie von allem ein bisschen - oder machen es sich so leicht wie Papst Franziskus, der über den Kapitalismus sagt: "Diese Wirtschaft tötet" - wo er mit genauso viel (oder sogar mehr) Berechtigung sagen könnte: "Diese Wirtschaft macht die Welt im Großen und Ganzen besser."

Wer Flüchtlingen hilft, handelt mitfühlend und klug zugleich

Am Ende kommen dann Sätze heraus, wie sie soeben der neue Oberhirte der evangelischen Kirche, Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm, passenderweise dem Handelsblatt zu Protokoll gegeben hat. Auf die Frage "Ein völlig freier Markt richtet also Schaden an?" sagte Bedford-Strohm: "Absolut - wir brauchen einen klug geschaffenen Rahmen" - den er, natürlich, in der sozialen Marktwirtschaft findet. Dem will man nicht widersprechen, natürlich nicht, aber die entscheidende Frage liegt doch tiefer: Wie eng wird dieser Rahmen gezogen? Was darf der Markt und was nicht? Was soll der Staat regeln und was nicht?

Angeregt durch den Papst werden viele Prediger auch an diesem Weihnachtsfest von den Kanzeln Zeter und Mordio rufen, werden Gier und Geiz geißeln und den Tanz ums Goldene Kalb beklagen, auf dass es dem Marktwirtschaftler, sogar dem sozialen Marktwirtschaftler, Angst und Bange werden kann.

In diesem Jahr 2014 aber hat sich - endlich - ein Thema aufgetan, das Weihnachten und Wirtschaft, Christentum und Ökonomie, Moral und Rationalität versöhnt: Migration und Zuwanderung.

Als Christ und Moralist mag man angesichts des unendlichen Leids, das Flüchtlinge aus dem Nahen und Ferneren Osten, aus Afrika und von den Rändern der Europäischen Union zu uns tragen, nicht untätig bleiben. Wer noch ein Herz hat, will helfen. Und dieses Land ist groß und stark genug, um noch sehr viel leisten zu können.

Deutschland tut gut daran, Flüchtlinge aufzunehmen

Das Schöne nun ist, dass sich hier auch der Ökonom mitgenommen fühlen darf. Die übliche Schizophrenie à la: "Ist mein moralischer Kompass ökonomisch tragbar?" ist hier aufgehoben. Fasst man die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Migration zusammen, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass Deutschland, dieses demografisch dahinsiechende Land, im eigenen Interesse gut daran tut, noch sehr viele Flüchtlinge aufzunehmen und sie einzubinden.

Es fehlen doch die jungen Menschen, um die Sozialsysteme zu finanzieren, es fehlen die Facharbeiter, die Erfinder und Firmengründer. Viele von denen, die jetzt ins sichere Deutschland kommen, wollen diese Lücken füllen. Sie sind gut ausgebildet und können sich integrieren. Diejenigen, denen die Bildung fehlt - beispielsweise vielen der unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge - kann man helfen, in Schulen, Betrieben und Universitäten; hier engagieren sich Staat und Wirtschaft. Am Ende werden diese Menschen vielleicht hierbleiben - oder in ihre Länder zurückkehren. In jedem Fall machen sie die Welt besser.

Das müsste man nun nur noch den Menschen erklären, die derzeit unter dem pervertierten Ruf "Wir sind das Volk" montags auf deutschen Straßen gegen Ausländer demonstrieren. Sie glauben, ihre eigene Lage verbessern zu können, indem sie die Grenzen zumachen. In Wirklichkeit sägen sie an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen. Von der moralischen Armseligkeit ihrer Argumentation gar nicht erst zu reden.

© SZ vom 24.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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