Wirtschaft in China:Ein-Kind-Politik bremst den Konsum

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Die Ein-Kind-Politik in China hat ein massives Ungleichgewicht der Geschlechter verursacht. (Foto: Wang Zhao/AFP)

Eigentlich sollte die Ein-Kind-Politik den Wohlstand in China mehren: Wenn es weniger Bürger gibt, bleibt für jeden mehr übrig, das war die Idee. Doch tatsächlich wirkt sich die Familienplanung negativ auf den Konsum aus, meinen Wissenschaftler. Gebracht hat die radikale Maßnahme nur Frauenraub und Prostitution.

Von Marcel Grzanna, Huaihua

Elf Jahre. Niemals hatte Long Chahua in dieser Zeit die Hoffnung aufgegeben, sich aus der Gewalt ihrer Entführer befreien zu können. Nach elf Jahren gelang es ihr. Sie rannte um ihr Leben, weg aus jenem Dorf, in das sie als 16-Jährige verschleppt worden war, um dort einen Fremden zu heiraten. Neun Jahre ist ihre Flucht schon her, aber bis heute wagt sie sich nicht allein aus dem Haus. Zum gemeinsamen Essen in einem Restaurant in Huaihua in ihrer Heimatprovinz Hunan begleiten sie ein Bruder und drei Onkel. Vergessen ist unmöglich, weil sie zwei Kinder hinterlassen hat. Die Familie des Vaters verhindert mit Gewalt, dass Kinder und Mutter ein gemeinsames Leben führen. Aber die Polizei interessiert sich nicht für Entführungen von Bauerntöchtern.

Das Schicksal von Long Chahua ist kein Einzelfall. Entführungen von Frauen sind an der Tagesordnung. Sie werden gezwungen, Männer zu heiraten, die sie nicht kennen, sie werden geschlagen, vergewaltigt, gefügig gemacht, um Nachwuchs für eine fremde Sippe zu gebären. Diese Hölle auf Erden ist vor allem das Resultat der Ein-Kind-Politik in China, die ein massives Ungleichgewicht der Geschlechter verursacht hat. Es gibt einen millionenfachen Männerüberschuss, weil Mädchen abgetrieben oder als Säuglinge getötet werden. Wo Frauen knapp sind, greifen manche Familien zu drastischen Mitteln, um den Fortbestand der eigenen Gene zu sichern. Zumal Familien ohne Kinder verlacht und abschätzig behandelt werden.

Ursprünglich war die Ein-Kind-Politik dazu vorgesehen, die Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand für alle zu schaffen. Wenn ein Staat weniger Bürger ernähren muss, dann bleibt für jeden ein bisschen mehr übrig, lautete das Kalkül. Seit 1982 ist die Ein-Kind-Politik sogar in der Verfassung der Volksrepublik verankert. Es gibt zwar zahlreiche Ausnahmen, die erklären, weshalb es Familien gibt mit mehr als einem Kind. Grundsätzlich aber gilt: pro Frau ein Kind.

Soziale Sicherheit bedroht

"Wir wollen eine harmonische Gesellschaft, aber ohne familiäre Harmonie wird das nicht zu realisieren sein", warnt der Soziologe Zhang Yi von der Akademie der Wissenschaften in Peking. Der Frauenmangel fördere die sexuelle Frustration der Männer und sorge für zusätzliche Spannungen, die die soziale Sicherheit bedrohten. Zudem würden Prostitution und Frauenraub massiv gefördert.

Der 50 Jahre alte Long Qiusheng aus dem Dorf Qiantancun in Hunan zählt zu denen, die ohne Umschweife zugeben, dass sie sich eine Frau kaufen würden. Er ist immer noch unverheiratet und seine Chancen, auf normalem Wege eine Partnerin zu finden, tendieren gen null. Long verspürt kein Unrecht bei dem Gedanken, sich eine fremde Frau gegen Bezahlung und gegen ihren Willen zu verschaffen. Er will ja niemandem etwas Böses, sagt er. Er fürchtet höchstens, dass er nicht genug Geld zusammensparen kann, um sich den Wunsch nach einer Ehe doch noch zu erfüllen.

Guangguncun, Junggesellendorf, wird sein Heimatort in den Bergen genannt. Es ist nicht das einzige Dorf, das den Titel trägt. Es gibt etliche davon, verstreut fast über das ganze Land. In Qiantancun leben etwa 600 Menschen weit weg von den pulsierenden Küstenregionen oder den Metropolen, wo es Arbeitsplätze gibt und die Auswahl an Frauen viel größer ist. In den 130 Familien leben 50 unverheiratete Männer im Alter von 30 bis 50 Jahren. Auf dem Land ist es sonst üblich, mit Anfang, spätestens mit Mitte 20 zu heiraten.

Die Folgen des Frauenmangels sind bis weit über die Landesgrenzen hinaus zu spüren. Die Wissenschaftler Zhang Xiaobo und Wei Shangjin vom Internationalen Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington untersuchen seit einer Weile die Auswirkungen der Familienplanung auf den Binnenkonsum in China. Der zählt zu den großen Schwachpunkten des chinesischen Wirtschaftsmodells, das stark von Exporten und Investitionen abhängig ist.

Frauenmangel führt zu Sparsamkeit

Die Regierung spricht seit Jahren davon, den Konsum fördern zu wollen. Tatsächlich sind die sparsamen Chinesen in den vergangenen Jahren spendierfreudiger geworden, weil die durchschnittlichen Einkommen gestiegen sind. Doch der Konsum ist längst nicht stark genug, um massive Ausfälle bei den Exporten kompensieren zu können. Das Problem trägt zum gewaltigen Handelsüberschuss der Chinesen bei, das wiederum für ein Ungleichgewicht im Welthandel verantwortlich gemacht wird.

"Eine Lockerung der Ein-Kind-Politik wird dabei helfen, die chinesische Wirtschaft ins Gleichgewicht zu bringen", erklärt Wissenschaftler Zhang. Die Theorie lautet, dass der Frauenmangel die Sparsamkeit vieler Familien fördert, um den Söhnen im knallharten Kampf um eine Ehepartnerin eine möglichst attraktive Mitgift geben zu können. Zudem würden viele Familien in den Bau neuer Häuser investieren, die bei der Brautschau helfen sollen. "Diese Anlageinvestitionen zügeln den Konsum", so Zhang.

Trotz aller Probleme hat die Regierung aber angekündigt, an der Ein-Kind-Politik zunächst festzuhalten. Nach eigenem Bekunden seien so 400 Millionen Geburten verhindert worden. Unabhängige Wissenschaftler bezweifeln diese Zahlen, weil sie linear gerechnet wurden. Sie halten die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in den vergangenen 30 Jahren für ein ausreichendes Gegengewicht, das die Geburtenrate natürlich gedrosselt hätte, ohne dass es zu einem Männerüberschuss hätte kommen müssen.

© SZ vom 04.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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