Wirecard:Deutliche Kritik an Wirtschafts­prüfern

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Jahrelang hat die Prüfgesellschaft EY geirrt und die Bilanzen von Wirecard abgesegnet. Auch die Finanzaufsicht muss sich erklären. Auf beide wächst nun der Druck.

Von Cerstin Gammelin, Meike Schreiber und Nils Wischmeyer, Berlin/Frankfurt

Im Bilanzskandal bei Wirecard attackiert der neue Vorstandschef des Zahlungsdienstleisters, James Freis, die bisherigen Berater und Prüfer des Unternehmens. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat Freis dem Aufsichtsrat sinngemäß mitgeteilt, es sei für ihn unergründlich, dass den verschiedenen Prüfteams monate- und jahrelang bestimmte Dinge bei Wirecard nicht aufgefallen seien. Das betreffe Themen, bei denen man in "Sekunden" zu der Schlussfolgerung gelangen könne, dass manche Angaben nicht plausibel seien - ohne die betreffenden Dokumente gesehen zu haben, so Freis. Wirecard äußerte sich dazu auf Anfrage nicht.

Die Darstellung von Freis, man hätte fragwürdige Vorgänge binnen Sekunden erkennen können, mag übertrieben sein. Gleichwohl kann die Kritik weitreichende Folgen haben, auch wenn Freis keine Namen nennt. Es liegt auf der Hand, dass die Wirtschaftsprüfgesellschaft EY (früher Ernst & Young) von dieser Kritik nicht ausgenommen ist. EY hat jahrelang die Bilanzen von Wirecard für in Ordnung befunden und erst jetzt dem Zahlenwerk für 2019 die Zustimmung verweigert. Anlass waren die offenkundig gefälschten Unterlagen über angebliche Bankguthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro auf den Philippinen. Die Kritik von Freis an den Prüfteams bei Wirecard könnte Aktionärsgemeinschaften Auftrieb geben, die neben der Wirecard AG und deren früheren Vorständen Markus Braun und Jan Marsalek auch EY auf Schadenersatz für die Verluste an der Börse in insgesamt Milliardenhöhe verklagen wollen. Auch EY muss mit einer Klagewelle rechnen.

Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen Braun, der vor einer Woche als Vorstandschef zurücktrat, und gegen Marsalek wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Manipulation des Börsenkurses. Die Staatsanwaltschaft hat Haftbefehle gegen die beiden erwirkt. Während Braun sich den Ermittlern gestellt hat und gegen fünf Millionen Euro Kaution und weitere Auflagen wieder gehen durfte, ist der Verbleib von Marsalek unklar. Er gilt als Drahtzieher fragwürdiger Geschäfte in Asien und war diese Woche von Wirecard gefeuert worden. Angeblich soll er sich auf den Philippinen aufgehalten haben und dann weiter gereist sein. Dass er sich den Münchner Ermittlern stellt, wird immer unwahrscheinlicher. Braun und Marsalek haben während ihrer Zeit bei Wirecard alle Vorwürfe zurückgewiesen, die Bilanz sei geschönt.

Der Milliardenskandal zieht auch politisch immer mehr Kreise. Die Europäische Finanzaufsicht (Esma) soll untersuchen, wie die deutschen Aufsichtsbehörden mit dem Fall Wirecard umgegangen sind. Das fordert John Berrigan, Generaldirektor für Finanzstabilität in der EU-Kommission, in einem Schreiben an die Esma. Diese soll unter anderem prüfen, ob die Bafin auf einen kritischen Bericht der Wirtschaftsprüfgesellschaft KPMG von Ende April angemessen reagiert und Anleger vernünftig geschützt habe. Die KPMG hatte eine Sonderuntersuchung bei Wirecard vorgenommen; ihr Bericht enthielt zahlreiche Rügen. Der Brief von Berrigan an die Esma ist als politisches Signal gedacht, um in Deutschland für eine bessere Finanzaufsicht zu sorgen.

Sollte die Esma auf Mängel bei der deutschen Aufsichtsbehörde Bafin stoßen, dann könnte die EU Deutschland anweisen, für bessere Kontrollen zu sorgen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat bereits Reformen angekündigt. Die Strukturen müssten durchleuchtet, mögliche Fehler rasch identifiziert und sofort abgestellt werden. "Die Bafin muss künftig in der Lage sein, Sonderprüfungen möglichst kurzfristig, schnell und effizient durchführen zu können", sagte Scholz. Die Finanzaufsicht hat die Aufgabe, möglichen Börsen-Manipulationen nachzugehen. Bafin-Chef Felix Hufeld hat bereits eingeräumt, dass seine Behörde "nicht effektiv genug gewesen" sei, um den Bilanzskandal bei Wirecard zu verhindern. Hufeld soll kommenden Mittwoch im Finanzausschuss des Bundestags Stellung beziehen.

Die Lage bei Wirecard spitzt sich unterdessen weiter zu. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge prüfen Visa und Mastercard, ob sie dem deutschen Unternehmen ihre Lizenzen entziehen. Das würde es dem insolventen Dax-Konzern erschweren, seinen Geschäftsbetrieb in großem Umfang aufrechtzuerhalten. Zahlungsdienstleister wie Wirecard wickeln Überweisungen im Hintergrund ab und brauchen dafür die weit verzweigten Netzwerke von Kreditkartenanbietern wie Visa und Mastercard. Wirecard äußerte sich auch dazu nicht.

In Großbritannien hat unterdessen die Finanzaufsicht FCA der Wirecard-Tochter Wirecard Card Solutions de facto den Geschäftsbetrieb untersagt.

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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